Titel | Live A Live |
22. Juli 2022 | |
Square Enix | |
22. Juli 2022 | |
Nintendo | |
22. Juli 2022 | |
Nintendo | |
System | Nintendo Switch |
Getestet für | Nintendo Switch |
Entwickler | Square Enix, Historia |
Genres | JRPG |
Texte | |
Vertonung |
Die 90er-Jahre gelten für viele JRPG-Fans als die goldene Ära japanischer Rollenspiele. Von Fan-Lieblingen wie Suikoden II über Chrono Trigger bis hin zu diversen noch heute hoch gelobten Ablegern der „Final Fantasy“- und „Dragon Quest“-Reihe – Fans japanischer Rollenspiele konnten sich wahrlich nicht beklagen. Und zur Freude von SpielerInnen hierzulande schwappten viele der Titel dann auch in westliche Gefilde.
Viele sind aber bekanntlich nicht alle und so blieben durchaus die einen oder anderen Genrevertreter auf der Strecke. Darunter auch ein Titel, der 1994 unter der Aufsicht von Takashi Tokita entstand, der schon ein Jahr später das großartige Chrono Trigger verantworten würde. Die Rede ist von Live A Live.
Während sich diverse andere Titel auch abseits von Japan einen Ruf aufbauten, blieb es im Westen still um Live A Live. Eingangs für die meisten schlicht unbekannt, entwickelte sich unter neugierigen SpielerInnen eine Sehnsucht nach dem Titel, die allerdings unbeantwortet blieb. Also half man sich eben mit Fan-Übersetzungen aus – in der Not frisst der Teufel Fliegen.
Nun ist aber Schluss mit Kompromissen! Erst Anfang des Jahres angekündigt, dürfen sich nun auch westliche Fans in das stiefmütterlich behandelte JRPG stürzen. Live A Live präsentiert sich nämlich in einer revitalisierten Neuauflage für Nintendo Switch. Ob sich das Warten gelohnt hat und die Magie vergangener Zeiten auch heute noch verzaubert, erfahrt ihr im nachfolgenden Test.
Heute Cowboy, morgen Ninja
Live A Live macht etwas entscheidend anders als seine berühmten Genrekollegen der goldenen JRPG-Ära der 90er-Jahre. Ließen uns Final Fantasy, Dragon Quest und Co. nämlich die epische Geschichte eines Protagonisten oder einer Gruppe von ProtagonistInnen erleben, geht Live A Live einen anderen Weg. Hier schlüpfen wir in die Rolle von gleich sieben unterschiedlichen Helden, die alle ihre ganz eigene Reise beschreiten. Und die haben erst einmal nichts miteinander zu tun. Wie auch, spielen sie doch in ganz unterschiedlichen Zeitperioden.
Der aufgeweckte Pogo schlägt sich etwa durch den harschen Alltag der Urzeit, während der mysteriöse Revolverheld Sundown Kid den Wilden Westen unsicher macht. Ganz im Gegensatz zu einem alternden Kung-Fu-Meister, der sich im kaiserlichen China darum bemüht, seine Kampfkunst an die nächste Generation weiterzugeben. Shinobi Oboromaru begibt sich derweil auf eine geheime Rettungsmission im Japan der Edo-Zeit. Auf weniger leisen Sohlen ist hingegen der junge Masaru unterwegs, der in der Gegenwart danach strebt, der größte Kämpfer der Welt zu werden. Weniger ambitioniert präsentiert sich der Waisenjunge Akira in der nahen Zukunft. Mit seinen telekinetischen Kräften sieht er sich allerdings schon bald einer großen Bedrohung gegenüber. Und in der fernen Zukunft unterstützt der kleine Assistenzroboter Cube eine Raumschiff-Crew auf ihrem gefährlichen Einsatz im All.
Das klingt nach einer sehr bunt gemischten Tüte an Geschichten, bei der man sich im ersten Augenblick zurecht fragen mag, ob und wie das alles zusammenpasst. Um es schon mal in Kürze vorwegzunehmen: Es funktioniert ziemlich gut!
