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Im Test! Shin Megami Tensei: Lucifer’s Call

Ein Geheimtipp für Rollenspieler mit masochistischer Ader? Oder doch eine tiefgründige Reise, welche das gesamte Konzept der Welt metaphorisch auf den Kopf stellt? Ghostlight veröffentlichte in Europa vor etwa einem Jahrzehnt den dritten Ableger der in Japan populären Spielserie Shin Megami Tensei unter dem Namen Shin Megami Tensei: Lucifer’s Call. Um der Gefahr zu entgehen, eine Rarität für die in manchen Kreisen bereits als antiquiert bezeichnete PlayStation-2-Konsole zu werden, ist nun auch eine emulierte Version für PlayStation 3 über den PlayStation Store hierzulande erhältlich. Hallt Lucifers Ruf weiter nach oder ist einer der höchsten Dämonen mit den Jahren heiser geworden? Findet es in unserem Test heraus!

Der bestimmende Faktor

Ist euch irgendjemand freundlich gesinnt?
Ist euch irgendjemand freundlich gesinnt?

Eigentlich sollte alles nur ein normaler Tag für euch werden. Auf dem Plan stand nur ein Krankenhausbesuch eurer Lehrerin mit zwei Mitschülern, doch dies geht mächtig in die Hose. Der Grund hierfür: Das Ende der Welt ist eingeläutet. Zu eurem Glück – oder Unglück – werdet ihr bei diesem Prozess mit etwas unfreiwilliger Hilfe zum Halbdämon, der durch wurmartige Parasiten namens Magatama seine Macht bezieht. Zwei mysteriöse Gestalten – ein älterer Herr im Rollstuhl und eine junge Dame mit Schleier vor dem Gesicht, die beide aufgrund unerklärlicher Umstände auch ihr Alter verändern – begegnen euch ebenfalls häufig, doch ihre Motive sind unklar.

In der entstandenen Vortexwelt, das Zwischenstadium für die Wiedergeburt einer neuen Weltordnung, steht ihr am untersten Ende der Hierarchie und müsst euren Platz in den Ruinen der alten Welt finden, auch um euch und eure Kräfte zu verstehen.

Im Laufe eurer Reise werdet ihr auch alte Bekannte wiedertreffen, doch nichts scheint dabei mehr, wie es vorher gewesen war. Es bilden sich mehrere Parteien, die unterschiedliche Vorstellungen von den Naturgesetzen der neuen Welt haben. Werdet ihr euch für eine dieser Visionen entscheiden und alles für diese geben oder widersetzt ihr euch diesem Irrsinn, um euren eigenen Wunsch zu erfüllen? Vielleicht seid ihr aber selbst vom Einfluss der Vortexwelt gefangen und entschließt euch, einen verbotenen Pfad mit ungewissem Ausgang zu beschreiten? All dies liegt in eurem Ermessen.

Wie so oft in der Reihe, ist die Handlung auch in Shin Megami Tensei: Lucifer’s Call sehr komplex und vielschichtig. Es gibt kein optimales Szenario. Jede im Spielverlauf getätigte Entscheidung ist an Konsequenzen gekoppelt, was das Spiel mehr als einmal deutlich klar macht. Jede Partei besitzt Vorzüge und Defizite in ihrem Konzept und so fällt es nicht leicht, sich für einen Weg zu entscheiden. Neben zahlreichen Nebenquests, ist im Spiel auch eine optionale Quest implementiert, die letztlich zu einem von sechs Enden führen kann. Weiterhin hat auch Dante aus Devil May Cry 2 keinen unwesentlichen Auftritt in diesem optionalen Handlungsbogen.

Am Ende der Nahrungskette

Wer ist stärker?
Wer ist stärker?

Shin Megami Tensei ist seit jeher bekannt dafür, nicht die einfachste RPG-Reihe zu sein und Lucifer’s Call bildet da keine Ausnahme dieser Regel. Ihr startet als mickrige Fliege unter den Dämonen und eure einzige Option dagegen vorzugehen, ist der Kampf. Als Ausstattung stehen euch nur euer eigener Körper und die Magatama zur Verfügung.

