Die Verschiebung von Halo Infinite zieht weite Kreise. Klar, Verschiebungen kritisieren, das ist längst out. Das macht man nicht mehr. Da regt man sich nicht mehr drüber auf. Einerseits, weil Shigeru Miyamoto ja gesagt hat, dass ein verschobenes Spiel irgendwann vielleicht gut wird, aber ein hingehetztes Spiel ziemlich sicher für immer schlecht bleibt. Das war aber vor 20-GB-(Day-One)-Patches. Andererseits, weil nun hinlänglich bekannt ist, wie Videospielentwickler arbeiten (müssen). Stichwort: Crunch.
Fehlt mit Halo: Infinite der große Unterschiedmacher?
Warum wird über die Verschiebung von Halo Infinite dann trotzdem geunkt? Natürlich weil es der große Unterschiedmacher zum Launch von Xbox Series X sein sollte. Was sei denn nun überhaupt der Kaufgrund für eine Xbox Series X? Wie sieht denn nun eigentlich das Launch-Lineup aus? Fragen wohl vor allem die, die gar keine Xbox Series X zum Launch kaufen möchten. Und ist doch eigentlich völlig egal. Ich möchte fast meinen, es war schon in der letzten Generation völlig egal, wie ein Launch-Lineup aussieht.
Natürlich wäre Halo Infinite zur Veröffentlichung von Xbox Series X ganz nett gewesen. Vor allem, weil es für Xbox-Fans quasi „mit dabei“ wäre. Zum Launch ist es nämlich auch Teil des Xbox Game Pass und somit ohne zusätzliche Kosten spielbar. Und wer wirklich auf Halo Infinite wartet, der wird es auch ein wenig seltsam finden, dass Microsoft beim Xbox Games Showcase noch vor nur drei Wochen Halo Infinite als den großen Opener und Aufmacher für den Konsolenlaunch nutzte.
Aber ein Konsolenkauf ist eine Entscheidung in die Zukunft, nicht für heute. Wie viele haben wohl damals eine PlayStation 4 gekauft, um Killzone: Shadow Fall und Knack zum Launch ganz unbedingt und ganz dringend zu spielen? Killzone: Shadow Fall war ganz nett und Knack ist zum Running-Gag geworden. Ich selbst erinnere mich sehr gut daran, dass ich damals am Veröffentlichungstag der Konsole Resogun gespielt habe, das gabs im neuen PlayStation-Plus-Abo. Danach dann das Indie-Game Contrast.
Eine Investition in die Zukunft, nicht in Halo Infinite
Ich habe mir eine PlayStation 4 gekauft, weil der Ausblick stimmte, weil Sony mir vor dem Launch ein glaubhaftes und schlüssiges Versprechen gegeben hat und weil ich mir sicher sein konnte, dass nahezu alle Third-Party-Games sehr wahrscheinlich (auch) auf PlayStation 4 erscheinen werden. Dass ich mir eine PlayStation 4 zum Launch gekauft habe, lag aber als Allerletztes am Launch-Lineup. Ich wollte sie haben, ich wollte diese neue Technik, diese neue Konsole.
Das allein dürfte für die meisten Grund genug sein, sich eine PlayStation 5 oder eine Xbox Series X am Veröffentlichungstag zu kaufen. Selbst im Falle eines so namhaften Launchtitels wie Halo Infinite möchte ich diese These aufstellen: Nur ein Bruchteil der Käufer, die bis zu dieser Woche eine Xbox Series X am Launchtag kaufen wollten, wollen dies jetzt nicht mehr tun.
Immer wieder höre ich, SpielerInnen holen sich doch für dieses oder jenes Exklusivspiel nicht extra eine teure Konsole. Warum nehmen dann so viele an, SpielerInnen würden sich zum Launch der Konsole eine teure Konsole nur wegen ein oder zwei Spielen kaufen?
