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Im Interview! Takashi Tokita über Live A Live, seinen Werdegang und die Zukunft der Marke

Die 90er-Jahre gelten für viele RPG-Fans als die goldene Ära japanischer Rollenspiele. Viele der bis heute hoch gelobten Vertreter dieser Zeit schafften es auch zuverlässig in westliche Gefilde. Ein paar echte Perlen blieben aber auf der Strecke.

So auch Live A Live. Rollenspiel-EnthusiastInnen blickten neidisch nach Japan – besonders hartnäckige Fans halfen sich notgedrungen mit Fan-Übersetzungen aus. Im letzten Jahr fand dieser Umstand dann aber zum Glück ein Ende. Im Juli 2022 erschien Live A Live nämlich in revitalisierter Form für Nintendo Switch. Im April 2023 folgten Versionen für PlayStation und Steam. Wir waren in unserem Test sehr angetan vom episodischen RPG-Geheimtipp, der auch fast 30 Jahre später noch frisch wirkt.

Nun hatten wir die Gelegenheit mit Produzent – und Director des Originals – Takashi Tokita zu sprechen. Diese Chance haben wir natürlich genutzt, um ihn zu fragen, was ihm die erstmalige Lokalisierung für den Westen bedeutet. Er spricht aber auch über seinen interessanten Werdegang und verrät, wie es um eine Fortsetzung zu Live A Live stünde.

Viel Spaß beim Lesen!

Takashi Tokita im Gespräch über Live A Live

Sie waren bereits für das Original-Spiel „Live A Live“ aus dem Jahre 1994 verantwortlich. Was bedeutete es für Sie persönlich, dass nun das Remake im Jahre 2022 veröffentlicht wurde? Insbesondere vor dem Hintergrund der erstmaligen Lokalisierung für den Westen!

Tokita: Es ist ein absolutes Wunder! Ich habe wirklich das Gefühl, dass dies die Erfüllung eines bestimmten Schicksals ist – als wäre ich aus ebendiesem Grund all diese Zeit bei Square Enix gewesen. Natürlich wäre das nicht ohne die Fans möglich gewesen, die das Original spielten und ihre Leidenschaft für Live A Live über die Jahre hinweg teilten. Also nochmal, vielen Dank an alle!

Sie haben einmal erzählt, dass es 2015 schon mal Pläne gab, Live A Live für die Wii U Virtual Console zu veröffentlichen. Woran scheiterten diese Pläne? Traurig müssen wir rückblickend nicht sein, schließlich haben wir jetzt ein Remake im tollen HD2D-Look bekommen. Hätte es ohne die HD2D-Möglichkeit vielleicht gar kein Remake mehr gegeben?

Tokita: Es hat es nie ins Ausland geschafft, aber in Japan gab es eine Veröffentlichung für die Wii U Virtual Console. Das war ein wichtiger Wendepunkt. Der damalige Verantwortliche bei Nintendo war ein „Live A Live“-Fan und sagte uns, dass er das Spiel gerne unterstützen würde.

Das war auch ungefähr zur Zeit des 20-jährigen Jubiläums von Live A Live, also war es in dieser Hinsicht ein günstiger Zeitpunkt, und das brachte uns auf den Weg, der zu diesem Remake führte. Es gab einige erstaunliche Gelegenheiten, an denen wir zu dieser Zeit teilhaben durften; Zum 20-jährigen Jubiläum veranstalteten wir zum Beispiel eine Live-Veranstaltung, und ich konnte auch zum ersten Mal seit Jahren wieder mit einigen Kontakten bei Shōgakukan [Anm.: ein japanischer Verlag; außerhalb Japans vor allem für sein großes Sortiment an Mangas bekannt] an einigen Merchandise-Angeboten arbeiten. Die positive Resonanz auf das 20-jährige Jubiläum hat uns wirklich auf den Pfad gebracht, der uns zu diesem Remake geführt hat.

Als dann Octopath Traveler herauskam, lernte ich den HD2D-Stil kennen. Dem Team hinter Octopath Traveler beizutreten, hat die Entstehung dieses HD2D-Remakes von Live A Live sicherlich beeinflusst. Masashi Takahashi, der als Produzent bei Octopath Traveler arbeitete, war ein großer Fan von Live A Live und leistete daher als Manager bei diesem HD2D-Titel enorme Unterstützung. Dieses Remake basiert wirklich auf der Leidenschaft aller, die das Original Live A Live gespielt und genossen haben.

Welche Herausforderungen gab es bei der Umsetzung des Remakes? Gab es sogar Dinge, die Sie jetzt umgesetzt haben, die damals nicht möglich waren, beispielsweise wegen technischer Hürden?

