Zuerst schien es, dass eine Emulation des PlayStation-2-Rollenspiels Shin Megami Tensei: Digital Devil Saga für PlayStation 3 aufgrund der Leistung des internen Emulators nicht möglich sei. Atlus und Sony haben jedoch eine Lösung gefunden und auch Ghostlight darf nun in Europa ebenfalls den Titel digital als PlayStation-2-Klassiker neu veröffentlichen. Wie ist das Spiel in den Jahren nach der Erstveröffentlichung 2006 gereift? Macht es noch immer Spaß? Findet es in unserem Test heraus!
Der ununterdrückbare Trieb
Die Geschichte von Digital Devil Saga gehört zur düsteren, bedrückenden Sorte. In der trostlosen und apokalyptischen Welt des Junkyards kämpfen unterschiedliche Clans um die Vorherrschaft, darunter auch die Embryons, deren Anführer Serph der stumme Protaginist des Spiels ist, und Vanguards. Als zwischen den Hauptquartieren der beiden Vereinigungen ein unbekanntes Objekt einschlägt, kommt es zur Konfrontation.
Schnell wird jedoch das Gefecht unterbrochen, als das Objekt zerbirst und Strahlen verschießt, die sämtliche Bewohner des Junkyards durchdringen und mit einem Mal versehen. Die Vanguards ziehen sich zurück und die Embryons können ihren Augen kaum trauen, als im entstandenen Krater eine junge Frau mit schwarzem Haar schlummert.
Gemeinsam bringen die Embryons die Fremde in ihr Hauptquartier. Weiterhin vermuten die Embryons, dass die Vanguards hinter dem unbekannten Objekt und dessen Angriff stecken. Während eines Frontalangriffs auf Svadhisthana, dem Hauptquartier der Vanguards, erwachen in den Mitgliedern beider Clans dämonische Kräfte, welche mit einem unkontrollierbaren Hunger einhergehen: dem Hunger, seine Gegner zu verschlingen. So verläuft die nächste Konfrontation mit dem Anführer der Vanguards ebenfalls nicht so friedlich wie erwartet.
Bei ihrer Rückkehr müssen Anführer Serph und seine Gefährten feststellen, dass die Mitglieder der Embryons sich gegenseitig attackieren. Nur die Fremde, die sich im Nachhinein als Sera vorstellt, kann mit ihrem Gesang für Ruhe sorgen. Sogleich werden alle Anführer der vorherrschenden Clans an den heiligen Ort Sahasrara im Zentrum des Junkyards gerufen, wo ihnen eine Stimme neue Auflagen erteilt. Dem Clan, der alle anderen Anführer bezwingt und das Mädchen mit schwarzem Haar nach Sahasrara bringt, wird der Zugang nach Nirvana gewährt – das höchste Ziel der Bewohner des Junkyards.
Welche Bündnisse werden eingegangen? Welches Geheimnis verbirgt Sera? Können die Embryons ihr Verlangen nach Fleisch unterdrücken? All dies sind Fragen, die im Spiel nicht vollständig geklärt werden. Bei Digital Devil Saga handelt es sich tatsächlich um den ersten Teil einer Duologie, welcher in Shin Megami Tensei: Digital Devil Saga 2, das nun ebenfalls im PSN veröffentlicht worden ist, fortgesetzt wird.
Überdies ist es zwingend erforderlich, sich auf den Plot einzulassen, um mit diesem Spaß zu haben. Gerade zu Spielbeginn wirken die Charaktere leblos, fast schon wie Roboter. Dieser Umstand ist tatsächlich jedoch ein gut durchdachtes Element des Plots, denn im Verlauf der Geschichte erwachen Gefühle in den Charakteren, die ihnen bis dahin unbekannt waren und innere Konflikte auslösen.
Durch Mantras wird man stärker
Shin Megami Tensei: Digital Devil Saga ist in seiner Essenz ein klassisches Rollenspiel mit einigen eigenen Elementen im Vergleich zur übrigen Spielereihe. Zwar kämpfen noch immer Dämonen gegeneinander, allerdings sind diese von vornherein durch die insgesamt fünf spielbaren Mitglieder der Embryons vorgegeben und können nicht rekrutiert werden.
Jeder Charakter verfügt über ein vorgegebenes Wachstum mit leichter Varianz, einzig den Anführer Serph kann man bei Level-Ups nach eigenen Vorlieben ausbauen. Nichtsdestotrotz gewinnen die Charaktere eine ganz eigene Individualität durch das Mantra-System der Duologie.
