Seit einiger Zeit ist Fantasian exklusiv für Apple Arcade erhältlich. Es ist das neue Spiel von Hironobu Sakaguchi und Mistwalker. Sakaguchi ist euch natürlich ein Begriff. Er hob 1987 mit Kollegen wie Nobuo Uematsu, Hiromichi Tanaka und Akitoshi Kawazu Final Fantasy aus der Taufe. Schon 2004 – das ist inzwischen eine ganze Weile her – verließ Sakaguchi Square um mit Mistwalker seine eigene Firma zu gründen. Dort entstanden beispielsweise Lost Odyssey und The Last Story.
Wir hatten die großartige Gelegenheit, Hironobu Sakaguchi anlässlich der Veröffentlichung von Fantasian einige Fragen zu stellen. Wir sprechen über die grandiosen Dioramen und die ausufernde Arbeit daran, über den Tagesablauf eines Hironobu Sakaguchi. Über Remakes seiner alten Spiele. Und, wie er sich von Änderungen an seinem Konzept des „Active Time Battle“ überzeugen ließ.
Viel Spaß beim Lesen!
In all den Jahren bekam ich die Gelegenheit, viele japanische Entwickler zu treffen. 2011 traf ich Uematsu-san in Köln – ein Traum. Er hat mir damals gesagt, er hat Lost Odyssey und Blue Dragon nur zur Hälfte gespielt. Das hat er Ihnen bestimmt nie gesagt, oder? (grinst)
Hironobu Sakaguchi: Das habe ich nicht gewusst. (grinst)
Ihr neues Spiel heißt Fantasian und es sieht fantastisch aus. Ich habe ihre Behind-the-Scenes-Videos bei Twitter gesehen. Diese Kunst ist so filigran und die Ergebnisse so wunderschön. Bitte erzählen Sie mehr über die Arbeit dieser Künstler. Ich habe gelesen, diese Künstler arbeiten schon lange in der Tokusatsu-Industrie. Wie lange arbeitet ein Künstler an einem Diorama?
Die Dioramen unterscheiden sich sehr in ihrer Größe, aber die meisten sind etwa 2 m x 1 m groß. „Interior“-Sets (Innenräume) sind etwa 50 cm x 50 cm groß. Ein Diorama zu erstellen dauert in etwa drei Monate. Einige der aufwendigeren Sets können aber auch bis zu sechs Monate benötigen.
Wir haben dazu mit Diorama-Künstlern von 10 verschiedenen Firmen gearbeitet, darunter auch einige berühmte Künstler der „Tokusatsu“-Branche, Modellbau-Firmen, Puppenhaushersteller und sogar Firmen, die physische Modelle von architektonischen Strukturen erstellen. Insgesamt waren etwa 150 Menschen dabei, diese Dioramen per Hand zu fertigen.
Jede Firma hat dabei ihre Stärken und Schwächen, einige bevorzugen lieber natürliche Landschaften, andere wiederum sind sehr gut darin, von Menschen gemachte Strukturen (wie die Thaumatech-Firma zu Beginn des Spiels) zu erstellen. Wir haben versucht, die Stärken aller zu nutzen, indem wir den Studios verschiedene Sets zugewiesen haben.
Kennen Sie Octopath Traveler? Ich finde es ebenso schön, es hat auch eine Diorama-Optik. Aber es ist alles digital erstellt, während Fantasian auf „echten“ Dioramen basiert. Können Sie uns erklären, wie man diese Dioramen in das Spiel überträgt? In welchem Ausmaß werden die Dioramen digital nachbearbeitet?
Ich habe es nicht selbst gespielt, aber ich kenne es. Es ist wirklich ein wunderschönes Spiel aus Pixelkunst. Die Dioramen von Fantasian werden zuerst aus 200 bis 300 verschiedenen Perspektiven fotografiert.
Diese Fotos werden anschließend über mehrere Prozesse verarbeitet, die normalerweise zum Erstellen von 3D-Modellen ganzer Städte verwendet werden. Auf diese Weise können wir die 3D-Daten des Dioramas in die Spiel-Engine importieren. In der Zwischenzeit bringen wir die Dioramen in ein Fotostudio. Dort werden die Sets gut beleuchtet, damit sie fotografiert werden können. Die Studio-Fotografien der Dioramen werden dann auf die 3D-Modelle projiziert.
Dieser Prozess erzeugt Grafiken, die SpielerInnen das Gefühl geben werden, sich tatsächlich durch die Dioramen zu bewegen. Viel mehr, als wenn wir einfach nur Fotos für Texturen der 3D-Modelle verwendet hätten. Dazu kommt, dass wir Kollisionen im Spiel ganz genau definieren können und Nachbearbeitungseffekte hinzufügen können, da wir die 3D-Daten haben.
