Optimistisch, fröhlich und voller Energie: Rikku aus Final Fantasy X füllt in ihrem JRPG-Team die Lücke des jungen, energetischen Mädchens, die mit ihrem kindlichen Charme vielen Spielern schnell ans Herz gewachsen ist. Sie ist ein echter Wildfang und im Englischen würde man ihre Persönlichkeit vermutlich als „bubbly“ bezeichnen.
Eigentlich ist diese Charakterrolle ja schon fast ein bisschen klischeehaft, denn man findet sie in unterschiedlicher Form in vielen anderen Teilen der Serie. Zum Beispiel Yuffie aus Final Fantasy VII und Selphie aus Final Fantasy VIII. Aber dieser Stereotyp beschränkt sich selbstverständlich nicht nur auf das eine Franchise. Maya aus Phoenix Wright: Ace Attorney und Meru aus Legend of the Dragoon passen auch gut in diese Rolle. Die Liste ließe sich natürlich fortsetzen.
Trotzdem ist jede dieser Protagonistinnen anders und verraten bei näherem Hinsehen, dass sie bei weitem nicht so einfach gestrickt sind, wie es zunächst scheint. Rikku ist hierbei ein herausstechendes Beispiel, wenn man sich die Zeit nimmt, sie im Kontext ihrer Lebenswirklichkeit zu betrachten. Genau deshalb hat sie sich einen Platz in Behind the Polygons ergattert und ist neben Yuna die zweite Figur aus Final Fantasy X, die in dieser Serie vorgestellt wird.
Lest die bisherigen Episoden „Behind the Polygons“:
- Yuna aus Final Fantasy X
- Kratos aus God of War
- Phoenix Wright aus Ace Attorney
- Zelda aus Zelda: Breath of the Wild
Ab hier folgen Spoiler zum Spiel Final Fantasy X
In friedlicher Eintracht
Einst war Spira eine Welt, in der Technik und Fortschritt florierten. Die Menschen lebten in Harmonie mit Magie und Maschinen. Es war eine moderne, komfortable Lebensweise. Riesige Metropolen wie Zanarkand und Bevelle wuchsen heran. Doch dann kam, was kommen musste.
Es brach ein unerbittlicher Krieg zwischen den beiden Städten aus. Im Zuge des Krieges erschuf ein mächtiger Beschwörer aus Zanarkand namens Yu Yevon das Überwesen Sin. Das gigantische Monster sollte Bevelle besiegen und deren überlegene Maschinenmacht zerschlagen. Er verlor jedoch die Kontrolle über Sin. Sein Verstand wurde beim Versuch, dieses Wesen zu kontrollieren zerstört und verwandelte ihn in eine leere Hülle im Inneren seiner monströsen Kreation.
Seitdem sind 1000 Jahre vergangen. Sin ist geblieben. Niemand verwendet mehr Maschinen, nur noch Ruinen erinnern an die düstere Vergangenheit Spiras. Wobei, es gibt hin und wieder Ausnahmen. Beim Blitzball nimmt man das dann nicht so genau. Das Wann, das Wo und das Wie bestimmen die Köpfe hinter der globalen Religion, die sich aus der Verehrung Yu Yevons entwickelt hat.
Laut ihnen ist Sin die Strafe dafür, dass der Mensch Technologie genutzt hat. Einzig die hohe Beschwörung kann dieses Biest aufhalten, meistens nur für ein paar Monate, wenn überhaupt. Dann kommt Sin wieder. Ein Medium gibt sein Leben dafür, dass der Rest der Welt für einige Wochen wieder ruhig schlafen kann. Gleichzeitig wird die vertraute Person, die das Medium selbst auswählt, der nächste Sin.
Technik und Köpfchen
Die Al Bhed sind eine Bevölkerungsgruppe Spiras, die rein optisch durch ihre blonden Haare und grünen Augen samt Spiralpupille auffallen. Sie haben sich der Technologie verschrieben. Bei ihnen kann jedes Kind eine Maschine zerlegen und wieder zusammenbauen. Die meisten Al Bhed leben auf der kleinen Wüsteninsel Bikanel. Vertrieben und unerwünscht wohnen diese technikaffinen Leute unter sich und glauben schlicht nicht an die Religion der Yevoniten.
Rikku ist eine von ihnen. Die quirlige 15-Jährige bastelt Bomben wie ein Weltmeister, zerlegt Roboter im Handumdrehen und taucht mit ihren Kameraden nach Artefakten vergangener Zeiten. Eine Sache unterscheidet das Mädchen aber, denn sie ist mit einem hohen Medium verwandt.
Ihre Cousine Yuna ist eine Berühmtheit, denn ihr Vater brachte einst eine besonders lange Pause von Sin. Das bedeutet jedoch nicht, dass Rikku deshalb auch nur ein Stück religiöser ist als die anderen Bewohner Bikanels.
Sie glaubt, wie die meisten Al Bhed, an den Fortschritt dank Technik. Wieso an diese Pseudoreligion glauben, die alle Schuld den Menschen und deren Maschinennutzung zuschreibt? Wo ist der Beweis, dass Sin deshalb angreift? Und überhaupt, es kann doch nicht die Lösung sein, für einen kurzzeitigen Frieden Menschenleben zu opfern! Anstatt nach einer Lösung zu suchen, wird ohne Fragen zu stellen brav die Religion praktiziert.