Tokita: Wir haben mit einem Entwickler namens Historia Inc. zusammengearbeitet, der auf Unreal Engine spezialisiert ist, und die Mitarbeiter dort waren einfach brillant. Sie waren unglaublich motiviert bei der Arbeit und dank dessen hatten wir keine technischen Schwierigkeiten.

Allerdings ist Live A Live über 30 Jahre alt, also haben sie wirklich hart daran gearbeitet, alle notwendigen Änderungen vorzunehmen, um es als modernes Spiel zugänglich zu machen, und ich denke, dass das Ergebnis ein unglaubliches Remake ist, das viele Fans des Originals zufriedenstellt.

Ich sollte auch erwähnen, dass es eine Reihe von Mitgliedern der Synchronbesetzung gab, die große Fans des Originalspiels sind, und ich denke, dass dieses HD2D-Remake – dank der harten Arbeit aller Beteiligten – als definitive Version von Live A Live angesehen werden kann.

Live A Live bietet verschiedene Szenarien, es gibt die Urzeit, es gibt den Wilden Westen, das kaiserliche China und sogar das Weltall. War Ihnen bei all diesen kulturellen Aspekten nicht angst und bange? Woher zogen Sie ihre Inspirationen, wie haben sie sich auf die Szenarien festgelegt?

Tokita: Als ich ein Kind war, erlebten Mangas in Japan einen wahren Aufschwung, und es wurden viele neue Magazine gegründet. Viele der bahnbrechenden Manga-KünstlerInnen dieser Zeit, wie Osamu Tezuka, ließen sich von Romanen und Filmen von außerhalb Japans inspirieren, und daraus entstanden viele neue Manga-Genres. Viele dieser Mangas wurden dann für animierte Fernsehserien und Filme adaptiert, was zu einem Boom in der Animation führte.

Als ich in der Grundschule war, wollte ich zunächst Manga-Künstler werden, aber mit dem Aufstieg der Animationsbranche beschloss ich, stattdessen Synchronsprecher zu werden, und begann, mich mit Theater zu beschäftigen. Als ich aufwuchs, habe ich Filme aus vielen verschiedenen Ländern und Genres gesehen und Dinge gesehen, die mich sowohl schockiert als auch fasziniert haben. Diese Erfahrungen haben einen großen Eindruck bei mir hinterlassen und natürlich auch Live A Live beeinflusst.

Während meiner Schulzeit kam das NES auf den Markt und nach Manga und Animation begann auch der Bereich Gaming zu wachsen. Damals arbeitete ich nebenberuflich als Pixel-Artist und fand so den Einstieg in die Spieleentwicklung. Ich kam durch Erfolgstitel wie Dragon Quest und später Final Fantasy mit Rollenspielen in Berührung. Für mich waren RPGs das ultimative Mittel zum Erzählen von Geschichten. Mit all diesen Erfahrungen im Gepäck kam mir bei meinem ersten Titel als Regisseur die Idee, ein Spiel im Omnibus-Stil zu entwickeln, das es den SpielerInnen auch ermöglichen würde, Genres zu erleben, die in Spielen zuvor noch nicht angesprochen wurden. Genauso wie die Wegbereiter von Manga und Anime – wie Osamu Tezuka und Hayao Miyazaki – sich innerhalb ihres Mediums neuen Herausforderungen gestellt hatten.

Auch spielerisch gibt es viele Überraschungen, wenngleich die Szenarien im Kern gleiche Mechaniken bieten. Haben Sie sich seinerzeit von bestimmten Spielen inspirieren lassen? Wenn Sie heute die Gelegenheit bekämen, erstmals ein ähnliches Spiel zu erschaffen, würden Sie sich ähnlich entscheiden oder hätten Sie da schon ganz andere Ideen?

Tokita: RPG-Mechaniken bestehen aus einer Vielzahl verschiedener Elemente, wie z. B. Charakteren, Geschichte, Dialogen, Karten, Kämpfen und Gegenständen. Ich wollte wirklich unterschiedliche Spielmechaniken schaffen, indem ich für jedes Szenario unterschiedliche Elemente einbeziehe und weglasse. Die von den SoftwareentwicklerInnen erstellte Programmierumgebung war für jedes Szenario die gleiche, aber die Planer verwendeten unterschiedliche Skripte, um für jedes Szenario eine einzigartige Mechanik zu erstellen, und ich denke, dass uns dies dabei geholfen hat, etwas mit echter Variation zu schaffen, bei dem jedes Szenario über Spielmechaniken verfügt, die sich für das spezifische Genre der Geschichte angemessen anfühlten.