Uematsu hat in einem Interview gesagt, er steht um 5 Uhr auf und arbeitete bis 18 Uhr an der Musik zu Fantasian. Dann trank er ein Bier und ging ins Bett. Wie sieht ein Arbeitstag von Hironobu Sakaguchi aus? Ich glaube, Sie arbeiten auch viel. Aber dann gehen Sie surfen?
Als ich Fantasian entwickelte, surfte ich nicht. Es mag mit meinem Alter zu tun haben, aber zuletzt wachte ich immer auf, als die Sonne aufging und es draußen noch ein wenig dunkel war.
Dann beginnt meine Routine. Ich trete auf die Terrasse hinaus, die mit meinem Büro verbunden ist, und schaue mir die Farben des Sonnenaufgangs an. Wenn er sehr schön ist, fotografiere ich den Himmel für eine Weile. [Anmerkung: Das lässt sich auch sehr gut auf seinem Twitter-Account nachvollziehen.] Dann koche ich Kaffee und gehe zu meinem Schreibtisch. In Japan ist es dann fast Mitternacht, ich kann also ein paar Nachrichten in Echtzeit von dem Team in Japan ansehen.
Dann bin ich bereit, in meine eigene Arbeit einzutauchen. Wenn es bei mir etwa 15 Uhr ist, dann ist es in Japan 10 Uhr morgens und die ersten Leute tauchen wieder in den Büros auf. Ich habe dann manchmal ein paar Meetings. Das geht dann bis etwa 19 Uhr. Ich esse dann zu Abend und öffne eine Flasche Wein. Es gibt wenige Dinge, die ich mehr genieße als diesen Moment am Tag. Nach dem Abendessen schaue ich manchmal noch einen Film und gehe gegen 23 Uhr schließlich schlafen.
Ich habe Uematsu 2011 als einen unglaublich netten Menschen kennengelernt. Ich war so nervös beim Interview. Aber er war sehr locker, das half mir sehr. Er hat so viel Spaß an der Musik, auch nach all den Jahren. Sie arbeiten seit Jahrzehnten mit Uematsu zusammen. Sie sind auch Freunde geworden, oder? Wie können wir uns ihre Zusammenarbeit vorstellen?
Unsere arbeitsbezogenen Interaktionen erfolgen alle per E-Mail. Wir sind beide etwas schüchtern. Wir können deshalb bestimmte Dinge, die wir uns nicht ins Gesicht sagen können, bequemer per E-Mail regeln. Wir hatten zum Beispiel einen sehr tiefgründigen Austausch über E-Mail zum Thema: „Woher kommt die menschliche Güte?“. Der Prozess der gegenseitigen Bestätigung vom Verständnis des anderen war sehr wichtig bei schwierigen Themen des Spiels.
Viele unserer Leser lieben klassische, japanische RPGs – Sie auch! Ich habe gelesen, die Idee zu Fantasian kam Ihnen vor einigen Jahren, als Sie Final Fantasy VI mit Famitsu-Redakteuren spielten. Von der Idee bis zum Beginn der Entwicklung ist es ein langer Weg. Wie sieht dieser Weg aus, wie kam die Zusammenarbeit mit Apple zustande?
Am 28. Februar 2018 bekam ich die Gelegenheit, mit einigen meiner alten Kollegen, die das Spiel entwickelt hatten, Final Fantasy VI zu spielen. Danach begann ich über Fantasian nachzudenken und hatte das erste Konzept im Juni 2018 fertig. Etwa drei Monate nach der Ausstrahlung. [Anmerkung: Sakaguchi spielte für die Famitsu vor laufender Kamera, die Aufzeichnung findet ihr hier.]
Von da an verbrachten wir etwa weitere sechs Monate, um die Geschichte zu vervollständigen. Gleichzeitig sammelten wir Director [Takuto] Nakamura, Art Director [Jun] Ikeda und den Rest des Fantasian-Teams um uns herum.
Das Thema Apple Arcade kam schon vor der Ausstrahlung auf. Ich habe zwei Freunde im Apple-Hauptquartier, mit denen ich oft zu Abend gegessen habe. Diese zwei waren Teil des Teams, welches Apple Arcade aufgestellt hat. Sie fragten mich: „Möchtest du etwas mit uns machen?“.
Sie haben Final Fantasy damals 1987 erschaffen, aber Square schon 2004 verlassen. In all den Jahren, immer wenn Sie etwas machen oder sagen, erinnert man sich an Final Fantasy und vergleicht es damit. Können Sie das überhaupt noch hören? Oder sind Sie der Marke auch heute noch sehr verbunden? Verfolgen Sie die neuen Spiele?
Es ist wahr, dass ich diese Spiele entwickelt habe und alle Projekte waren ein natürlicher Ausdruck dessen, was ich machen wollte. Wenn meine Spiele mit den alten Final-Fantasy-Spielen verglichen werden, ist es irgendwie auch ein Vergleich mit meinem alten Ich, oder?
Um ehrlich zu sein, machen mir die Vergleiche überhaupt nichts aus.