Jede Figur kann gleichzeitig von einem Mantra neue Fähigkeiten erlernen. Jedes Mantra besteht dabei wiederum aus einer oder mehreren Fähigkeiten im Set, die thematisch zueinander passen. Durch gewonnene AP im Kampf werden die ausgerüsteten Mantras, je nach Stufe des jeweiligen Mantras, früher oder später erlernt.
Ist ein Mantra erlernt, kann der Charakter, der das Mantra ausgerüstet hat, die Fähigkeiten aus diesem anwenden und ein neues Mantra ausrüsten. Alle anderen Protagonisten müssen hingegen selbst das Mantra erlernen. Neue Mantras können an jedem Speicherpunkt gegen Unsummen an Macca, die serientypische Währung, gekauft werden. In den meisten Fällen wird durch das Erlernen eines Mantras mindestens ein neues Mantra freigeschaltet, oftmals eine Verbesserung des vorhergehenden Mantras. Weiterhin gibt es Mantras, die erst nach Nebenquests gekauft werden können.
Was im ersten Moment als extremes Grinding durchgehen könnte, wirkt im Spiel selbst tatsächlich wie ein ausgeglichenes Wachstumssystem. Zu Beginn werden viele Möglichkeiten eingeschränkt, im späteren Spielverlauf freut man sich über jede kleine Verbesserung der Charaktere und man weiß diese zu schätzen.
Zuerst besitzen die Protagonisten nur wenige Fähigkeiten-Slots, was sich jedoch mit steigendem Level ändert. Durch das freie Anlegen und beliebige Austauschen der erlernten Fähigkeiten außerhalb von Kämpfen kann man sich für jede Situation wappnen und besitzt große strategische Freiheit. Neben den Kommando-Fähigkeiten sollten auch die passiv wirkenden nicht vernachlässigt werden.
Grundsätzlich scheint es vom Spiel vorgesehen zu sein, alle nötigen Fähigkeiten für den erfolgreichen Kampf gegen neue Taktiken des Gegners zur richtigen Zeit erlernen zu können. Trotz dem ist es ratsam, Kompromisse einzugehen. Gerade zu Beginn spielt sich Digital Devil Saga deutlich schwerer, wenn man jedes Mitglied der Truppe zum Alleskönner trimmen möchte. Vielmehr lohnt es sich, den Charakteren gewissen Rollen zuzuteilen und entsprechend einzusetzen.
Innerhalb der verschiedenen Dungeons, die man im Spiel erkundet, warten auch unterschiedliche Rätsel auf den Spieler und die Embryons. Diese reichen von einfach bis schwierig, sind jedoch allesamt mit etwas investierter Zeit ohne fremde Hilfe lösbar. Lob gibt es auch für die Ungleichheit der manchmal doch kniffligen Einlagen.
An einigen Stellen wird man auf sogenannte Hunting Fields stoßen. In diesen kleinen optionalen Arealen muss man innerhalb von einer Minute schwebende Dämonen in Serphs Dämonenform Varna zerschlagen, um die schüchternen Mitamas hervorzulocken. Bezwingt man diese, winkt eine große Menge an AP.
Während in der Hauptreihe die Mondphasen eine bedeutende Rolle einnehmen, beeinflusst das äquivalente Solar Noise mit seinen Phasen nur geringfügig den Junkyard, etwa beim Verkauf von besonderen Objekten oder Einsatz von bestimmten Fähigkeiten.
Fressen oder gefressen werden
Die Kämpfe in Digital Devil Saga finden allesamt in 3D statt, nichtsdestotrotz ist das Kampfsystem mit zufälligen Kampfbegegnungen und einem rundenbasierten Verlauf klassischer Natur.
Jede Partei hat dabei ihre eigene Phase. In der eigenen Phase verfügt man über insgesamt drei Züge, was grundsätzlich bedeutet, dass jeder der drei am Kampf teilnehmenden Charaktere exakt eine Aktion ausführen kann. Wird jedoch die Schwäche eines Gegners ausgenutzt oder aber ein kritischer Treffer erzielt, können bis zu drei weitere Aktionen pro Runde ermöglicht werden – doch Obacht, der Feind kann dies ebenso tun.
Neben einem standardmäßigen Angriff kann jeder Charakter in seinem Zug auf seine angelegten Fähigkeiten zugreifen. Während physische Angriffe einen Teil der Gesundheit fordern, werden für Zauber aller Art Magiepunkte verwendet. Überdies können auch Items eingesetzt, der Zug ausgesetzt oder aber der Platz mit einem wartenden Teammitglied getauscht werden.