Mehr denn je ist die neue Konsolengeneration ein Upgrade, das SpielerInnen vornehmen werden. Irgendwann, wenn es ihnen passt. Manche früher, manche später. Es entscheidet sich nicht an Tag X, dem Launchday, wer die meisten Konsolen verkauft. Noch nie hat es dieser Tag entschieden. Und mit Xbox Series X und PlayStation 5 wird dieser Tag X irrelevanter denn je. Beide Hersteller fahren eine Cross-Gen-Strategie. Das macht den Launch der neuen Konsolen zum Softlaunch. Die Vokabel passt per Definition nicht zu 100 Prozent, aber es klingt so, als würde sie hervorragend passen.
Die konsequente Cross-Gen-Strategie von Xbox
Xbox fährt diese Strategie noch mehr als Sony, weshalb besonders für Xbox Series X egal ist, ob Halo Infinite am Tag X im Laden steht oder nicht. Ganz nebenbei: Halo Infinite ist nach wie vor auch für Xbox One und PCs geplant. Man kauft mit Xbox Series X nicht „die neue Generation an Videospielen“. Man kauft ziemlich gute Technik, die verspricht das Optimum aus dem herauszuholen, was kommt. Aber vor allem auch aus dem, was es schon gibt.
Microsofts Strategie, eine ganze Weile lang alles auch für Xbox One und jetzt und in Zukunft auch für PCs zur Verfügung zu stellen, mag auf den ersten Blick riskant sein. Wozu braucht man denn dann noch eine Xbox? Gegenfrage: Heißt es nicht, die Software spielt das Geld ein, nicht die Hardware? Warum sollte sich das in Zukunft ändern. Alles an Microsofts Strategie gibt nicht nur den SpielerInnnen mehr Optionen, sondern auch Microsoft. SpielerInnen können entscheiden, ob sie sich um Systemanforderungen und Einzelkomponenten kümmern möchten, sich lieber ein High-End-Fertiggerät neben den TV stellen oder erstmal weiter Xbox One spielen. Microsoft bekommt im Gegenzug die größtmögliche Hardwarebasis. Und den größtmöglichen Zugang zu potentiellen Game-Pass-Kunden.
„Bewahre das Vermächtnis deiner Spiele“
Auch alles andere an Microsofts Marketing und Ausrichtung passt dazu. Mit Smart Delivery nehmt ihr eure neusten Xbox-One-Games mit, die von der neuen Technik profitieren. Aber auch unzählige Third-Party-Games profitieren ab Day One von den Verbesserungen, die Xbox Series X bietet. Es hat schon seinen Grund, dass Sony gerüchteweise bei fast allen namhaften Third-Parties vorstellig wurde, um die Möglichkeit von Exklusivinhalten wie dem Spider-Man-DLC zu Marvel’s Avengers auszuloten.
Ihr nehmt dank dem immensen Aufwand von Xbox auf dem Gebiet der Abwärtskompatibilität sogar unzählige noch ältere Xbox-Games mit und es werden mehr. Über 600 Xbox-360-Spiele sind nativ abwärtskompatibel und sie funktionieren auch auf Xbox Series X. Dazu kommen sogar unzählige Xbox-Spiele. Eurogamer hat da mal eine schöne Liste erstellt. Und natürlich kommen dann auch Xbox-One-Spiele. Der Plan ist es, dass alle Xbox-One-Games, die kein Kinect benötigen, zum Launch von Xbox Series X nativ auf der neuen Konsole laufen und dabei von deren Technik profitieren. Höherer Framerate, höherer Auflösung, signifikant kleineren Ladezeiten.
Ihr nehmt sogar einen Haufen Peripherie-Geräte mit.
Das attraktivste Digital-Abo mit dem Xbox Game Pass
Ihr bekommt mit dem Xbox Game Pass das plattformübergreifend attraktivste Digital-Abo mit etlichen neuen und alten Games jeden Monat und den Spielen der Xbox Game Studios zum Launchtag. Der Ausblick: Alle beim Xbox Games Showcase präsentierten Spiele werden für Xbox-Game-Pass-Abonnenten spielbar sein.