Mit Schwert, Schild und Köpfchen
Zum Einstieg haben wir die freie Wahl, in welche Zeitperiode wir uns als Erstes stürzen möchten. Während die verschiedenen Episoden hier durchaus unterschiedliche Fokusse setzen, teilen sie sich im Kern dieselben Gameplaymechaniken. Das bedeutet, dass wir unseren Protagonisten durch das entsprechende Szenario steuern, vielen Gesprächen lauschen und natürlich auch immer wieder in den Kampf ziehen.
Gestalten sich erstere Punkte selbsterklärend, präsentiert sich das Kampfsystem relativ eigenständig. Die Gefechte finden nämlich stets in einer gerasterten Kampfarena statt, in der wir uns beliebig Feld für Feld bewegen. Jede Bewegung füllt dabei unsere Aktionsleiste (und jene unserer Feinde) – einmal gefüllt, stehen uns diverse Fähigkeiten zur Verfügung. Wählen wir eine aus, wird der entsprechende Wirkungsbereich auf dem Kampffeld zur Vorschau präsentiert. Manche Angriffe erfordern direkte Nähe zum Feind, andere werden in der Ferne effektiv. Entsprechend spielt unsere Positionierung stets eine vitale Rolle – sowohl in der Offensive als auch Defensive.
Im Verlauf der Episoden treffen wir dann auch auf größere Gegnergruppen, die allerdings in sich zusammenfallen, sobald wir den Anführer niederstrecken. Und natürlich warten auch anspruchsvolle Bosse darauf, vermöbelt zu werden, indem wir ihre Resistenzen umgehen und Schwächen gezielt ausnutzen.
Siegreiche Kämpfe belohnen uns dann ganz Rollenspiel-typisch mit Erfahrungspunkten und Gegenständen. So steigen wir im Level auf, lernen neue Fertigkeiten und statten unsere HeldInnen mit frischer Ausrüstung aus. Kennen wir!
Für jede/n etwas dabei
Klingt alles relativ gewöhnlich, aber es sind ja auch nicht seine grundlegenden Spielmechaniken, die Live A Live glänzen lassen. Vielmehr begeistert es damit, wie es diese limitierten Werkzeuge zum Einsatz bringt. Die verschiedenen Geschichten warten nämlich nicht nur mit eigenen Protagonisten in eigenem Setting auf. Nein, kreativ und verspielt setzt jede Episode folgerichtig auch einen eigenen spielerischen und atmosphärischen Fokus.
Urzeit-Junge Pogo erschnüffelt etwa Feinde und Ressourcen. Letztere verarbeitet er im Lager zu neuer Ausrüstung. Vorausgesetzt wir können uns mit unseren Vertrauten verständigen. Kommuniziert wird nämlich nicht über Worte, sondern über Gesten und Laute – vorrangig visualisiert durch den Einsatz von Emojis. Immerhin sind wir ja in der Urzeit unterwegs.
Im Wilden Westen sehen wir uns mit dem bevorstehenden Überfall auf eine Stadt konfrontiert. Natürlich helfen wir den BewohnerInnen ganz im Stile von Kurosawas „Sieben Samurai“ aus. Wir nutzen die Nacht unter Zeitdruck dazu, Fallen zu legen und uns auf die große Keilerei gegen eine bedrohliche Übermacht vorzubereiten. Je nachdem, wie gut wir uns dabei anstellen, fordert uns am Morgen eine große Gruppe von Schergen oder aber nur ihr einsamer Anführer heraus.
Was wäre, wenn „Street Fighter“ ein Rollenspiel wäre? Die Antwort liefert die Episode der Gegenwart, in der wir als aufstrebender Martial Artist diverse Kampfsportgrößen herausfordern. Hier folgt ein Gefecht auf das nächste, in denen wir jeweils die erlernten Fähigkeiten aus den Vorkämpfen zu unserem Vorteil nutzen.
