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Die zwei verblüffend unterschiedlichen Welten des Pokémon-Sammelkartenspiels

Pokémon-Sammelkarten begleiten mich seit über zwei Jahrzehnten in irgendeiner, immer wechselnden Form. Ich freue mich hin und wieder, einen neuen Booster zu öffnen. Längst hat meine Tochter die Sammelkarten – auch ganz ohne mein Zutun – für sich entdeckt. Manchmal kaufen wir uns im Urlaub zwei Booster-Packs in irgendeinem Store.

Neugierig war ich schon, als The Pokémon Company zur Entdeckung der neuen Sammelkartenspiel-Erweiterung „Karmesin und Purpur“ einlud. Zweimal drei Stunden ruhiges Arbeiten im ICE – lies: Netflix-Folgen nachholen – sollten als Rechtfertigung reichen. In Hamburg angekommen, traf ich auf ein anderes Publikum als bei solchen Einladungen üblich. Heute waren die Influencer zahlenmäßig deutlich überlegen. Einige Kids erkennen sie, noch bevor wir die Lokalität betreten können, und fragen nach Fotos.

Ich lerne Dario kennen. Als The Zero of Time unterhält er einen YouTube-Kanal mit über 460.000 Abos. Der 29-Jährige ist in seiner Szene einer der ganz Großen, aber er wirkt bodenständig und äußerst nett. Er ist kommunikativ – sicher nicht von Nachteil bei seiner Arbeit. Dario verdient seinen Lebensunterhalt mit Videos rund um Pokémon-Sammelkarten und lebt in einer der beiden Welten, von denen ich bisher nur gehört habe, aber die ich heute hautnah kennenlernen sollte. Er spielt vor allem mit Pokémon-Karten, mehr noch als er sie sammelt.

Mir fliegen die Städte um die Ohren, im Ausland wie im Inland, die er zuletzt besucht hat und in denen er verschiedene Turniere gespielt hat. Erst im Februar war der Hamburger in Bochum, dort fand die Regionalmeisterschaft statt. Bald wäre Malmö, aber man müsse auch mal Pause machen. Schließlich steht sehr bald auch schon London vor der Tür, wo die Pokémon Europe International Championships stattfinden.

Dass er heute dieses überschaubare Launch-Event der neuen Erweiterung „Karmesin und Purpur“ besucht, liegt vor allem daran, dass es in seiner Wahlheimat Hamburg stattfindet. Es klingt ein bisschen danach, als würde es sich beruflich nicht so richtig lohnen. Heute Vormittag hat er noch Videos geschnitten, aber so ein Event sei auch mal ganz lustig, ein bisschen spielen, Leute sehen und kennenlernen, das sei auch mal „fun“. Und es ist eben in Hamburg, die Anreise dauert nur ein paar Minuten.

Mit der „Build & Battle“-Box, welche uns auf Tischen bereitgestellt wurde, kann er gleich etwas anfangen. Manchmal, wenn er abends mit seiner Freundin chille, würden sie solche Boxen auch „for fun“ öffnen und ein paar Partien spielen. Diese Boxen beinhalten ein sofort spielbares Deck aus 40 Karten und einige Booster-Packs. Eine bunte Mischung, die den sofortigen Start ins Kartenspiel ermöglicht – wenn man die Regeln kennt. Die Boxen sind dabei einigermaßen ausgeglichen und sollen dafür sorgen, dass beide Spieler mit gleichen Chancen ins Spiel gehen.

Dario ist derweil dabei, seine „Build & Battle“-Box zu sichten. Die Karten huschen ihm durch die Hand, einige davon tütet er in die bereitgestellten Card-Sleeves ein, andere nicht. Die Entscheidung fällt er in Sekunden. Karten, mit denen er potenziell spielen wird, werden eingetütet, erklärt er. Um sie zu schützen.

Auch eine wunderschöne Guardevoir-ex-Karte ist dabei und selbst ich sehe, dass die beliebt und wertvoll ist. „Da gehört natürlich auch Glück dazu“, sagt er und es scheint, als hätte sich das Event dann doch für ihn gelohnt. Manchmal würde man auch eine 100-Euro-Karte „pullen“. Die englischen Vokabeln fliegen ihm in die Sätze wie die deutschen.

Das Match beginnt.

Wie dieses Spiel funktioniert, das weiß ich nicht. Ich sitze neben Dario, als er ein Match beginnt. Unaufgefordert kommentiert er es, beschreibt seine Spielschritte, beantwortet Fragen. Ich habe den Eindruck, er kennt die Karten bereits, die doch eigentlich erst in dieser Woche erscheinen. Natürlich, das muss er. Er weiß, wie eine „Build & Battle“-Box aufgebaut ist und er ist bereits informiert, welche neuen Karten diese kommende Erweiterung bieten wird. Welche Werte und durchaus komplexen Effekte selbst die neuen Karten haben, muss er nicht in jeder Spielrunde ablesen. Er lernt es auswendig.

