Titel | Yakuza 0 |
12. März 2015 | |
Sega | |
24. Januar 2017 | |
Sega | |
24. Januar 2017 | |
Sega | |
System | PlayStation 3 (JP), PlayStation 4 |
Getestet für | PlayStation 4 |
Entwickler | Sega |
Genres | Action-Adventure |
14 Tage, ein Videospiel, 104 Stunden. Die Credits laufen über den Bildschirm, die Tränen übers Gesicht. Das Gefühl der Zufriedenheit, nach einer langen Reise endlich am Ziel angekommen zu sein. Das Gefühl von Wehmut, nun Abschied nehmen zu müssen. Und das Gefühl der Erfüllung, wenn einem bewusst wird, dass dies das beste Videospielerlebnis seit sehr langer Zeit war. Das ist Yakuza 0.
Nach diesem Absatz sollte klar sein, dass dieser Text durchaus persönlich gefärbt ist. Doch seid unbesorgt: Auch wenn es mir zweifelsohne ein Anliegen ist, mit gebührender Euphorie die Qualitäten des Spiels hervorzuheben, ist Yakuza 0 auch ungeachtet subjektiver Präferenzen ein fantastisches Spiel.
Lobworte und Superlative allein können natürlich kein aussagekräftiges Bild vermitteln, deshalb kommen wir nun zum Wesentlichen: dem Inhalt des Spiels.
Knallhartes Yakuza-Drama
Im Kern lassen sich Spiele der Yakuza-Serie als Action-Adventures im urbanen Japan mit Open-World-Anleihen und starkem Fokus auf die Geschichte beschreiben. Die Handlung selbst ist stark von typischen Yakuza-Dramen inspiriert; behandelt werden Themen wie Brüderlichkeit, Ehre, Moral und Gewalt. Politik und Intrigen spielen eine Rolle und die Präsentation der Haupthandlung ist grundsätzlich ernst und realistisch und erfolgt häufig in langen, kinoreifen Filmsequenzen.
Anders als die meisten japanischen Spiele ist Yakuza recht frei von Anime-Kitsch. Zwar leben die Spiele durchaus auch von ihrer überzeichneten Coolness, der stilisierten Action und vielen verrückten Ideen, doch glücklicherweise haben die Entwickler ein ausgezeichnetes Gefühl dafür, welche Art der Darstellung wann angebracht ist. So erinnert die Haupthandlung in ihrer Präsentation eher einen guten Film, während die optionalen Nebengeschichten und das Gameplay auch mit einem Augenzwinkern genossen werden können.
Das Spiel hat zwei Protagonisten, die der Spieler im Wechsel kontrolliert. Die Geschichte von Kazuma Kiryu dreht sich um einen Mordfall in Tokios Kamurocho-Bezirk, ein Machtspiel innerhalb seines Yakuza-Clans. Er wird angeklagt für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat, und muss drastische Maßnahmen ergreifen, die ihn zum Gejagten machen und ihn nach und nach immer weiter in die dunkelsten Tiefen der japanischen Verbrecherwelt ziehen.
Die Geschichte von Goro Majima spielt in der Stadt Sotenbori in Osaka, die nach seiner Ausstoßung aus der Yakuza zugleich sein Gefängnis ist. Majima leitet einen großen Hostessen-Club, doch sein eigentliches Ziel ist es, wieder in die Ränge der Yakuza aufgenommen zu werden. Er erhält einen Mordauftrag, doch je mehr er über die Zielperson erfährt, desto stärker beginnt er zu zweifeln. Bevor er sich dessen bewusst wird, ist auch er Teil eines Machtspiels, das zu einem Krieg innerhalb der Yakuza führen könnte.
Zunächst verlaufen beide Handlungsstränge unabhängig voneinander. Das Spiel konzentriert sich zu Beginn darauf, die Charaktere und ihr Umfeld einzuführen. Mit fortschreitender Handlung werden die Fäden aber immer stärker zusammengeführt und intelligent zu einem Gesamtbild verwoben. Dabei weiß das Spiel immer genau, wann es welche Informationen preisgeben muss, um die Handlung spannend zu gestalten und den Spieler immer dann zu überraschen, wenn er am wenigsten damit rechnet.
Die Handlung kommt schnell in Fahrt und schon früh gibt es Höhepunkte, die man bei anderen Videospielen bestenfalls ganz am Ende zu sehen bekommen würde. Das Pacing ist recht konsistent und Durststrecken gibt es keine. Dafür sorgt allein schon der regelmäßige Wechsel zwischen den Protagonisten. Es werden auch viele „harte“ Themen behandelt, die man in japanischen Videospielen nur selten sieht, darunter Gewalt, Folter, Menschenhandel, (implizierter) Sex und das schwere Los chinesischer Immigranten in Japan. Die Ab-18-Freigabe kommt nicht von ungefähr und ist vollkommen gerechtfertigt.