Was ihr schon habt, funktioniert auch auf Xbox Series X – nur besser, schöner, schneller. Und was noch kommt, ist sowieso besser, schöner, schneller. Das ist die Message. Wie schnell der Wechsel für einzelne SpielerInnen ablaufen muss, das bleibt jedem selbst überlassen. Halo Infinite war da vielleicht auch ein Faktor, aber nur einer von vielen. Xbox Series X definiert sich nicht über die neuen besten Spiele – zumindest nicht an dem so zeitnahen Tag X –, sondern über die neue beste Technik für eure Spiele.
Alles Weitere kommt mit der Zeit. Als ob Halo Infinite der Unterschiedmacher gewesen wäre. Wen, der seit Generationen PlayStation-Konsolen kauft, hätte das neue denn zum Wechsel veranlassen sollen. Aber ja, natürlich wird die Zeit kommen, in der man Unterschiedmacher braucht. Das haben God of War, Spider-Man, Uncharted, Bloodborne, Horizon Zero Dawn, The Last of Us Part II, Death Stranding und das (zeitexklusive) Final Fantasy VII Remake über die letzten Jahre bewiesen. Hier hat Microsoft meiner Meinung nach Verbesserungsbedarf in der Außenwirkung, denn innen ist da sicherlich noch einiges mehr im Gange.
Die monströs gewachsenen Xbox Game Studios
Seit 2018 rüstet Microsoft die Xbox Game Studios kräftig auf. Erst 2018, muss man sagen. Viele Arbeiten dieser Studios stehen noch ziemlich am Anfang und welche Studios das überhaupt alles waren, ist fast schon wieder in Vergessenheit geraten. Auch, weil man diesen Studios in der Zwischenzeit (offenbar) keine Fesseln anlegte. Aber allein seit 2018 sicherte sich Microsoft die Dienste von Compulsion Games (We Happy Few), Double Fine Productions (Tim Schafer), inXile Entertainment (Wasteland) sowie Ninja Theory (Hellblade), Playground Games (arbeitet nun an Fable) und Undead Labs. Auch Obsidian Entertainment gehört seit 2018 zu den Xbox Game Studios. Dazu gründete man mit The Initiative (unter der Leitung von Darrell Gallagher) ein eigenes neues Studio.
Neben State of Decay 3 von Undead Labs, Psychonauts 2 von Double Fine, einem neuen Forza, Everwild von Rare, Avowed von Obsidian Entertainment, The Medium oder Scorn dürfte Microsoft noch den ein oder anderen Titel in der Hinterhand haben. Zwar wies Phil Spencer beim Xbox Game Showcase noch einmal auf diese vielen First-Party-Studios hin und erwähnte nebenbei auch, dass man an diesem Abend nur Spiele von neun der 15 Studios zeigt. Aber da scheint noch einiges offen.
Da kann man zum Start der Generation ruhig medienwirksamer sein, andere machen das auch. Man denke nur an die Ankündigung von Final Fantasy VII Remake (Sony, E3 2015, erschienen 2020) oder Shin Megami Tensei V (Nintendo, 2017, erscheint 2021). In die Kategorie gehört sicherlich Fable. Klar, das ist nicht die feine Art und alle paar Monate gibts dann zu Recht auf den Deckel.
Aber wenn der Ausblick stimmt, wird der ein oder andere dann vielleicht auch früher „upgraden“ – auch unabhängig von Halo Infinite. Das sogenannte „Launch-Lineup“ wird meiner Meinung nach aber völlig überbewertet. Und mal ehrlich, die Quote der „besten Spiele der Generation“ unter Launchspielen ist klein, nicht ohne Grund. Man unkt auch, Halo Infinite hätte da nach derzeitigem Stand wohl auch nicht die allerbesten Karten gehabt.
Bildmaterial: Halo Infinite, 343 Industries; Resogun, Housemarque; Horizon Forbidden West, Guerrilla Games
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