Bildmaterial: Pokémon Let’s Go, The Pokémon Company / Nintendo
Vor mehr als drei Jahren stellte Nintendo unter viel Aufsehen die Partnerschaft mit dem japanischen Mobile-Riesen DeNA vor. Man verkündete gemeinsam, in Zukunft Spiele-Apps zu entwickeln, die auf Nintendo-IPs basieren. Nicht etwa komplett neue IPs oder abgespeckte Portierungen, sondern komplett neue Spiele zu den am besten gehüteten Marken der Nintendo-Geschichte. Allen voran Super Mario, aber auch Pokémon. So gut wie die Nachricht bei Investoren einschlug, so nervös und aufgebracht waren Fans klassischer Nintendo-Videospiele. Die nächsten Super-Mario-Spiele, das neue Pokémon, vielleicht sogar bald das neue Zelda – nur noch Mobile-Games? Pures Entsetzen.
Schon damals zeigte Nintendo aber klipp und klar auf, dass diese Mobile-Zusammenarbeit sich nicht auf die Entwicklung klassischer Spiele und Geräte auswirkt. Wenn man bei Nintendos fast 130-jähriger Geschichte überhaupt davon sprechen kann, dass Videospiele schon ein „klassisches“ Geschäft wären. Zur Ankündigung der DeNA-Partnerschaft hieß es, dass es der Plan sei, neue Nutzer auf die Idee zu bringen, sich klassische Nintendo-Geräte zu kaufen. „Wenn Spieler die einzigartige Art des Gameplays erfahren, die es bei Nintendo gibt, werden sie die Möglichkeit haben, diese Erfahrung auf Nintendo-Systemen zu vertiefen“, hieß es.
Pokémon: Let’s Go ist der Kronprinz des Mobile-Plans
Pokémon: Let’s Go ist die absolut konsequente Entwicklung dieses Plans, in einer Art und Weise, wie es für Nintendo nicht hätte besser laufen können. Und für Nintendo laufen Pläne eigentlich in Regelmäßigkeit nicht gut. Pokémon: Let’s Go ist der Idealfall, es ist der Kronprinz dieses vor langer Zeit geschmiedeten Plans. Es ist alles so glasklar, dass man Nintendo eigentlich nur dazu gratulieren kann. Die Abneigung der Core-Spieler kann ich verstehen, aber ich kann nicht verstehen, wie man nicht sehen kann, dass Pokémon: Let’s Go eine nahezu zwangsläufige Idee ist.
Wie 2015 muss Nintendo die Core-Fans beruhigen
Als Nintendo die DeNA-Zusammenarbeit vorstellte, war von Nintendo Switch noch keine Spur. Im selben Atemzug der Ankündigung musste man den Core-Fans damals deshalb den Beweis erbringen, weiterhin für sie gerade zu stehen. Nicht auszudenken, wenn sich Nintendo tatsächlich eines Tages – wie schon so oft in der Geschichte – wirklich mal verändert. „Als Beweis dafür“, hieß es, dass „Nintendo weiterhin an den klassischen Gaming-Markt glaubt“, bestätigte man damals erstmals die Arbeit an einer brandneuen Gaming-Plattform, die später als Nintendo Switch veröffentlicht wurde.
Seitdem sind übrigens mit Super Mario Odyssey und Zelda: Breath of the Wild zwei neue klassische Videospielerlebnisse erschienen, die als die besten der jeweiligen Serien gelten dürfen. Davon, dass das Mobile-Gaming also seit 2015 wie befürchtet auch nur irgendwas ansatzweise vermiest oder weggenommen hätte, kann also gar keine Rede sein. Und trotzdem, auch heute musste man die Ankündigung von Pokémon: Let’s Go um einen ganz wesentlichen Aspekt ergänzen, der für Fans mehr ist als eine Randnotiz. Pokémon: Let’s Go ist nur ein Ableger. Das Core-Pokémon-RPG für Nintendo Switch ist ein ganz anderes Spiel, es habe nichts mit Pokémon Go zu tun. Ruhig Blut. Das hindert einige Fans natürlich trotzdem nicht daran, ihrer Enttäuschung freien Lauf zu lassen.
Pokémon: Let’s Go macht in jeder Hinsicht Sinn
Pokémon Go wurde 800 Millionen Mal heruntergeladen. Das spielt längst keiner mehr, werdet ihr sagen. Ja, der große Hype ist ganz schön abgeflacht. The Pokémon Company hat im Launchjahr 145,6 Millionen US-Dollar Nettogewinn eingefahren. Aber im letzten Geschäftsjahr, das erst im März 2018 endete, waren es immer noch 80,8 Millionen US-Dollar Reingewinn. Wie viel das ist? Nun, es ist in etwa soviel wie in den 18 Geschäftsjahren davor – zusammengerechnet. Pokémon Go ist nach wie vor erfolgreich und kann auf Downloadzahlen und eine Spielerschaft zurückblicken, die größer sind, als es sich jedes klassische Nintendo-Spiel auch nur vorstellen könnte. Es wäre der absolute Irrsinn, das nicht zu instrumentalisieren. Zumal Nintendo ja genau das ohnehin auch angekündigt hatte, schon 2015.