Ganz im Gegensatz dazu lässt uns Ninja Oboromarus Mission im Edo-Japan komplett von der Leine. Ob wir gleich zum Boss stürmen oder erst noch das Schloss auf der Suche nach Ausrüstung und Geheimnissen unsicher machen – es liegt ganz bei uns. Übrigens genauso, wie die Frage, ob wir uns pazifistisch an Feinden vorbeischleichen oder eine Schneise der Verwüstung hinterlassen.
Film ab!
Ihr merkt: Jedes Szenario ist überraschend eigenständig. Und das sowohl in seiner Präsentation als auch in seinem Spielfluss. Einige Episoden fühlen sich gar nach gänzlich anderen Spielen an. Lediglich das grundlegende Gerüst an Technik und Mechaniken erinnert uns, ein und denselben Titel zu spielen. Das liegt nicht zuletzt an der gelungenen Inszenierung, die regelmäßig auf bekannte Werke und Marken anspielt und dabei stets charmant, verspielt und nie billig wirkt.
Steuern wir im Wilden Westen etwa einen wortkargen Revolverhelden, erinnert das nicht von ungefähr an bekannte Italo-Western um Clint Eastwood. Im kaiserlichen China schnappen wir derweil diverse Anspielungen auf klassische, chinesische Martial-Arts-Filme auf – Bruce Lee, Jackie Chan und Sammo Hung lassen grüßen. In der fernen Zukunft finden wir uns hingegen bald in einer Situation wieder, wie wir sie aus Ridley Scotts „Alien“ kennen. Und es überrascht förmlich, wie uns der Schauer trotz minimaler inszenatorischer Mittel über den Rücken läuft.
Inhaltlich, spielerisch und stimmungstechnisch stetig mit neuen Eindrücken konfrontiert, wird uns so schlicht nie langweilig. Gerade vor dem Hintergrund, dass JRPGs gern und oft Fantasy-inspirierte Settings und Tropen bemühen, wirkt der Ansatz von Live A Live, diese zu dekonstruieren oder auch schlicht zu ignorieren, um stattdessen mit dem Genre zu experimentieren, selbst 2022 noch (oder gerade jetzt) außerordentlich frisch.
So geht JRPG für die Bahnfahrt
Aber nochmal zurück an den Anfang. Wie passt das alles nun narrativ zusammen? Mit Abschluss der sieben Episoden tut sich ein weiteres Szenario auf, das einen Kontext zu den vorangegangenen Abenteuern herstellt. Alles weitere dürft ihr dann aber selbst herausfinden. Nur so viel: Zum Ende hin ergibt sich ein schlüssiges und befriedigendes Gesamtbild, das aber gut und gern auf die eine oder andere Spielzeitstreckung hätte verzichten können.
Ein kleiner Makel zum Ende hin, den man allerdings bei Weitem nicht dem gesamten Spiel vorwerfen kann. Im Gegenteil: Die einzelnen Episoden warten im Schnitt mit einer Spielzeit von rund zwei Stunden auf. Einige nehmen sich etwas mehr Zeit, bei anderen flimmert der Abspann flotter über den Bildschirm. Trotz dieser verhältnismäßig kurzen Spielzeiten gelingt es Live A Live stets unterhaltsame Miniatur-Geschichten zu erzählen, die ebenso gekonnt ulkige wie melancholische und tragische Töne anschlagen.
In der revitalisierten Version für Nintendo Switch kommt genau dieses Konzept nun perfekt zum Tragen. Wir haben eine längere Bahnfahrt vor uns? Ein mehr als passender Zeitpunkt, sich einer Episode von Live A Live zu widmen. Alles in allem beschäftigt uns Live A Live dann übrigens gute 25 Stunden. Für ein JRPG eine angenehm kompakte Spielzeit im heutigen Wust an „100+ Stunden“-Brocken.
