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Kolumne: Spiele sollten Erlebniswerte bieten

Bildmaterial: Xenoblade Chronicles, Nintendo / Monolith Software

Das Medium Videospiel ist mittlerweile zu vielseitig, um es mit nur einem Satz definieren zu können. Doch folgende Beschreibung sollte zumindest auf die überwältigende Mehrheit der Spiele zutreffen: Der Spieler muss Aufgaben lösen, um ein Ziel zu erreichen.

»Was ist „Spaß“ im Hinblick auf Videospiele überhaupt?«

Doch wann macht ein Videospiel Spaß? Was ist „Spaß“ im Hinblick auf Videospiele überhaupt? Und ist Spaß alles, worauf es ankommt?

Ich schreibe diese Kolumne, weil sich das Medium eigentlich schon lange, aber vor allen Dingen in den letzten Jahren, in eine Richtung bewegt hat, die einen kurzweiligen Zeitvertreib höher priorisiert als einen nachhaltigen Belohnungseffekt – oder ein Erlebnis. Es gibt beileibe genügend Spiele, die einen anderen Weg einschlagen, aber der Trend insbesondere in großen Spielen lässt sich schwer bestreiten.

Ich spiele hauptsächlich japanische Rollenspiele und besonders hier fällt auf, dass sich viele Spiele mit dem Übergang ins HD-Zeitalter auch spielerisch verändert haben – oft inspiriert durch MMORPGs.

Erlebniswert oder Beschäftigungstherapie?

MMORPGs wie Final Fantasy XIV sind zeitintensiv und beschäftigen Spieler sehr lange.

MMORPGs haben nicht zu Unrecht den Ruf, Suchtpotenzial zu haben oder den Spieler zumindest scheinbar mühelos stundenlang am Stück an den Bildschirm zu fesseln. Die soziale Natur dieser Spiele ist zweifelsohne ein gewichtiger Faktor, doch ebenso die Art und Weise, wie sie Spieler beschäftigen.

MMORPGs setzen von jeher auf eine riesige, sich stetig erweiternde Menge an Content. Je nach Spiel kann die Fülle an verschiedenen Aktivitäten erstaunlich sein, doch die allermeisten MMORPGs setzen nicht nur auf Klasse, sondern vor allen Dingen auch auf Masse. Grinding, könnte man es nennen. Dies spiegelt sich beispielsweise in der Struktur typischer Quests wider, die häufig aus simplen, unaufregenden und leicht (nicht immer: schnell) zu erledigenden Aufgaben bestehen.

  • „Bringe mir X Einheiten von Item Y.“
  • „Besiege X Monster von Spezies Y.“
  • „Gehe nach X und sprich mit NPC Y.“

Dies sind wohl die archetypischsten Quests, die man vorfindet. Doch man erledigt nicht fünf oder zehn davon, sondern hunderte oder gar tausende. Dabei werden die wenigsten Spieler behaupten, dass sie das aufregend finden oder darin nennenswerte Erlebniswerte sehen. Was bewegt uns als Spieler also dazu, uns solch stumpfsinnigen Beschäftigungstherapien auszusetzen?

Die Komponenten von „Spaß“

Um diese Frage zu beantworten, möchte ich noch einmal auf die Ausgangsfrage zurückkommen, was „Spaß“ überhaupt bedeutet. Im Zuge mit Videospielen würde ich das, was man „Spaß“ nennt, nach längerem Überlegen in folgende Komponenten unterteilen:

1) Kurzweiligkeit: Die Tätigkeit selbst ist geistig nicht erschöpfend und motiviert, weiterzuspielen. Dies kann zum Beispiel ein Kampf in einem Action-Spiel sein, der vielleicht nicht fordert, aber in dem die bloße Action bereits eine gewisse Genugtuung bereitet. Dies ist eine Form des Belohnungseffekts. Ein anderer Belohnungseffekt kann aber auch aus steigenden Zahlen, komplettierten Listen und aufploppenden Achievement-Einblendungen bestehen.

2) Erlebniswert: Das Spiel stimuliert Emotionen im Spieler und involviert ihn geistig und emotional ins Geschehen. Dies kann etwa das Gefühl des Erfolgs nach einem herausfordernden Bosskampf sein, oder aber auch eine Bindung, die der Spieler zur Spielwelt, Geschichte oder den Spielfiguren aufbaut. Darunter fallen zum Beispiel der Wow-Effekt, wenn man zum ersten Mal ein beeindruckendes Gebiet betritt, oder eine mitreißend erzählte Handlung. In einem Multiplayer-Spiel kann es das erfolgreiche Zusammenspiel mit einem Freund oder aber eine hitzige Auseinandersetzung mit einem Gegenspieler sein.

Die richtige Balance

Ich denke nicht, dass Kurzweiligkeit und der Erlebniswert grundsätzlich in einem Widerspruch zueinanderstehen müssen. Doch in der Regel ist der Erlebniswert von anspruchslosen, repetitiven Tätigkeiten, die weder Konzentration erfordern noch etwas Neues bieten, gering. Derlei Tätigkeiten sind in den meisten Spielen präsent und stellen oft sogar den Kern der spielerischen Aktivitäten dar. Im Falle japanischer Rollenspiele sind beispielsweise die wenigsten normalen Kämpfe anspruchsvoll oder abwechslungsreich – und dies war schon vor Jahrzehnten der Fall.

»Dennoch habe ich das Gefühl, dass eine Verschiebung der Prioritäten stattgefunden hat.«

Dennoch habe ich das Gefühl, dass eine Verschiebung der Prioritäten stattgefunden hat. Die Spieleentwicklung ist teurer geworden, doch Spieler erwarten heute wie damals einen gewissen Spielumfang. Quests nach dem oben angeführten Beschäftigungstherapien-Schema sind einfach und kostengünstig zu implementieren. Mit ihnen kann das Spiel mühelos mit Aktivitäten gefüllt werden. Zugleich sehen auch viele Spieler einen Reiz in solchen Tätigkeiten, weshalb insbesondere Mobile-Games häufig fast ausschließlich aus ihnen bestehen.