Jedes Magatama stärkt eure Statuswerte unterschiedlich und beherbergt zudem verschiedene Fähigkeiten, die ihr erlernen könnt, wenn ihr mit dem Magatama einen Level aufsteigt. Gleichzeitig sind die wurmartigen Wesen aber auch ein zweischneidiges Schwert. Die meisten Fähigkeiten sind über euer Level beschränkt. Dies bedeutet, dass bestimmte Fähigkeiten nur bei ausreichendem Level erlernt werden können, zudem gibt es nur eine Chance, eine Fähigkeit zu erlernen, wenn man beim Stufenanstieg mit dem entsprechenden Magatama ausgestattet ist.

Ohnehin muss mit den Fähigkeiten wirtschaftlich verfahren werden, denn es gibt weitaus mehr Fähigkeiten als Plätze, diese zu erlernen. Natürlich möchte man sich möglichst viele Optionen offen lassen und Zugriff auf alle Fähigkeiten haben, ist jedoch eine von ihnen erlernt, kann diese nicht wieder erlernt werden. Weiterhin hat jedes Magatama auch Stärken und Schwächen bezüglich seiner elementaren Attribute, die beachtet werden müssen. Bei eurem zukünftigen Repertoire müsst ihr daher vorausschauend denken.

„Schwierigkeitsgrad? Gnadenlos!“

Zum Glück müsst ihr eure Reise nicht alleine antreten, denn ihr könnt innerhalb von Kämpfen eure Gegner von eurer Sache überzeugen, auf dass sie sich euch anschließen, anstatt euch zu bekämpfen. Dies geschieht, indem ihr mit den Dämonen auf mehr oder weniger diplomatische Art redet. Je nach Art des Dämons sind unterschiedliche Künste gefragt, manche fragen nach Geld, andere wiederum stellen die eigene Moral infrage, um sich euch letztlich anzuschließen. Aufgrund von Verständnisproblemen oder unterschiedlichen Idealen können euch Dämonen allerdings auch grundsätzlich ablehnen.

Welche Rolle spielt wohl Dante?
Welche Rolle spielt wohl Dante?

In der aktiven Gruppe können euch maximal drei Dämonen zur Seite stehen, in der inaktiven Gruppe ist allerdings Platz für einige weitere Exemplare. Das Repertoire an Fähigkeiten ist für die Begleiter stark begrenzt. Im besten Fall erlernen sie noch vorher festgelegte Fähigkeiten bei festgelegten Stufenanstiegen. Einige Dämonen verfügen allerdings auch über die Gabe, sich nach bestimmten Level Ups weiter zu entwickeln und so stärkere Formen anzunehmen.

Um jedoch tatsächlich für jede Lage gewappnet zu sein, werdet ihr nicht darum herum kommen, eure Begleiter miteinander zu fusionieren, damit noch mächtigere Wesen entstehen können. Was ihr bei der Fusion erzeugt, hängt insbesondere von der Gattung des Fusionsmaterials und dessen Level ab, allerdings können auch noch andere Faktoren für besondere Fusionen von Relevanz sein. Kostenlos ist diese elementare Funktion jedoch nicht, weshalb ihr lieber mit mehr Geld als weniger die Kathedrale der Schatten betreten solltet.

Die zahlreichen Dungeons in Lucifer’s Call entsprechen dem Schema Dungeon Crawler, also endlose Gegnerwellen auf endlos vielen Ebenen. Aufgelockert wird dies durch Rätsel unterschiedlicher Art, die mal mehr, mal weniger Hirnschmalz beanspruchen. An ausreichend NPCs mangelt es an den meisten Orten ebenfalls nicht.

Fight’n’Grind

Wie es in der Hauptserie von Shin Megami Tensei üblich ist, laufen die Kämpfe in Lucifer’s Call rundenbasiert ab. Jede Gruppe hat dabei eine bestimmte Anzahl an Aktionspunkten, die von der Anzahl an Gruppenmitgliedern abhängig ist. Für jede Handlung, die getätigt wird, wird ein Punkt verbraucht. Wird jedoch ein kritischer Treffer ausgeteilt, ein Schwachpunkt getroffen oder aber der Zug von einer Figur verworfen, wird kein vollständiger Zug verbraucht. Dies bedeutet, dass mehr Aktionen ermöglicht werden. Da die zuverlässigste Methode das Ausnutzen der Schwächen der Gegner ist, sollte die Analyse dieser eure oberste Prämisse sein. Die massiven Vorteile durch das Vermehren der Aktionspunkte besitzt aber auch eine fatale Kehrseite. Wird ein Angriff in irgendeiner Weise abgewehrt, sei es durch Resistenz oder auch Ausweichen, werden zusätzliche Aktionspunkte gnadenlos abgezogen.