Man kann gewiss sagen, dass ein neues Core-Pokémon ein planbarer Erfolg ist. Aber warum sollte er nicht noch größer ausfallen. Pokémon: Let’s Go unternimmt nun wie angekündigt den Versuch, neue Nutzer auf die Nintendo-Geräte zu bringen. Es sind 800 Millionen potentielle neue Switch-Käufer. Es sind zum Großteil potentielle Käufer, die ein festes Einkommen haben. Zum Großteil sind Pokémon-Go-Player zwischen 18 und 29 Jahre alt. Immer noch 25% sind zwischen 30 und 50 Jahren alt. Diese Kundschaft muss sich die Switch nicht vom Taschengeld absparen. Es sind Neu- oder Wiedereinsteiger in die Videospielwelt, die mit einem etwas anspruchsvolleren Gameplay als Pokémon Go es bot (wieder) hineinwachsen, aber nicht überfordert werden. Dass jeder einzelne dieser potentiellen neuen Nutzer dann später auch für das kommende Core-RPG ein Thema sein kann, sollte dann auch klar sein.
Nach Let’s Go wäre alles möglich…
Wer sich doch noch ein bisschen daran erinnert, wie das „damals“ mit den Videospielen so war, der findet auf dieser Nintendo Switch Super Mario Odyssey und Zelda: Breath of the Wild, zwei der besten Serienvertreter. Hach, da war ja was, früher. Und darüber hinaus ist alles möglich. Es gibt inzwischen genug Casual-Games, aber es gibt auch genug sogenannte Core-Games, um jede beliebige Erfahrung zu vertiefen. Der Tisch ist gedeckt. Pokémon Quest ist ab sofort erhältlich. Free-to-play.
Pokémon: Let’s Go ist die ideale, ganz behutsame Mischung
Der Pokémon-Go-Appeal von Let’s Go ist dabei groß genug, um Go-Spieler anzusprechen. Let’s Go bietet aber auch genug klassischen Charme, um einige Core-Fans abzuholen. Es gibt einige auf den ersten Blick sehr intuitive Spielfunktionen, die sofort an das Mobile-Game erinnern. Und es gibt einige neue Spielfunktionen, die viel Spaß versprechen, allen voran der Zweispieler-Modus. Nicht zuletzt kann das Spiel sich mit dem Mobile-Ableger verbinden, um Pokémon zu übertragen. Pokémon-Go-Spieler sollen ausdrücklich belohnt werden. Es wird sogar etwas „Besonderes“ versprochen, um die Verbindung zwischen den Spielen noch attraktiver zu machen.
Dass selbst Pokémon Plus in Form des neuen Pokéball Plus konsequent weiterentwickelt wurde, setzt dem die Vertrautheitskrone auf. Die Charmeoffensive wird komplettiert durch den Fakt, dass Pokémon: Let’s Go auf Pokémon Gelb basiert. Jeden, für den Pokémon Go der Erstkontakt war, wird das nicht interessieren. Doch für alle, die einst mit Pokémon Rot und Blau angefangen haben, schreit das förmlich nach: „Du meinst mich! Oh man, ja, wie früher!“ Klar, wer die Kanto-Region das x-te Mal besucht, wird nach etwas Neuem schreien. Aber spätestens jetzt sollte man begreifen, dass Let’s Go nicht jeden Core-Fan ansprechen will.
Ob Let’s Go gut wird, steht auf einem anderen Blatt
Ob Pokémon Let’s Go gut wird, das weiß ich natürlich nicht und das ist auch nicht Gegenstand dieses Textes. Man kann durchaus Überlegungen anstellen, warum Dinge drin sind, die drin sind und Dinge fehlen, die fehlen. Allen voran der Online-Modus. Aber wenn man sich ansieht, wie behutsam Nintendo in Let’s Go die Spielmechaniken verwendet und erweitert, dann könnte man auch im Hinblick auf das kostenpflichtige Nintendo Switch Online zum Schluss kommen, dass Let’s Go vielleicht einfach nicht das Pokémon-Spiel für einen Online-Modus ist. Nur eine Überlegung freilich, aber diese ließe sich vielleicht auch bei vielen anderen Dingen anstellen. Aber um Pokémon: Let’s Go im Detail zu bewerten, dafür ist es natürlich sowieso noch zu früh. [Update: Laut IGN wird Let’s Go keinen klassischen „Online-Service“ bieten, also nicht über Nintendo Switch Online, wohl aber für Kämpfe und das Tauschen eine Online-Verbindung nutzen. Der Koop-Modus wird aber sicher lokal bleiben und nicht online spielbar sein, so meine Schlussfolgerung daraus.]
Wenn ihr überhaupt nicht verstehen könnt, warum Pokémon Let’s Go anderen Menschen gefallen könnte, ist das total ok. Das kann viele Gründe haben. Einer ist höchstwahrscheinlich, dass ihr sowieso nicht die Zielgruppe seid. Dann tut bitte nicht so, als müsse euch Let’s Go gefallen. Muss es nicht. Bei Pokémon Quest scheint das ja auch jeder zu erkennen. Und damit meine ich nicht, dass ihr nicht erklären dürft, warum euch Pokémon: Let’s Go nicht gefällt. Wartet einfach bis 2019!