Was macht man mit einem Leak wie jenem zu Grand Theft Auto VI? Es ist eine schwierige Frage und es gibt gewiss viele Meinungen dazu. Natürlich habe ich auch eine, deshalb habe ich gerade angefangen, diesen Text zu tippen.
Grundsätzlich bin ich Leaks nicht abgeneigt. Im besten Fall haben alle einen Nutzen davon. Die Öffentlichkeit erfährt von Dingen, die für sie interessant sind oder interessant sein sollten. Auch für die vermeintlich Geschädigten könnten die veröffentlichten Informationen am Ende von Vorteil sein. Klassisches Beispiel: Berichte über schlechte Arbeitsbedingungen.
Kein Mehrwert für niemanden
Es gibt auf der anderen Seite einige Leaks, von denen sage ich sofort: Das hat keinen Mehrwert, für niemanden. Wenn nur Stunden vor der eigentlichen Vorstellung die Existenz eines Spiels geleakt wird, dient das nur dem Ego des Leakers. Es ist nicht so, dass ich hier Publisher und ihre Werbeshows verteidigen will. Genau das sind die State of Plays und Nintendo Directs dieser Branche natürlich. Eine Aneinanderreihung von Werbespots.
Aber wenn nur Stunden vor der eigentlich Ankündigung ein The Last of Us Part I mit Gameplay-Clips geleakt wird, dann ist das für mich ein klassisches Beispiel für einen unnützen Leak. Nicht, weil ich es in Werbeshows hätte sehen wollen. Sondern, weil ich keinen Mehrwert darin sehe, das Spiel 15 Stunden vorher durch unautorisierte, möglicherweise gestohlene Informationen zu sehen, in deren Konsequenz mindestens ein Mensch zu (psychischem) Schaden kommt und arbeitsrechtliche Konsequenzen fürchten muss. Und ja, ich glaube Neil Druckmann, dass ihn das ankotzt und verletzt. Auch diesmal war er übrigens eine der ersten Branchengrößen, die sich zum Leak äußerten. Er fand tröstende Worte für die Entwickler.
Natürlich gibt es auch unterschiedliche Leaks. Es gibt Leaks wie jene zu GTA VI. Unmengen an gestohlenem Material, unautorisiert veröffentlicht. Dann gibt es natürlich auch „Leaks“, welche die Bezeichnung nicht verdienen. Wenn Alterseinstufungsbehörden mal wieder unaufmerksam arbeiten, Trademarks in öffentlichen Datenbanken auftauchen oder Publisher selbst Informationen unabsichtlich frühzeitig veröffentlichen. Auch die „Enthüllung“ der bloßen Existenz von Spielen würde ich ggf. für berichtenswert halten. Beispiel: Silent Hill. Konami täte wirklich gut daran, hier mal endlich ein Statement abzugeben.
Wo ist also der Leak zu Grand Theft Auto VI anzusiedeln? Irgendwo dazwischen? Keine Frage, das Interesse an Grand Theft Auto VI ist riesig. Und die Geheimhaltungsdoktrin der Branche ist natürlich stellenweise absurd, auch wenn das in den letzten Monaten und Jahren schon eine leicht andere Richtung nimmt.
Allein Kickstarter hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass wir mehr Einblicke bekommen haben, wenn wir sie denn wollten. Aber auch AAA-Games werden inzwischen früher enthüllt, manchmal sogar auf unkonventionelle Weise. Electronic Arts stellte skate mit einem „Still Working on it“-Trailer vor.
Auch zu Dead Space zeigten die Macher kurz nach der Ankündigung „sehr, sehr frühes Material“ aus dem Spiel. Dass Spiele inzwischen viel früher angekündigt werden, liegt aber nicht unbedingt daran, dass Publisher einen Sinneswandel vollzogen haben. Die Arbeit an einem hochkarätigen Spiel zieht auch qualifizierte Arbeitskräfte an.
Wo ist der Nutzen dieses Leaks?
Aber reicht es, diesen Leak nur damit zu rechtfertigen, dass Take-Two und Rockstar Games (noch) nichts zu Grand Theft Auto VI verraten wollen? Die Reaktionen vieler „Fans“ heute belehren uns eines Besseren und geben den Publishern recht. Viele wissen schlicht nicht, wie ein Spiel dieser Größe in einer frühen Entwicklungsphase aussieht. Das ist nicht unbedingt die Schuld der Fans, das muss man auch sagen.
Nun, aber wo ist denn der Nutzen dieses Leaks, wenn am Ende fast alle Schaden davontragen? Fans sind enttäuscht. Die Entwicklung wird jetzt wohl eine Zeit lang ruhen, der Leak hat den Veröffentlichungstermin sicher nicht nach vorn verschoben. Entwickler – die Menschen – sind enttäuscht. Nur Take-Two wird es am Ende des Tages nicht großartig jucken. Es besteht nicht die Gefahr, dass dieser Leak den Millionenerfolg von Grand Theft Auto VI in einigen Jahren wesentlich schmälert.
Es besteht hingegen schon die Gefahr, dass Take-Two und Rockstar Games das Home-Office einschränken und restriktivere Arbeitsbedingungen einführen. Denn das hat diesen Leak mutmaßlich ermöglicht oder zumindest begünstigt. Ganz zu schweigen davon, was jetzt der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin ausstehen muss, die diesem Angriff zum Opfer gefallen ist.
Nicht berichten? Nicht mehr.
Was also tun? Nicht berichten? Spätestens mit dem Leak selbst hat das Thema dann doch ein öffentliches Interesse. Ähnlich würde ich auch die Nintendo-Leaks einordnen oder die Videos zu Elden Ring vor der Ankündigung. Die Katze ist aus dem Sack, die Menschen wollen wissen, was da passiert ist, was noch passieren kann. Wie das passieren konnte und welche Konsequenzen es für das Spiel, den Publisher und Dritte hat. Es gibt sicher Leaks, um die kommt man nicht umhin.
Der Leak zu Grand Theft Auto VI dürfte einer der größten der Videospielgeschichte sein. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, darüber zu berichten. Man kann noch vor der Verifizierung des Materials Sensationsberichte tippen und das Material mit Social-Media-Posts und YouTube-Videos direkt einbinden. Es gibt aber natürlich auch distanziertere, einordnende Berichterstattung. Was man wohl nicht verlangen kann, ist nicht darüber zu schreiben. Jetzt leider nicht mehr.
Bildmaterial: skate, Electronic Arts