Auf diese Idee konnten wir nur aufgrund all der Arbeit kommen, die wir an anderen Square-Spielen geleistet hatten, die diese hochmodernen Entwicklungstechniken in ihrer Produktion nutzten, wie zum Beispiel Final Fantasy. Wenn ich heute ein neues Spiel im Omnibus-Stil von Grund auf entwickeln würde – Entwicklungs-Engines sind stärker standardisiert worden, zum Beispiel mit Unity und Unreal Engine – so wäre es möglich, viele verschiedene UI-Typen in einem Spiel zu integrieren, wie zum Beispiel einen Shooter oder einen Racer.

Abgesehen davon denke ich, dass ein Spiel, um als Rollenspiel eingestuft zu werden, Charaktere haben muss, mit denen sich die SpielerInnen identifizieren und die ihnen am Herzen liegen. So entsteht das entscheidende Gameplay, bei dem die SpielerInnen die Geschichte aus der Sicht der Charaktere erleben. Hoffentlich hat es Ihnen Spaß gemacht, sich mit der Vielfalt an Charakteren in Live A Live vertraut zu machen.

Das originale „Live A Live“ wurde damals nur in Japan veröffentlicht. Es ist bekannt, dass 270.000 Einheiten verkauft wurden, was zur damaligen Zeit nicht als großer Erfolg gewertet wurde. Was denken Sie, woran hat es gelegen? Stand das Spiel zu sehr im Schatten von großen Spielen wie Final Fantasy?

Tokita: [Live A Live] wurde in der zweiten Hälfte der Lebensdauer des SNES veröffentlicht, einer Zeit, in der viele Titel veröffentlicht wurden, nicht nur von Square. Darüber hinaus war das ROM des Originals 16 MB groß; das entsprach der gleichen Größe wie Final Fantasy V.

Der ursprüngliche Plan war, dass es vor Final Fantasy V veröffentlicht werden sollte, aber aufgrund einer internen Änderung des Zeitplans wurde es stattdessen nach Final Fantasy VI veröffentlicht. Das ROM von Final Fantasy VI war 24 MB groß – eineinhalb Mal so groß wie Live A Live. Ich kann nicht leugnen, dass einige Aspekte von Live A Live, einschließlich der Größe der Charakter-Sprites und der Umgebungen, etwas von ihrer ursprünglichen Wirkung verloren hatten, da sie nun nach der Veröffentlichung von Final Fantasy VI kamen.

Live A Live mag ein altes Spiel sein, aber es fühlt sich heute wie ein erfrischender Gegenentwurf in einem relativ festgefahrenen Genre an. Viele RPGs bauen eine Dutzende Stunden lange Story auf. Live A Live setzt hingegen mit jeder Episode einen neuen spielerischen und erzählerischen Fokus. Spielten solche Gedanken eine Rolle bei der Auswahl von Live A Live als Neuauflage?

Tokita: Sie können sich nicht vorstellen, wie glücklich ich bin, das von Ihnen zu hören!

Schon zu der Zeit, als wir Live A Live machten, wurden die ROMs immer größer und die Spiele immer länger. Das ursprüngliche Konzept für Live A Live begann mit der Idee eines Rollenspiels, das SpielerInnen eine Vielzahl unterschiedlicher Situationen erleben lässt; das als Omnibus aus kurzen Episoden kreiert wurde, von denen jede ihr eigenes Genre und entsprechende Spielmechanik hat, welche SpielerInnen in beliebiger Reihenfolge spielen konnten.

Heutzutage können VerbraucherInnen dank Abonnementdiensten, Video-Streaming und Indie-Spielen praktisch jeden Tag neue Medien auswählen. In diesem modernen Zeitalter können wir aus einer unbegrenzten Auswahl an alten und neuen Inhalten aus der ganzen Welt wählen, und ich denke, dass genau das der Grund ist, warum sich dieser Spielstil heute als so begehrenswert erwiesen hat.

Darüber hinaus denke ich, dass sich der wahre Wert von Live A Live erst offenbart, wenn alle einzelnen Episoden abgeschlossen sind, und eine solche Struktur, die einen solchen Fokus auf den Kern der Geschichte legt, ist nur mit einem Rollenspiel wirklich möglich.

Es war ein bisschen wie bei den Avengers, nur ein paar Jahre zu früh (lacht).

Das Remake hat sich weltweit über eine halbe Million Mal verkauft, inzwischen vermutlich noch häufiger. Haben diese Zahlen die Erwartungen erfüllt? Ist das Kapitel „Live A Live“ damit für alle Zeiten abgeschlossen oder besteht Hoffnung auf Fortsetzungen oder ähnliche Spielkonzepte aus dem Hause Square Enix?

Tokita: An alle, die das Original gespielt und genossen haben, und an alle, die Live A Live zum ersten Mal mit dem Remake ausprobiert haben, nachdem sie andere HD2D-Titel wie Octopath Traveler und Triangle Strategy gespielt haben: Es ist Ihnen zu verdanken, dass dieses 30 Jahre alte Rollenspiel solch ein wundersames Revival erlebt hat.