Gelungene Frischzellenkur
Stichwort „revitalisiert“ – wie stellt sich Live A Live technisch an? Für das Remake haben sich die Teams von Square Enix und Historia Inc. sichtlich ins Zeug gelegt. Umgebungen und Sprites wurden gänzlich (und mehr als gelungen) überarbeitet und der jüngst häufiger bemühte HD2D-Look lässt die SNES-JRPG-Nostalgie in modernem Licht erstrahlen. Auch die Kämpfe profitieren von eindrucksvollem Effektgewitter und dezente Nebel- und sonstige Natureffekte sorgen für eine dichte Atmosphäre in Zwischensequenzen.
Der tolle Eindruck setzt sich auf der auditiven Ebene fort. Wir haben die Wahl zwischen einer japanischen und englischsprachigen Tonspur. Beide begeistern durchweg mit enthusiastischen und nuancierten Performances, die gelungen zur Atmosphäre beitragen. Musikalisch erfreuen wir uns an den Musikstücken des Originals, noch einmal gelungen überarbeitet von Yoko Shimomura.
Wir wählen außerdem aus diversen Textsprachen. Die deutsche Lokalisierung überzeugt dabei über weite Strecken, verwundert hier und da allerdings mit Fehlern der Marke „Seltsam“. Der Name des Revolverhelden „Sundown Kid“ wird etwa kurzerhand zu „Sundowns Kind“. Wie solche groben Patzer durch die Qualitätsprüfung schlüpfen können, sei mal dahingestellt. Zum Glück schleichen sich aber nicht besonders viele Fehler ein, sodass es dem Spielspaß auch überhaupt keinen Abbruch tut.
Der 90er-JRPG-Geheimtipp für unterwegs!
Die meisten JRPG-Fans werden mit einem verzauberten Seufzer auf die goldene Ära der japanischen Rollenspiele in den 1990er-Jahren zurückblicken. Immerhin war es eine Zeit, in der JRPGs noch vermehrt mit experimentellen Ideen und Konzepten jonglierten und diverse Titel entstanden, die heute einen förmlich legendären Status innehaben. Live A Live blieb Fans im Westen dabei stets vergönnt. Im Vergleich zu seinen berühmteren Genrekollegen wurde es nie für den Westen lokalisiert und dürfte damit auch weit weniger SpielerInnen wirklich bekannt sein.
Ein Glück also, dass sich das nun mit der Neuauflage für Nintendo Switch ändert. Einer ordentlichen Frischzellenkur unterzogen, überzeugt Live A Live nämlich auch 2022 noch mit seinem experimentellen Episodenformat und einer damit einhergehenden begeisternden Ideenvielfalt. Von der Urzeit über das kaiserliche China und Japan der Edo-Zeit bis hin zum Wilden Westen und sogar der nahen und fernen Zukunft bleibt keine Epoche unerforscht.
Trotz eingeschränkter inszenatorischer und gameplaytechnischer Mittel erfreut Live A Live uns mit verspielter Kreativität, die jede Episode zu einem frischen, komprimierten Rollenspiel-Erlebnis macht. Hier dürfte wirklich für jede/n etwas dabei sein!
Schicke neue Sprites und Umgebungen und der hübsche HD2D-Look runden den tollen Eindruck visuell ab und hieven die SNES-JRPG-Nostalgie ins Jahr 2022. Und auch auditiv kann sich der Titel, dank facettenreichem Soundtrack und einer tollen Riege an SprecherInnen, mehr als hören lassen.
JRPG-Fans muss ich keine Empfehlung aussprechen – ihr schlagt natürlich zu und holt gegebenenfalls einen tollen Vertreter der goldenen JRPG-Ära nach! Und auch alle anderen dürfen einen Blick auf den Titel werfen. Via eShop greift ihr zur kostenfreien Demo, die euch in zwei Episoden reinschnuppern und im Nachgang euren Spielstand in die Vollversion übertragen lässt. Ihr seht: kein Raum für Ausreden! Viel Spaß!
Story
Gameplay
Grafik
Sound
Sonstiges
Bildmaterial: Live A Live, Square Enix, Nintendo, Historia