Doch die Handlung selbst wäre bei Weitem nicht so viel wert, wenn Yakuza 0 sie nicht so ausgezeichnet in Szene setzen würde. Hervorzuheben sind insbesondere die kinoreifen Filmsequenzen, die zu den besten gehören, die das Medium jemals hervorgebracht hat. Nicht nur die grafische Qualität ist beeindruckend (und das, obwohl Yakuza 0 in Japan auch für PlayStation 3 erschien), sondern auch die realistischen Bewegungen und Gesichtsausdrücke, die nur durch aufwändiges Motion Capturing so umgesetzt werden konnten. Die Regie ist ausgesprochen gelungen: Gezielte Kameraeinstellungen heben einzelne Elemente effektiv hervor und die stimmungsprägende, aber nie zu aufdringliche Musik rundet das Ganze ab.
Nicht zuletzt gelobt werden muss auch die hervorragende Arbeit der japanischen Synchronsprecher, die ihre Figuren ausdrucksstark und authentisch herüberbringen. Das typische japanische „Overacting“ gibt es hier nicht. Besonders beeindruckend ist, wie glaubwürdig bestimmte emotionale Nuancen vermittelt werden wie etwa eine gebrochene Stimme beim Weinen oder ein schweres Atmen.
Durch so viele talentierte Beteiligte und eine derartige Liebe zum Detail geht die Geschichte dem Spieler sehr schnell sehr nah. Es dauert nicht lange, bis einem die Figuren ans Herz wachsen – oft, wenn man selbst gar nicht damit gerechnet hätte – und in den dramatischen und emotionalen Momenten fiebert man regelrecht mit. Immer, wenn man denkt, die beste Szene im Spiel bereits gesehen zu haben, folgt kurz darauf eine, die noch einen Schritt weitergeht. Das schaffen nicht viele Spiele.
Willkommen in Kamurocho
Durch seine offene Struktur steht ein großer Teil der optionalen Inhalte dem Spieler schon von Anfang an zur Verfügung. Einige Orte und Features werden erst im Spielverlauf zugänglich, doch bereits nach der ersten Spielstunde kann der Spieler Kamurocho frei erkunden. In der Stadt kann man auf der Straße gegen Gegner kämpfen, die Streit suchen, Nebengeschichten nachgehen, zahllose Minispiele spielen und zwei größeren Simulationsspielen nachgehen: dem Immobilienhandel und dem Aufbau eines Hostessen-Clubs. Kurze Ladezeiten sorgen für einen guten Spielfluss.
Man sollte Yakuza jedoch nicht zu sehr mit Spielen wie Grand Theft Auto vergleichen, da es keine Sandbox-Elemente gibt und Interaktionen mit der Spielwelt zwar zahlreich sind, aber keinen großen Simulationsgrad haben. Yakuza konzentriert sich zudem mehr auf die narrativen Elemente: Es gibt insgesamt 100 Nebengeschichten, die meist recht kurz und spielerisch aufs Wesentliche beschränkt sind, dafür aber jedes Mal eine kreative Geschichte erzählen, oft auf ulkige, skurrile oder humorvolle Weise, aber manchmal auch – vielleicht gerade deshalb – mit einer schönen Moral.
In einer Nebengeschichte muss man beispielsweise einer Dominatrix beibringen, sich dominant zu verhalten, und in einer anderen hilft man einem zwielichtigen Händler aus der Patsche, der in einer Hintergasse Pilze verkauft. Speisepilze wohlgemerkt – seine Kunden erwarten zu seinem Unbehagen Betäubungsmittel. Das ist ein ganz anderes Kaliber als die generischen Mobhunts oder Fetchquests, die man in modernen RPGs so zahlreich sieht. Jede Nebengeschichte hat ihre Daseinsberechtigung und auch wenn manche spannender oder unterhaltsamer sind als andere, ist das durchschnittliche Niveau sehr hoch.
Sehr abwechslungsreich wird das Gameplay durch die vielen Minispiele, die Yakuza 0 bietet. Mit den meisten davon kann man sich übrigens auch locker über eine Stunde – teils deutlich mehr – beschäftigen, da es oft verschiedene Modi, Schwierigkeitsgrad oder Errungenschaften gibt. Es gibt zum Beispiel Karaoke, Tanzen, Batting (Baseball), Bowling, vier echte Arcade-Spiele, Wunderkran, Shogi, Mahjongg, Darts, Billard, Angeln, Catfights, Poker und Modellautorennen. Die meisten dieser Spiele machen auch tatsächlich Spaß, auch wenn bei den Gesellschafts- und Kartenspielen die Einstiegshürden für Neulinge recht groß sind.