Für mich ist es etwas ganz Besonderes, da dies der erste Titel war, an dem ich als Director gearbeitet habe. Mit der anhaltenden Unterstützung aller halte ich es für möglich, dass mit diesem Franchise in Zukunft noch etwas passiert. Das glaube ich wirklich und deshalb werde ich hart auf dieses Ziel hinarbeiten. Ich hoffe, dass Sie alle weiterhin Ihre Unterstützung anbieten!

Live A Live war damals ihr Debüt als Director. Waren Sie schnell in der Lage, in diese Position hineinzuwachsen? Unterscheiden sich die Aufgaben eines Directors heute von früher?

Tokita: Bevor ich zu Square kam, hatte ich als Pixel-Artist bei einer kleinen Spielefirma gearbeitet, der ich mit 18 Jahren beigetreten bin. Mit 20 bin ich zu Square gekommen, und genau wie bei meinem vorherigen Job war ich dort Teilzeit-beschäftigt. Ich habe damit angefangen, Pixel-Art für Spiele wie das erste Final Fantasy, Final Fantasy Legend und Hanjuku Hero zu machen; dann habe ich mich an verschiedenen Aspekten der Entwicklung beteiligt, darunter dem Teilen einiger meiner eigenen Ideen für Spiele, dem Testen von Spielen und der Arbeit mit Soundeffekten.

Als ich 24 war, wechselte ich meine „Job“-Rolle vom Pixel-Künstler zum Game-Designer, außerdem änderte ich meine „Klasse“ vom Teilzeitbeschäftigten zum Festangestellten und bekam so die Chance, als Main Game Designer an Final Fantasy IV zu arbeiten.

Und dann – als ich 26 war – entwarf ich Pläne für Live A Live, mein erstes Spiel als Regisseur. Die Spielebranche erlebte einen großen Wandel, die Entwicklung verlagerte sich vom NES zum SNES, und mit diesem Wandel wuchsen die Entwicklungsteams von einer Handvoll Einzelpersonen auf etwa 20 Personen in einem Team. Auf jeden Fall hat es großen Spaß gemacht, mit einer Gruppe enthusiastischer junger Menschen die Freiheit zu haben, alles zu kreieren, was ich wollte. Ich verspüre immer noch den gleichen Spaß, wenn ich an Spielen arbeite.

Heutzutage sieht man sich jedoch auch der Konkurrenz durch Amateur- und Indie-Spieleentwickler und -Publisher ausgesetzt, sodass die Dinge aus technischer und geschäftlicher Sicht viel schwieriger sind als früher. Abgesehen davon arbeite ich auch mit vielen sehr zuverlässigen Leuten zusammen, die einige Spitzentechnologien beherrschen. Es ist meine Aufgabe, an diese Menschen zu glauben, ihre Leidenschaft zu kanalisieren, ihnen das Ziel zu zeigen und etwas zu liefern, das den SpielerInnen Spaß macht. In dieser Hinsicht hat sich an meinem Job im Vergleich zu früher eigentlich nichts verändert.

Ich weiß, dass es eine pikante Frage ist, aber die Fans wollen, dass wir sie fragen. Welches 90er-Jahre-RPG würden sie sich im HD2D-Gewand wünschen, ganz persönlich? Viele Fans nennen immer wieder Chrono Trigger, aber es gibt weitere Klassiker, welche wie Live A Live zuvor noch heute auf dem Super Famicom „gefangen“ sind. Terranigma und Illusion of Time beispielsweise.

Tokita: Das SNES war so etwas wie die Kambrische Explosion, mit vielen, vielen ehrgeizigen Titeln, die auf einmal erschienen. Das war natürlich bei Square-Spielen der Fall, aber ich konnte die gleiche Leidenschaft auch in den damaligen Enix-Titeln spüren.

Live A Live war eine meiner Kreationen als Regisseur, aber ich denke, dass es die Fans sein sollten, die entscheiden sollten, welche Spiele in HD2D erneuert werden. Wenn es also ein Spiel gibt, das Sie unbedingt in HD2D neu aufgelegt sehen möchten, melden Sie sich bitte! Wenn die Fans zusammenarbeiten können, um ihrer Stimme Gehör zu verschaffen, besteht jede Möglichkeit, dass das Spiel ihrer Wahl neu aufgelegt wird. Also trommeln Sie bitte weiter für Ihr Lieblingsspiel. Ich bin mir sicher, dass es viele Leute da draußen gibt, die nur darauf warten, dass Sie es tun, genau wie wir es mit Live A Live erreicht haben!

Bildmaterial: Live A Live, Square Enix, Nintendo, Historia