Auch jemand von Kicker eSports ist heute hier und Dario ist sich nicht sicher, ob das, was er macht, eSports sei. Er schmunzelt, fast ein bisschen schüchtern. Später aber schildert er, wie viele Matches man an einem Tag bei einem offiziellen Turnier spielt und wie ausgelaugt man am Ende sei. Und wenn ich sehe, wie er sich vorbereitet und wie konzentriert er selbst diese Show-Matches hier heute angeht, dann denke ich durchaus, das könnte eSports sein.

Einige Karten erzählen zusammengefügt ganze Geschichten.

Ich habe den Eindruck, er weiß sogar, welche Karten sein Gegenüber auf der Hand hat – ganz so, wie mein Onkel beim Skat. Natürlich gewinnt Dario sein Match. Da staunt auch Tanja, die mit uns am Tisch sitzt und eigentlich auch ein Teil dieser Pokémon-Sammelkartenwelt ist. Es ist aber ein anderer Teil, es ist der Teil der Sammler. Seit 1999 sammelt sie Pokémon-Karten und ist vor allem Pikachu-Fan. In der Community ist sie als PokéTani bekannt, sie streamt bei Twitch (über 1.100 Abos) und unterhält etliche Social-Media-Kanäle wie beispielsweise bei Instagram, wo ihr über 7.400 Fans folgen. Als ich sage, dass meine Tochter am liebsten Pikachu-Karten mag, zieht sie ein Album aus der Tasche.

Ich öffne es und sehe: Gelb. In diesem Album hat sie ausschließlich Pikachu-Karten, aus allen Jahren und Erweiterungen und in verschiedenen Sprachen. Ich sehe den pummeligen Pikachu aus frühen Jahren und muss schmunzeln, denn inzwischen ist das Design von Pikachu selbst bei all den unterschiedlichen Illustratoren, welche für The Pokémon Company die Motive zeichnen, natürlich sehr einheitlich.

Ein Blick in Tanjas Pikachu-Album.

Zu scheinbar jeder Karte kann mir Tanja eine Geschichte erzählen, sie ist mit großer Leidenschaft dabei. Sie weiß aus dem Kopf, wie viel welche Karte wert ist – mal sind es 20 Euro, mal 80 Euro. 80 Euro für eine Karte? Ja schon, ihre Pikachu-Leidenschaft sei ein „Minusgeschäft“, lacht sie. Aber die ganz wertvollen Karten hat sie zu Hause gelassen, die stehen in der Vitrine. Das Graden und damit Haltbarmachen der Karten ist in der Sammelkarten-Community weitaus weniger verschrien, als es in der Videospielwelt ist, ganz im Gegenteil.

Manche ihrer Karten sind unterschrieben, eine sogar von einem Illustrator. Andere hat sie zum Geburtstag geschenkt bekommen. Tanja weiß genau, welche Karte sie gekauft hat, gezogen hat oder geschenkt bekommen hat. Auch wann und wo. Ihre Sammlung kommt auch ohne ihre wertvollsten Karten sehr gut an, später stehen mehrere Besucher dieses Events um ihren Tisch, als sie das Album erneut präsentiert. Auch Dario freut sich über schöne Karten und Motive, aber für ihn zählt in erster Linie, ob eine Karte in seinem Set funktioniert. Wenn er sich zwischen dem Sammeln und Spielen entscheiden müsste, würde er „save“ das Spielen wählen.

Sowohl Dario als auch Tanja haben Freunde in der Pokémon-Welt. Pokémon verbindet eben, sagen sie. Es klingt wie eine PR-Phrase und es könnte auch gut eine sein, aber sie sagen es aus Überzeugung. Die PR, die eigentlich solche Sätze – Dario würde sagen: droppt – kann sich vornehm zurückhalten. Dario unterhält meinen Tisch, erklärt mir alles, beantwortet jede Frage, so grundsätzlich sie auch sein mag. Inzwischen hängt auch der Nachbartisch an seinen Lippen.

Ob das überhaupt möglich sei, als Neuling ein solches Match zu spielen? Nur keine Scheu, die Pokémon-Community sei super nett und zugänglich. Das nehme ich in der Tat auch vom heutigen Event mit. Und ein Krokel-Plüschtier für meine Tochter.

Die heute veröffentlichte Erweiterung „Karmesin und Purpur“ zum Pokémon-Sammelkartenspiel ist die erste mit Paldea-Pokémon. Die Paldea-Region ist die neue Region der neunten Spiele-Generation Pokémon Karmesin und Purpur.

Bildmaterial: The Pokémon Company