„Masse vor Klasse“

Ich werde nun ein paar Beispiele neuerer japanischer Konsolen-Rollenspiele anführen, die verstärkt auf diesen „Masse vor Klasse“-Ansatz setzen:

  • Xenoblade Chronicles (das bald auch für Nintendo Switch erscheint): So beeindruckend Geschichte und Spielwelt auch sein mögen, die Nebenaufgaben im Spiel sind MMORPG-Quests im schlichtesten Sinne. Das Spiel enthält eine Unzahl gleichartiger Quests, von denen fast keine auf irgendeine Weise hervorsticht. Sie können die Spieler vielleicht beschäftigen, aber ihnen garantiert keine Erlebnisse bescheren.
  • Ni no Kuni II: Schicksal eines Königreichs: Es mag eine gewisse Breite an Aktivitäten geben, doch alle haben den Anspruch eines Cookie-Clicker-Spiels. Alle Nebenaufgaben geben einem die Lösung vor, selbst bei Suchquests muss man bloß den Pfeilen folgen. Das Gros aller Kämpfe ist auf die simpelste denkbare Art zu lösen und erfordert weder Strategie noch Geschick. Ich konnte mich kaum davon lösen, doch am Ende habe ich keine Befriedigung verspürt.
  • Final Fantasy XV: Die Entdeckung neuer Gebiete macht Spaß und das Spiel hat eine Handvoll interessanter Dungeons, doch abgesehen davon ist die Welt vor allen Dingen mit massenhaft austauschbarer Such- und Killquests gespickt. Diese erwecken das Gefühl, man wolle das Spiel in letzter Sekunde noch mit Inhalten füllen, die den einzigen Zweck erfüllen sollen, den Spieler eine Weile bei Laune zu halten.

Es gibt auch Gegenbeispiele

Xenoblade Chronicles: Definitive Edition erscheint bald für Nintendo Switch.

Dies sind nur drei Beispiele, aber die meisten modernen Spiele – nicht nur Rollenspiele – beschäftigen den Spieler vermehrt auf diese Art. Dies mag verschmerzbar sein, wenn das Spiel zugleich auch Erlebniswerte bietet. Doch was, wenn auch diese unter den Tisch fallen?

Als Gegenbeispiel möchte ich die älteren Final-Fantasy-Titel aufführen, vor allen Dingen von VI bis IX (mit Einschränkungen V, X und XII). In diesen Spielen gab es kaum oder keine Checklisten, die man abarbeiten musste. Viele der Nebenaufgaben mögen unscheinbar gewesen sein, manche spielerisch kaum nennenswert. Aber sie haben sich nicht austauschbar angefühlt und dem Spieler eine Vielzahl verschiedener Erlebnisse geboten.

Die Minispiele in Final Fantasy VII waren designtechnisch sicher keine Meisterwerke (einige sind zugegebenermaßen eher frustrierend als spaßig), aber sie haben in ihrer Gesamtheit das Spielgeschehen deutlich aufgelockert. In Final Fantasy VI ist ein großer Teil der optionalen Spielinhalte dicht mit den Geschichten der Charaktere verwoben. Als Postbote kann man sich beispielsweise in Final Fantasy IX betätigen und erfährt dabei eine Menge kleiner Details über die Spielwelt und ihre Figuren.

In Final Fantasy XIII, aber auch in vielen anderen Rollenspielen, definiert sich das gesamte Gameplay hingegen ausschließlich über das Kampfsystem. Selbst wenn die Kämpfe gut gestaltet sind, so ist es doch schade, wenn es darüber hinaus keine Abwechslung gibt. 40 Stunden mit derselben Tätigkeit zu verbringen ist in den seltensten Fällen durchgehend befriedigend.

War es das wert?

Das „Kniebeugen“-Minispiel ist im Final Fantasy VII Remake auch wieder spielbar.

Oft gelingt es Spielen, die Spieler – mich einschließlich – bislang stundenlang am Stück zu beschäftigen. Ohne allerdings irgendeine Form von Erlebniswert zu bieten. Wer Spiele nach einem stressigen Tag spielt, um in ihnen eine gewisse Form des „Herunterkommens“ oder der Meditation zu finden oder wer bloß einen Zeitvertreib sucht, mag einen gewissen Wert in einer solchen Form des Spielens finden. Wenn ich allerdings zu tief in den Strudel der monotonen, aber bisweilen dennoch seltsam süchtig machenden Beschäftigungstherapien gezogen werde, habe ich im Anschluss das Gefühl, dass ich meine Zeit deutlich besser hätte nutzen können. Ich fühle mich nicht erfüllt, sondern leer.

Ich wünsche mir, dass Entwickler die richtige Balance zwischen einem kurzweiligen Spielerlebnis und Erlebniswerten finden. Dass sie sich bei jedem Spielelement darüber Gedanken machen, welchen Wert es für den Spieler hat und wie etwas Besonderes daraus werden könnte. Dass Achievements mehr an geistig involvierende Tätigkeiten als an stumpfes Grinding gekoppelt werden. Ich finde nicht, dass jedes Spiel herausfordernd oder neuartig sein muss. Aber es sollte die Zeit wert sein, die ich darin investiere. Wenn ich am Ende nicht das Gefühl habe, irgendetwas erlebt oder irgendetwas Erinnerungswürdiges mitgenommen zu haben, welchen Wert hatte das Spielen dann?

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