Freitag, der 13., ist in vielen Kulturkreisen ein Tag, der mit Unglück in Verbindung gebracht wird. Vielleicht ist es aber gerade deshalb auch ein guter Tag, um eine Visual Novel aus dem Bereich Horror zu veröffentlichen, dachte sich womöglich der Publisher bei der Veröffentlichung von The House in Fata Morgana von Novectacle. Bei diesem Werk handelt es sich zeitgleich um die erste Lokalisierung sowie insgesamt das erste Projekt des noch jungen Entwicklers. Handelt es sich bei The House in Fata Morgana um reinen Horror oder sind auch tiefere Themen zu erwarten, die sich mit einer gruseligen Gesamtstimmung verbinden? Erfahrt mehr in unserem Test.
Die Reise durch die Erinnerungen des Anwesens
Dreh- und Angelpunkt der Geschichte von The House in Fata Morgana ist ein Landsitz an einem nicht näher benannten Ort, der aber stark europäisch anmutet. Das Anwesen ist im Ruf, den Bewohnern stets Unglück zu bringen. Diese Prämisse wird dem Spieler direkt zum Start mitgeteilt, was zugleich eine gewisse negative, vielmehr aber melancholische Grundstimmung aufbaut.
Als Protagonist erwacht man zu einem unbekannten Zeitpunkt in genau diesem Gemäuer. Begrüßt wird man dabei von einer freundlichen, aber nichtsdestotrotz unnahbaren Maid. Es stellt sich heraus, dass man als Protagonist gleich zum Meister des Anwesens für dessen letzte Geschichte geworden ist. Ungünstig ist dabei allerdings, dass man jegliche Erinnerungen an diesen Titel und an alles andere verloren hat. Zwar scheint sich die Maid zu wundern, doch ihre Geduld scheint keine Grenzen zu kennen.
Um die Erinnerungen aufzufrischen, erhält man einen Eindruck der Villa selbst, indem man von der Maid durch diverse Erinnerungen des Hauses geführt wird, die das Gebäude seit seinem Bestehen aufbewahrt. Sinn hinter diesen vier Türen beziehungsweise Geschichten ist es, mehr über den Landsitz zu erfahren und die eigene Rolle anzuerkennen. Diese vier Geschichten erlebt man ausschließlich als passiver Beobachter, da es sich um bereits vorhandene Ereignisse in der Villa zu handeln scheint. Zwar sind die vier Amnesielöser alleine schon durch den zeitlichen Abstand unabhängig voneinander, jedoch enthalten sie allesamt gemeinsame Elemente, die bereits im Verlauf dieser ersten vier Kapitel zum Nachdenken anregen.
Das passive Erleben der ersten Hälfte der Visual Novel bedeutet jedoch nicht, dass gar keine Interaktion möglich ist. So wird man bereits in der ersten Hälfte des Spiels zwischen den Geschichten vor folgenschwere Entscheidungen gestellt. Im späteren Verlauf geht der Entwickler einen Schritt weiter und verlangt Entscheidungen innerhalb von Sekunden.
Durch vier Türen musst du gehen – und vielleicht noch weiter?
Machen wir doch auch eine kleine Führung durch die Geschichten des unheilbringenden Anwesens.
Der erste Handlungsbogen beschäftigt sich mit dem Geschwisterpaar Rhodes Anfang des 17. Jahrhunderts. In ihren jungen Jahren verstehen sich der belesene Mell und Wildfang Nellie prächtig miteinander, stellen sich vor, Prinz und Prinzessin zu. Doch hält dieses Verhältnis auch die nächsten Jahre lang? Wie es in dem Zeitalter üblich ist, soll Nellie in eine wohlhabende Familie vermählt werden. Gleichzeitig erfährt ihr Bruder Mell die erste Liebe mit einer weißhaarigen Zofe unter ohnehin schon ungünstigen Umständen. Nellie versteht dabei die Welt nicht mehr, schließlich ist Mell immer ihr Prinz gewesen.