Rikku aus Final Fantasy X – Teil eines geächteten Volkes
In den Augen der Gläubigen, und das sind die allermeisten Bewohner Spiras, sind die Al Bhed Ketzer. Laut ihnen sind sie ein ausschlaggebender Grund dafür, dass Sin noch tobt und immer wieder aufs Neue Leid bringt, Familien auseinanderreißt und Leuten das Zuhause nimmt. Nur weil die Al Bhed sich nicht an die Regeln halten, nicht auf den Komfort der Maschinen verzichten möchten. Für sie ist es absolut gerechtfertigt, diese Bevölkerungsgruppe auszugrenzen, regelrecht zu hassen. Immerhin sind sie die Wurzel des ewigen Leids, das die Bewohner Spiras durchleben müssen.
Wenigstens dürfen die Al Bhed aber zu großen Blitzballturnieren nach Luca kommen… auch wenn da sowieso niemand mit ihnen spricht. Die Trennung zwischen beiden Seiten ist so stark, dass die Al Bhed eine eigene Sprache entwickelt haben und auch kleidungstechnisch leicht zu unterscheiden sind.
Verständlicherweise sind die Al Bhed nach so viel Misshandlung gar nicht interessiert daran, Bikanel zu verlassen und Freunde ohne grüne Spiralaugen zu finden. Sie wissen, dass sie im Rest von Spira nicht erwünscht sind und sowieso nur beschimpft oder zumindest ausgegrenzt werden. Und trotzdem wollen sie Veränderung, Gerechtigkeit für alle Menschen Spiras und Barrieren einreißen! Rikku ist eine ihrer stärksten Advokaten.
Es muss einen anderen Weg geben
Sie und ihr Volk haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Medien zu kidnappen, bis ihnen ein Weg eingefallen ist, um Sin endgültig zu besiegen. Ohne, dass sich jemand opfern muss. Nicht die eleganteste Lösung, aber hey, was soll man machen? Leider scheitert Rikku ziemlich bald an ihrem Plan, ihre Cousine Yuna zu entführen, schließt sich aber prompt der Gruppe an.
Natürlich gibt es Rikku einen besonderen Motivationsschub, die Medien zu retten, wenn eine davon Yuna ist. Ihre Cousine, die sie unglaublich gern hat und nicht sterben sehen will. Trotzdem gibt es keinen Moment im Spiel, wo ihr und ihrem Volk das Leben der anderen Medien egal ist, auch diese werden von den Al Bhed gefangengehalten, um sie zu schützen. Ja, genau die. Bewohner Spiras, die tief religiös und mit hoher Wahrscheinlichkeit feindselig gegenüber Menschen mit spiralförmigen Pupillen eingestellt sind.
Hass mit Liebe beantworten
Es ist ganz einfach bemerkenswert, wie Rikku aus Final Fantasy X nicht einfach den Hass, der ihr entgegenschlägt, reflektiert. Ihr Leben lang ist sie mit dem Wissen aufgewachsen, dass die Al Bhed verachtet werden. Dass SIE verachtet wird. Es wäre so einfach für sie, dem Rest Spiras den Rücken zu kehren. Was sollte es sie kümmern, wenn Menschen, die sie und ihre Familie verabscheuen, sich bereitwillig opfern? Warum Leuten helfen, die blind ihrer Religion folgen, die die Al Bhed auch noch zu Sündenböcken macht?
Natürlich kann man an dieser Stelle darüber streiten, ob die Mittel der Al Bhed gut sind. Ob es nicht fragwürdig ist, Leuten ihren Willen mittels Freiheitsberaubung aufzuzwingen. Sie könnten schließlich genauso falsch liegen wie die Yevoniten. Darum geht es hier im Artikel nicht. Im Kanon des Spiels ist es aber übrigens die richtige Entscheidung gewesen, sich nicht von einer Religion das Gehirn waschen zu lassen und wie ein Schaf blind ihren Regeln zu folgen.
Helden
Rikku aus Final Fantasy X ist ein Mensch, der sich auch für diejenigen stark macht, die ihr nichts als Undank und Hass entgegenbringen. Sie kämpft dafür, dass Leute ihren Kopf benutzen, für sich selbst denken und niemals aufhören, Fragen zu stellen. Sie verließ die Sicherheit ihrer Heimatinsel, um Yuna zu finden. Dabei versucht sie sogar, ihre Augen zu verstecken, aus Angst vor der Ablehnung, die sie erfahren könnte. Auch wenn sie nicht die Hauptfigur von Final Fantasy X ist und aufgrund ihres aufgeweckten Wesens nicht immer ernst genommen wird, sie hat die Wende einer ganzen Weltordnung genauso herbeigeführt wie eine Yuna oder ein Tidus. Sie ist nicht weniger ein Held als die offiziellen Helden der Geschichte.
Final Fantasy X ist ursprünglich für PlayStation 2 erschienen. Eine HD-Neuauflage gibt es in Form von Final Fantasy X / X-2 HD Remaster für PlayStation 4*, PlayStation 3, PS Vita und PCs. Die HD-Neuauflage wurde auch für Nintendo Switch und Xbox One veröffentlicht.
Bildmaterial: Final Fantasy X, Square Enix