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Warum Cyberpunk 2077 im Herbst seinen zweiten Frühling erleben könnte

Im Dezember 2020 ist Cyberpunk 2077 erschienen und die Monate nach der Veröffentlichung sind allen sicher noch in Erinnerung. Seinen vorläufigen „Höhepunkt“ fand die Angelegenheit mit der Entfernung des Spiels aus dem PlayStation Store.

Trotz aller Negativpresse feierte Cyberpunk 2077 in Deutschland schon im Januar 2021 einen riesigen Verkaufserfolg: 500.000 verkaufte Einheiten standen beim Branchenverband in den Büchern. Platin-Award schon im Launchmonat, das ist hierzulande eigentlich fast nur ein FIFA-Ding.

Am 21. Juni 2021 meldete sich Cyberpunk 2077 im PlayStation Store zurück und wurde mit nur einer Verkaufswoche der digital am meisten verkaufte Titel des Monats Juni 2021 im PlayStation Store. Trotz Kaufwarnung auf der Produktseite.

Zum Jahresende gewann Cyberpunk 2077 den Steam-Award als das „herausragende Spiel mit tiefgründiger Story“ und bekam eine Flut sehr positiver Steam-Bewertungen. Etwa zur gleichen Zeit stellte sich Adam Kiciński, Präsident von CD Projekt Red, einer Wirtschaftszeitung in seinem Heimatland Polen zum Interview.

„Auf lange Sicht als ein sehr gutes Spiel wahrgenommen“

Man sei „stolz auf viele Aspekte des Spiels“, auch wenn natürlich nicht alles so gelaufen sei, wie man es sich gewünscht hatte. Der Glaube ans Spiel, weiterhin unerschüttert: „Wir glauben, dass Cyberpunk 2077 auf lange Sicht als ein sehr gutes Spiel wahrgenommen wird und sich wie unsere anderen Titel über Jahre verkaufen wird – zumal die Hardware mit der Zeit immer leistungsfähiger wird und wir das Spiel verbessern“, erklärte Kiciński damals.

Und in den nächsten Tagen und Wochen könnte Cyberpunk 2077 eine Eigendynamik entfalten, welche die Einschätzung von Kiciński tatsächlich Realität werden lassen könnte. An der sichtbaren Spitze dieses Eisbergs steht in diesen Tagen der krebserkrankte Journalist Gene Park, der in der Washington Post einen emotionalen Artikel zum Spiel verfasst hat.

Gene Park beschrieb Cyberpunk 2077 in seiner ursprünglichen Rezension als „unfertiges, fehlerhaftes und unspielbares Videospiel“. 2022 denkt er anders über Cyberpunkt 2077. Vor etwa fünf Monaten veröffentlichte CD Projekt Red das Update 1.5 – und Gene Park nahm die zahlreich versprochenen Verbesserungen zum Anlass, Night City erneut zu besuchen. Jetzt hängt er immer noch dort fest, auch wegen der Parallelen zwischen Protagonist V und seiner eigenen Geschichte.

„Alles, was ein Videospiel jemals sein muss“

Es ist ein persönlicher und emotionaler Artikel, in dem Gene Park versucht zu verstehen, was ihn an Cyberpunk 2077 fesselt. Vor allem ist es auch ein Artikel, der am Ende beschreibt, dass Cyberpunk 2077 jetzt deutlich besser ist als es zum Launch war.

Gene Park hat nicht vergessen, wie CD Projekt Red Fans und Presse damals getäuscht hat und er bezeichnet Cyberpunk 2077 auch nicht als Traumspiel, auch heute nicht. „Aber es ist eine Erfahrung, die sich immer noch wie eine Art Traum anfühlt, auch wenn ich sie nicht ganz verstehen oder erklären kann. Für mich ist das alles, was ein Videospiel jemals sein muss“, schließt er ab.

Paul Tassi hat Gene Parks Artikel gelesen und stellt in Forbes die These auf, dass Cyberpunk 2077 mit einer Verschiebung um ein weiteres Jahr die Branche hätte verändern können. Alles hätte damals bereitgestanden für ein Spiel auf Augenhöhe mit Zahlen, die sonst nur ein GTA erreichen würde. Nur ein fertiges Spiel stand nicht bereit.

Jetzt, anderthalb Jahre später, ist das aber so. „Ich glaube nicht, dass jeder mitbekommen hat, wie viel an Cyberpunk 2077 seit seiner Veröffentlichung gepatcht wurde. Es sind nicht nur Tausende und Abertausende von Fehlerkorrekturen und Leistungsverbesserungen, sie haben […] im Grunde jeden wichtigen Aspekt des Spiels neu ausbalanciert“, schreibt Paul Tassi.

Paul Tassi spekuliert dann darüber, was Cyberpunk 2077 hätte sein können, wenn es im Dezember 2021 erschienen wäre, also ein Jahr nach der Veröffentlichung. Aber es wird auch interessant sein, was Cyberpunk 2077 im Dezember 2022 ist.

„Wie auch immer, spielt es jetzt und fragt euch, was hätte sein können“, schreibt Paul Tassi. Aber jeder, der Cyberpunk 2077 jetzt spielt, macht Cyberpunk 2077 natürlich auch zu dem, was es noch wird. Und da sind wir wieder bei Adam Kiciński und seiner scheinbar wagemutigen Ansage.

Sichtbarkeit ist gegeben

Wenn nach der Washington Post und Forbes noch mehr Medien ähnlichen Kalibers zu einem erneuten Besuch in Night City aufrufen, dann wird es auch dazu kommen, dass etliche Interessierte genau das tun. Mich persönlich hält davon aktuell ehrlicherweise nur noch das fehlende „Verified“-Badge für das Steam Deck ab.

Cyberpunk 2077 mit all den Jahren und Ereignissen vor und nach seiner Veröffentlichung ist ein sicher außergewöhnliches Videospiel, in vielerlei Hinsicht. Ich mag es persönlich überhaupt nicht, wenn mir Leute sagen, man sollte dieses oder jenes Spiel „mal gezockt haben“. Aber ich habe das Gefühl, Cyberpunk 2077 gehört dazu.

In den nächsten Monaten wird möglicherweise einiges zusammenkommen: Die erhöhte Sichtbarkeit der Marke dank Cyberpunk: Edgerunners, Berichte wie der Nachtest der PC Games und die genannten Artikel in der Washington Post und Forbes und natürlich weitere Patches und eine Erweiterung. Möglicherweise wird CD Projekt Red auch noch so clever sein, eine native Next-Gen-Version in die Regale zu bringen – mit The Witcher 3 macht man es auch.

Wenn alles passt, könnte Cyberpunk 2077 im Herbst seinen zweiten Frühling erleben. Vielleicht den ersten Frühling, werdet ihr sagen. Aber fast 14 Millionen verkaufte Einheiten zum Launch waren eben auch nicht so schlecht. Natürlich hat CD Projekt Red viel Kredit verspielt, aber das Sprichwort mit dem wachsenden Gras ist nicht umsonst so verbreitet. Ich bin gespannt, was CD Projekt Red hier noch draufpacken kann und ich bin neugierig, wie sich die Betrachtung des Spiels in der Medienlandschaft darstellt.

Bildmaterial: Cyberpunk 2077, Bandai Namco, CD Projekt Red