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Xbox bekommt ein Identitätsproblem

Microsoft hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass die Xbox schon lange nicht mehr der Mittelpunkt des eigenen Universums ist. Der Game Pass ist es und die Zahlen der Abos über Xbox entwickeln sich schon lange nicht mehr raketenartig. Nicht der Konsole gehört die ganze Aufmerksamkeit, es ist das größere Ganze, das Ökosystem. Es kommt nicht von Ungefähr, dass der Game Pass auch über PCs abonnierbar ist, dass er auch auf Fernsehgeräten, Mobilgeräten und in der Cloud eine Zukunft haben wird und dass selbst Gerüchte über einen Export des Game Pass auf Nintendo- und Sony-Konsolen nie verklingen.

Die Xbox-Verantwortlichen leben nah am Volk, reden viel, versprechen oft. Um die Konsole hat sich eine eingeschworene Community gebildet, auch dank des sympathischen und ziemlich redseligen Phil Spencer. Was zunächst nicht zu beanstanden ist, fällt den Xbox-Führenden jetzt auf die Füße. Die Fans der Xbox-Konsole bangen um ihre Alleinstellungsmerkmale, gehen in die Offensive, kramen alte Zitate hervor und sorgen für mächtig Gegenwind. Grund sind die Meldungen um eine Veröffentlichung von Hi-Fi Rush und Sea of Thieves für andere Plattformen.

Wo hört das auf, wenn man jetzt damit anfängt, so der Tenor vieler Xbox-Fans. Was kommt als Nächstes, Forza? Starfield? Das kann doch wohl nicht wahr sein. Die Xbox soll doch der beste Place sein, um diese Spiele zu erleben, das ist die Message, die Xbox-Chefs rauf und runter beten. Bald gibt es diese Spiele überall? Viele Xbox-Fans fühlen sich bestohlen.

„Irgendwann werden Xbox-Fans es glauben müssen, wenn das Xbox-Team sagt, eine Xbox ist „nice to have“ – nicht „need to have“ – um am Ökosystem teilzuhaben“, twittert NPD-Analyst Mat Piscatella. Auch er liebe das Konsolenerlebnis und wolle, dass es gedeiht. „Und man kann mit der Strategie nicht einverstanden sein und sie sogar unattraktiv finden. Aber man kann nicht sagen, dass das Xbox-Team seine Botschaften zu diesem Thema seit Jahren nicht klar und konsequent formuliert hat“, so Piscatella weiter.

Was dürfen Xbox-Fans denn glauben?

Viele Xbox-Fans sehen das anders, erinnern an Jahre alte Interviews oder legen sich Aussagen so zu Recht, bis sie passen. Der beste Platz, um diese Spiele zu spielen, das sei doch das Versprechen, das liest man immer und immer wieder in den sozialen Netzwerken. Xbox-Fans fühlen sich dieses Versprechens beraubt. Das ist schon nüchtern betrachtet natürlich Unsinn, denn wenn Hi-Fi Rush nach Monaten auch für Nintendo Switch erscheinen würde, dann beeinträchtigt das natürlich in keinster Weise das Spielerlebnis auf Xbox. Aber geht es wirklich nur um das Spielerlebnis? Einige Xbox-Fans denken auch größer.

Und man kann es ihnen – so oder so – nicht verdenken. An der Spitze des Protests stehen prominente Influencer, teils mit schon mehreren Shoutouts von Xbox-Verantwortlichen, beispielsweise klobrille. Zu den Meldungen um Hi-Fi Rush kramt er ein Interview von 2020 hervor. Da sagte Phil Spencer, es gefalle ihm nicht wirklich, dass bei „jedem unserer Spiele dieses kleine Gerücht auftaucht“. Würde es auf der Switch landen oder nicht? „Ich denke, wir sollten bei unseren Fans eine bessere Erwartungshaltung wecken“, so Spencer damals. „Fans werden Xbox nach Worten und Taten beurteilen“, kommentiert der ansonsten recht nüchterne und differenzierte klobrille knapp. Der Tweet bekommt über 430.000 Impressionen.

2021 kommentierte Phil Spencer in einem Interview den Bethesda-Deal, gerichtet an Xbox-Käufer, so: „Es geht darum, großartige exklusive Spiele für Sie [die Xbox-Kunden] zu liefern, die auf Plattformen erscheinen, auf denen der Game Pass existiert.“ Tom Warren, Senior Editor bei The Verge, hat das Video damals geteilt und auf nur eine Minute rund um diesen Satz geschnitten, doch schon der Rest bietet allerhand Kontext, viel Spielraum, und etliche Ausnahmen, bevor sich Spencer auf den zitierten Satz festlegen kann. „I’ll try to be as clear as I can“, sagt er am Anfang. Na ja. Jetzt wird Spencer an diesem einen Satz gemessen.

Volksnähe fällt Xbox-Chefs auf die Füße

Das fortwährende Umgarnen der Community und die gelebte Volksnähe der Verantwortlichen, gemeinsam mit oft nicht ganz eindeutigen Versprechen, sitzen Xbox jetzt im Nacken. Xbox-Fans nennen den, der ihnen seine Produkte für teures Geld verkauft, gern liebevoll beim Vornamen. Phil ist ein Kumpeltyp. Zockt selber viel. Aber er berichtet am Ende des Tages auch nach oben.

Die Strategie, die Microsoft und Xbox verfolgen, ist eigentlich kein Geheimnis. Das Ökosystem muss wachsen, über alle Geräte, und die Xbox ist nur eines davon. Es wächst aber nicht, indem man Hi-Fi Rush für die Switch portiert und Sea of Thieves auf PlayStation bringt. Es schadet aber auch nicht, werden viele sagen. Heute ist das wieder alles ein bisschen egal, denn Xbox will beim Developer_Direct am 18. Januar unter anderem Indiana Jones zeigen.

Zumindest ein gutes Timing, aber seine Strategien verkauft Xbox nicht gut. Worauf können Xbox-Fans denn vertrauen? Erst im November hat CFO Tim Stuart betont, man wolle den Game Pass auf „jeden Bildschirm bringen, der Spiele abspielt“ und denke dabei auch über PlayStation und Nintendo nach. Im Dezember sagt Phil Spencer, man habe keine Pläne, den Game Pass auf Nintendo- oder PlayStation-Geräte zu bringen. Vielleicht sollten die Xbox-Verantwortlichen doch ein bisschen weniger reden. Sonst bekommt die Xbox wirklich ein Identitätsproblem. Es wäre ein Stück weit hausgemacht.

Bildmaterial: Xbox