Sind bestimmte Fähigkeiten bei unterschiedlichen Charakteren angelegt, können Combos eingesetzt werden. Diese verbrauchen gleich mehrere Aktionen, können im Gegenzug allerdings auch verheerende Alternativen ergeben. Sollte es im Kampf mal nicht so laufen wie gewollt, gibt es jederzeit die Möglichkeit zu fliehen.
Werden die Feinde regelrecht unter Druck gesetzt – sei es durch die Ausnutzung von Schwächen oder kritischen Treffern – können sie in einen Angstzustand verfallen. In diesen Situationen sind sie für Angriffe anfällig, durch welche sie gefressen werden können. Wird er nun durch solche Fähigkeiten besiegt, erhält der jeweilige Charakter einen Bonus auf seine AP nach dem Kampf – oder aber Magenschmerzen und überhaupt keine AP, wenn man es übertreibt.
Die klassischen Elemente des Kampfsystems ergeben mit zahlreichen Gimmicks, die immerzu berücksichtigt werden sollten, ein interessantes Gesamtbild, das auch zum teilweise herausfordernden Schwierigkeitsgrad motiviert. Wem das Hauptspiel noch nicht herausfordernd genug war, der kann sich im späteren Spielverlauf beim erneuten Besuch verschiedener Orte gegen viele optionale Gegner behaupten (oder es versuchen), von denen die stärksten dem Spieler wirklich alles abverlangen.
Indisches Flair
Bereits im Gameplay und Plot spielt Shin Megami Tensei: Digital Devil Saga viel mit der hinduistischen Mythologie, selbiges gilt für die Grafik. Natürlich ist bei einer direkten Portierung keine Grafik im aktuellen Format zu erwarten. Nichtsdestotrotz macht das Ambiente im Spiel stilistisch einiges her.
Zwar sind sämtliche Orte trist, ohne unnötige Dekorationen und erinnern an verlorene Kulturen, doch gerade diese Tatsache unterstreicht das bedrückende Klima des Spiels. Hinzu kommen zahlreiche hinduistisch angehauchte Kunstwerke hinzu, die den Eindruck verlorener Zivilisationen weiter verstärken. Die Charaktere stehen dabei im Kontrast zur Umgebung mit bunten Frisuren und kuriosen Persönlichkeiten.
Während in den Dungeons oftmals ruhige Klänge zu vernehmen sind, wird es in den Kämpfen rockig. Einmal mehr erfreut Shoji Meguro den Spieler mit einem Soundtrack, der Stimmungen gelungen einfängt und dabei abwechslungsreich bleibt.
Gelingt die digitale Saga?
Shin Megami Tensei: Digital Devil Saga überzeugt zusammen mit der direkten Fortsetzung Shin Megami Tensei: Digital Devil Saga 2 auch heute noch. Während der Erstling die ersten wichtigen Kernfragen stellt und die Truppe vorstellt – dabei zusätzlich mit einem gemeinen Cliffhanger endet – gibt die Fortsetzung Antworten auf ebendiese Fragen und wartet mit einem spannenden Finale auf.
Neben dem umfangreichen Plot, bietet die Duologie mit einem klassischen Kampfsystem mit taktischer Komponente und einem fairen Fähigkeitensystem auch große Motivation, immer neue Möglichkeiten auszuprobieren. Für die engagiertesten Tüftler stehen viele optionale Herausforderungen zur Verfügung.
Spielerisch sind beide Spiele beinahe identisch. Einige Feinmechaniken des Gameplays und das Mantra-System sind im zweiten Teil verändert worden, doch der größte Unterschied ist das neue Setting, das den atmosphärischen Junkyard des ersten Teils noch einmal übertrifft.
Story: Ein Zweiteiler mit berührender Geschichte, großer Wert wird auf die Erzählweise und Atmosphäre gelegt.
Gameplay: Klassische rundenbasierte und taktisch fordernde Kämpfe, getüncht mit themenorientierten Rätseln in Dungeons. Interessantes Skillsystem.
Grafik: Nicht aktuell, trist, passt gut zur Geschichte.
Sound: Abwechslungsreicher Soundtrack von Shoji Meguro, der Gefühle gelungen einfängt.
Sonstiges: Unbedingt nacheinander spielen! Entscheidungen und Errungenschaften im ersten Teil können Boni im zweiten freischalten und die Handlung leicht verändern.