Das erste Kapitel zeigt bereits ganz gut, mit welchem Erzählstil der Entwickler arbeitet. Die Ereignisse scheinen gerade zu Beginn belanglos zu wirken. Davon lässt man sich einlullen, bis sich herausstellt, dass man an der Nase herumgeführt wurde. Dies ist aber nicht im Negativen zu verstehen. Vielmehr hat man als Leser gewisse Erwartungen über den Verlauf der Handlung. Wenn diese übertroffen werden, bleibt man jedoch umso gespannter bei der Sache. Tatsache ist aber auch, dass die Geschichte bisweilen eine ziemlich lange Zeit für ihren Aufbau benötigt, wenngleich jeder behandelte Punkt bei der Auflösung aufgegriffen wird. Der Horror-Part der Handlung ist hier sehr subtil ausgelegt, überzeugt aber dadurch auf voller Linie. Bei der verwendeten Sprache bemüht man sich zwar, sich auf dem Niveau des Zeitalters zu bewegen, ganz gelingt das aber hier nicht. So liest man etwa das Wort ‘okay’, obwohl dieses frühestens um 1800 Verwendung in Amerika fand. Weiterhin sind die thematisierten Tabu-Themen nicht für zarte Gemüter geeignet, für das damalige Zeitalter aber fast schon normal.
Die zweite Tür führt zu einer gänzlich anderen Erzählung. Etwa 100 Jahre nach den Ereignissen aus dem ersten Kapitel gelangt eine Bestie in das Anwesen und wird zum neuen Meister. Die Maid lehrt das Biest zu sprechen und sich allmählich wie ein Mensch zu verhalten, findet heraus, dass es eigentlich nach Frieden strebt. Beim Empfangen eines verirrten Gastes fühlt sich das Biest bedroht. Urplötzlich verfällt es in sein altes Wesen zurück und tötet den Gast. Auf seinen Wunsch hin leitet ihm das Anwesen selbst jede Woche einen Gast zu, den die Bestie grauenhaft ermordet und sich danach zubereiten lässt. Eines Tages bricht jedoch ein bereits bekannter Gast diesen Teufelskreis durch seine besonderen Eigenschaften. In der Zwischenzeit sucht auch Pauline aus Übersee nach ihrem Liebsten, der im Ausland verstorben sein soll…
Der Horror im zweiten Kapitel ist wesentlich direkter und expliziter als vorher. Auch dieser Handlungsstrang weiß zu überzeugen, ist dabei deutlich komplexer als die Ereignisse hinter der ersten Tür. Stellenweise wirkt die Geschichte um Pauline zu einem großen Teil fehl am Platz durch ihre Länge, andere Fakten geraten dagegen zu kurz. Weiterhin gibt es Ungereimtheiten bezüglich der Ortsbestimmung, wobei nicht ganz klar ist, ob es der Lokalisierung oder der Darstellung der Charaktere geschuldet ist. Nichtsdestotrotz ist dieser Handlungsbogen nochmal insgesamt interessanter mit den Motiven seiner Charaktere als noch die erste Geschichte.
Auch die Geschichte hinter der dritten Tür bringt ihren ganz eigenen Ton mit sich. Inmitten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – der Zeit der Neuen Welt, wo Technik und Fortschritt wichtige Faktoren sind, – hat ein weiterer Meister des Anwesens ganz ambitionierte Pläne. Jacopo will die erste Bahnstrecke fertigstellen, die über ganz Europa verläuft. Kosten und Verluste sind ihm gleich, einzig Erfolg und Fortschritt zählen für ihn. Aus diesem Grund vermählte ihn seine Familie mit der Tochter einer verarmten Adelsfamilie – ein Austausch zwischen Geld und Prestige. Wie es solche Ehen an sich haben, ist auch bei dieser keine Harmonie vorzufinden. Jacopo weicht seiner Frau aus und verbietet ihr den Umgang mit anderen Menschen außerhalb ihres Zimmers. Nur die Maid Maria ist mit beiden Vermählten befreundet und versucht zwischen ihnen zu vermitteln. Jacopo wird jedoch immer radikaler – wieso?
Das dritte Kapitel arbeitet gänzlich mit der Gefühlswelt von Menschen und kommt ohne den üblichen Horror aus, was eine nette Abwechslung ist und erneut zeigt, dass der Entwickler von The House in Fata Morgana mit unterschiedlichen Erzähltechniken umgehen kann. Hier stimmt auch der Aufbau und das Finale wirkt besonders rund, da es sich allein auf die Art der Charaktere verlässt.