Fantasian ist das Ergebnis meiner FF6-Spielsession mit meinen alten Kollegen. Das gab mir die Gelegenheit, über meinen eigenen Start in die Branche nachzudenken. Es ist ähnlich wie ein altes Fotoalbum durchzublättern und mich daran zu erinnern, was ich vor langer Zeit gefühlt habe – in diese reine und ehrliche Kreativität einzutauchen, die ich hatte.
Als ich älter wurde, gab es ein paar Sedimente, die meinen Geist trübten. Das Nachdenken über meine Vergangenheit half mir auch, mich Fantasian mit einem viel klareren mentalen Zustand zu nähern.
Ich liebe klassische, rundenbasierte Kampfsysteme und auch Zufallskämpfe. Aber viele sagen, diese Systeme sind heute nicht mehr zeitgemäß. Mit dem Dimengeon-System haben Sie einen hervorragenden Kompromiss geschaffen, der auch ausgezeichnet zum Konzept von Mobile-Games passt. Erzählen Sie uns, wie die Idee für dieses System gereift ist!
Zu Beginn der Entwicklung steuerte ich meinen Charakter durch die Diorama-Welten und steckte eine Nadel auf eine weit entfernte Schatzkiste, viele Ebenen entfernt von dort, wo mein Charakter war. Ich wollte auf diese Weise nur testen, wie gut meine Programmierer waren.
Aber als ich sah, wie der Charakter die verschiedenen Karten durchquerte, begann ich damit, einfach zuzusehen, wie er die Diorama-Welt erkundete. Es fühlte sich wie eine Schande an, dieses Gefühl mit Zufallskämpfen zu unterbrechen.
Als wir dann die Idee für das Dimengeon-System hatten, haben wir noch die Anzahl der Monster, die der Spieler verstauen kann, begrenzt und Gimmicks und Power-ups hinzugefügt, um die Begegnungen für die Spieler zufriedenstellender zu gestalten. Diese Mechanik durchlief mehrere Phasen, bevor sie die Form erreichte, die ihr heute seht.
Sie sagten in einem Interview, dass es Ihr Konzept von Spiele-Entwicklung ist, die Meinungen von anderen zu hören und ihre Ideen zuzulassen. Auch wenn sie nicht Teil ihres ersten Konzepts waren. Klingt, als wären Sie echt ein guter Chef! Können Sie ein Beispiel aus einem alten oder aktuellen Spiel nennen, wo Sie sagten: „Wow, diese Idee ist viel besser als meine – wir machen es so!“?
Nehmen wir zum Beispiel die „Active Time Battle“-Mechanik. Als ursprünglich vorgeschlagen wurde, das Zeitelement in die rundenbasierten Kämpfe einzuführen, war ich gegen diese Idee. Trotzdem war es wichtig, einen Prototyp dieser Mechanik zu entwickeln.
Es gibt viele Elemente von Spielen, von denen man einfach nicht weiß, ob sie Spaß machen oder nicht, bis man sie gespielt hat.
Am Ende wurde mir in dem Moment, als ich den Prototyp gespielt hatte, klar, dass die „Active Time Battle“-Mechanik es wert war, weiterentwickelt zu werden. „Beeindruckend! Das ist viel besser als meine Idee! Lasst es uns so machen.“
Der Rest ist Geschichte.
Ich weiß, dass es nicht unbedingt Ihr Verständnis von Spieleentwicklung ist, alte Spiele einfach noch einmal zu veröffentlichen. Sie möchten lieber neue Welten erschaffen, neue Ideen realisieren. Ich weiß natürlich auch nicht, wie es um Rechte und Lizenzen steht. Aber einmal angenommen, Microsoft würde Ihnen sagen: „Mr. Sakaguchi, wir möchten Lost Odyssey und Fantasian gerne auf der Xbox Series sehen!“. Das ist möglich, immerhin möchte Microsoft gerne ein japanisches Publikum begeistern! Würden Sie zusagen und die Projekte bei entsprechendem finanziellen Rückhalt vielleicht outsourcen?
Remakes erfordern eine immense Energie, um sie zu erstellen. Das gilt umso mehr, wenn die Hardware-Spezifikationen sehr hoch sind, da die Grafik auf die Hardware zugeschnitten werden muss. Ansonsten macht ein Remake keinen wirklichen Sinn.
Wenn man ein Spiel von diesem Kaliber entwickelt, unterscheidet es sich nicht wesentlich von der Erstellung eines völlig neuen Spiels.
Wenn ich die Wahl hätte, würde ich meine Energie lieber für die Erstellung eines neuen Spiels einsetzen. Es macht einfach immer Spaß, neue Mechaniken und Ideen sowie Geschichten und Settings zu entwickeln. Das ist für mich die größte Quelle der Kraft.
Vielen Dank für Ihre Zeit, Sakaguchi-san!
Bildmaterial: Fantasian, Mistwalker – Final Fantasy VI, Square Enix – Lost Odyssey, Mistwalker, Final Fantasy V, Square Enix