„Postapokalypse trifft auf Sammelwahn“

Ohnehin ist der Schwierigkeitsgrad von Shin Megami Tensei: Lucifer’s Call gut mit dem Wort ‚gnadenlos‘ zu beschreiben. Sollte man zu denjenigen gehören, die ein bisschen Plänkelei mit Dämonen auf die leichte Schulter nehmen, wird man hier vielleicht eine Lektion lernen. Speicherpunkte sind zwar nicht zu rar gesetzt, allerdings findet man diese auch nicht an jeder Ecke. Was man allerdings über den ganzen Spielverlauf hinweg hinter quasi jeder Ecke vorfinden kann, sind Kämpfe, die sehr schnell zu euren Ungunsten verlaufen können. Häufiges Speichern mindert den Frust durch Verlieren bereits immens, ein stets effizientes Team zusammen zu stellen, das allen Schwierigkeiten zumindest trotzen kann, ist dennoch die beste Lösung – manchmal ist hierfür auch Grinding erforderlich.

Dystopie und Rock

Von antik bis hochmodern.
Von antik bis hochmodern.

Man muss natürlich zugeben, dass die Grafik aus Shin Megami Tensei: Lucifer’s Call nicht mehr dem Standard entspricht, der heutzutage für gewöhnlich geboten wird. Nichtsdestotrotz ist das Spiel in dieser Hinsicht nicht als schlecht zu bezeichnen, denn mit entsprechender Glättungsoption der Konsole lässt sich Lucifer’s Call auch im Breitbildformat noch gut genießen.

Die Spielwelt besteht aus einer nach außen gekehrten Blase, die ganzen Ortschaften in dieser Vortexwelt entsprechen jedoch nicht diesem eigenartigen Schema, sondern bestehen aus Fragmenten Tokios sowie altertümlichen Konstruktionen, wobei ab und an hochentwickelte Designs ebenso bewundert werden können. Die Welt ist in ihrer Gesamtheit abwechslungsreich und schafft Atmosphäre trotz vieler düsterer Farben. Das Design der Dämonen ist kreativ und zugleich skurril. Gleichzeitig bietet dieses die Grundlage für zahlreiche Titel, die Lucifer’s Call folgten. Kenner der ersten beiden Teile der Reihe müssen sich lediglich daran gewöhnen, dass die Ansicht aus der dritten anstatt der ersten Person erfolgt.

Der Soundtrack wird wieder einmal von Shoji Meguro beigesteuert. Obwohl Meguro in den letzten Jahren durch die Ableger der Persona-Reihe stark an Popularität gewann, erlebt man hier eine Komposition aus jüngeren Jahren des Herrn, die frei von Pop ist und die Stimmung der Hauptreihe durch dystopische Klänge und Rock adäquat abrundet.

Folgen wir Lucifers Ruf?

Selbstverständlich tun wir das. Shin Megami Tensei: Lucifer’s Call bietet eine tiefgehende Handlung, welche selbst für die obskuren Verhältnisse von Shin Megami Tensei exotische Züge aufweist. Unterlegt wird dies mit Elementen eines Dungeon Crawlers mit Sammelprinzip durch die rekrutierbaren Dämonen bei einem durchaus herausfordernden Schwierigkeitsgrad. Zwar ist die teilweise überholte Grafik nicht mehr für jedes Gemüt zumutbar, wird aber durch den stimmungsvollen Soundtrack wett gemacht. Wer zumindest annähernd etwas mit Dungeon Crawlern anfangen kann, sollte sich den Titel zumindest näher ansehen.

Story: Postapokalypse mal anders mit zahlreichen Nebenquests und verschiedenen Enden.

Gameplay: Dungeon Crawler trifft auf Sammelwahn und rundenbasiertes Kampfsystem, herausfordernder Schwierigkeitsgrad, manchmal grindlastig.

Grafik: Teilweise stark überholt, schafft aber Atmosphäre in der Spielwelt.

Sound: Ausdrucksstarker Soundtrack von Shoji Meguro, welcher der Hauptreihe treu bleibt.