Hinter der vierten Tür verbirgt sich die wohl letzte Geschichte, die ins neunte Jahrhundert reicht, also weit vor den Ereignissen der vorherigen Türen. Wird hier die eigene Identität gelüftet? Ist danach tatsächlich Schluss? Vielleicht.
Der Titel zeichnet sich insgesamt dadurch aus, dass er wie bei einem Zaubertrick mit den Erwartungen des Lesers spielt. Wenn man gleich zu Beginn alles hinterfragt, wird man nicht viel Spaß haben. Lässt man sich aber auf das Spiel ein, erlebt man eine Achterbahn der Gefühle, die zum Nachdenken anregt. Mit einer Länge von durchschnittlich etwa 20 Stunden ist man auch einige Zeit beschäftigt.
Bilder wie Gemälde und Musik als Höhepunkt
Die grafische Darstellung von The House in Fata Morgana ist eine interessante Mischung. Während die Hintergründe lediglich schemenhaft dargestellt werden, sind die wichtigen Figuren in den Geschichten im Spiel mit unterschiedlichen 3/4-Portraits entsprechend ihren Ausdrücken ausgestattet, entfernt erinnert die eher europäische Gothik-Optik der Figuren an Werke von Kaori Yuki. Animationen im traditionellen Sinne gibt es nicht, aber CG-Bilder und Spezialeffekte sorgen für ausreichend Stimmung und Abwechslung fürs Auge. Im ersten Moment muss man sich vielleicht an den nicht üblichen Stil gewöhnen, aber durch die Kombination der einzelnen Komponenten wirkt alles auf eine eigene Art lebhaft wie ein Gemälde. Selbst die Gestaltung der Menüoptionen wurde kreativ als Kerzenständer umgesetzt.
Der Höhepunkt des Spiels ist jedoch der Soundtrack. Der Entwickler empfiehlt bereits beim Start, Kopfhörer zu tragen. Dies ist auch berechtigt, da einige Musikstücke auch mit beiden Ohren einzeln ihr Spiel treiben. Die Auswahl an Musik ist recht groß und oft auch mit Gesang untermalt. Die Musik wird stets passend eingesetzt. Auch wenn ein Stück mal auf die Nerven gehen sollte, ist dies beabsichtigt, wenngleich es manchmal erst später aus dem Kontext klar wird. Auf diese Weise wird der Handlung noch auf mehreren Ebenen Tiefe verliehen, ohne auf Erklärungen und Erzählungen zurückzugreifen, welche sonst die Spannung zerstören würden. Stimmen sind bis auf den Gesang der Musik nicht zu hören, dafür werden allerdings Soundeffekte in Maßen eingesetzt. Dadurch, dass diese nur in passenden Situationen eingesetzt werden, wirken entsprechende Momente noch authentischer.
Wer freut sich über die Reise?
The House in Fata Morgana ist keine Visual Novel wie jede andere, sie hebt sich deutlich vom Standard ab. Liebe ist zwar auch hier ein zentrales Thema, wird aber nicht auf die übliche Weise behandelt. Auch Horror ist zur Genüge enthalten, jedoch wird auch dieser oftmals nicht offensichtlich präsentiert, bleibt schaurig, aber subtil. The House in Fata Morgana will individuell sein, durch Drama dargestellt zeigen, wozu der Mensch mit seinen Gefühlen in der Lage ist und wozu der Geist bereit sein kann – das alles sehr an Gothik und Barock angelehnt. Klar zu empfehlen ist der Titel Lesern, die auf der Suche nach Spannung und Drama sind und das Nervenkostüm besitzen, sich mit außergewöhnlichen Themen ebenfalls auseinanderzusetzen. Ein Blick – oder ein Ohr – lohnt sich allerdings auch schon der Musik wegen.
Story: Eine Eigenkreation aus Drama und Horror, regt zum Nachdenken an.
Gameplay: Linearer Verlauf mit verschiedenen Enden, Entscheidungen manchmal mit Zeitlimit.
Grafik: Abwechslung mit wirren Hintergründen und detaillierten Portraits, europäisch angehaucht.
Sound: Untermalt die Handlung mit Gesang zu jeder Zeit perfekt.