Die beiden größten Nebenaufgaben im Spiel sind zwei Simulationsspiele: Immobilienhandel und der Aufbau eines Hostessen-Clubs. Im Immobilienhandel gilt es, in der Stadt Gebäude aufzukaufen und das Imperium der sogenannten „fünf Milliardäre“, die Kamurocho kontrollieren, zu zerschlagen. Im Hostessen-Club muss man Mädchen beibringen, wie sie mit männlichen Kunden umgehen sollen und sein Team nach und nach um neue Hostessen erweitern, um den eigenen Club zum besten in Sotenbori zu machen.
Ein entscheidendes Element habe ich noch nicht erwähnt: die Kämpfe. Yakuza 0 ist ein Action-Spiel mit einem Kampfsystem, das an Beat ‚em ups erinnert, aber auch Anleihen von Action-RPGs hat. In verschiedenen Kampfstilen kämpft man mit nahtlosem Übergang gegen Gegner und kann dabei angreifen, Kombos ausführen, Waffen verwenden, Gegner greifen, Angriffen ausweichen, sie kontern oder sich verteidigen. Das System ist sehr intuitiv und man findet sich auch ohne viele Erklärungen ein. Wer auf höheren Schwierigkeitsgraden kämpft, muss sich aber tiefer mit den Mechaniken auseinandersetzen.
Jeder Kampfstil, von denen es pro Charakter vier gibt, hat einen eigenen Skillbaum, auf dem man neue Fertigkeiten freischalten oder passive Verbesserungen erzielen kann. Dafür benötigt man Geld, das man nicht nur von Kämpfen, sondern durch die meisten Nebentätigkeiten erhält.
Yakuza 0 gestaltet das Gameplay zusätzlich dadurch motivierend, dass man für alle möglichen Errungenschaften in Kämpfen, Minispielen, Nebenaufgaben und dem Erkunden der Spielwelt sogenannte Completion Points (CP) erhält, die man in dauerhafte Upgrades investieren kann (zum Beispiel längeres Rennen, ohne außer Atem zu geraten). Wer alle CP erhalten will, wird definitiv über 100 Stunden an Yakuza 0 sitzen.
Es gibt einfach unglaublich viel zu tun. Dabei sind die beiden Städte gar nicht mal so gigantisch groß – aber dafür eben sehr gut gefüllt. Jedes Mal, wenn man denkt, man hätte alle großen Sachen gesehen, werden wieder neue Elemente freigeschaltet, mit denen man sich stundenlang beschäftigen kann. Das macht Yakuza 0 zu einem extrem umfangreichen, aber glücklicherweise dauerhaft kurzweiligen Spiel und dadurch, dass man sich das Gameplay zwischen den Story-Segmenten quasi selbst portionieren kann, ist man an keine vom Spiel vorgegebene Balance gebunden.
Die Liebe zum Detail
In Yakuza 0 steckt unglaublich viel Liebe zum Detail. Dafür muss man nur einmal anhalten und sich in Ruhe umschauen. Nicht nur wurden die Städte realen Pendants nachempfunden, sie sind auch voll von kleinen Augenöffnern. Überall wandern Menschen in glaubwürdiger Konstellation durch die Straße und gehen ihren Aktivitäten nach, vom Schulmädchen bis zum betrunkenen Bettler. In einem Ramen-Laden findet man an der Wand vergilbte, handgeschriebene Preislisten und an Wänden hängen Bilder von Models oder Werbung für ein neues Produkt. Fast alle Innenräume sind extrem liebevoll gestaltet worden und verleihen der Spielwelt ein lebensechtes, organisches Gefühl. Sobald die Dunkelheit einsetzt, wird Kamurocho regelrecht zum Neon-Dschungel und macht seinem Ruf als Rotlicht- und Vergnügungsbezirk alle Ehre.
Zur Immersion trägt im Übrigen auch die tolle Surround-Soundkulisse bei. Hintergrundmusik gibt es in den Zwischensequenzen, den Nebengeschichten und den Kämpfen, aber nicht, während man durch die Stadt läuft. Dort hört man die Menschen reden, lachen, streiten, klimperndes Geschirr in einem Restaurant, Musik, die aus dem nächsten Lokal dringt oder die Pieptöne der Arcade-Maschinen in der nächsten SEGA-Spielhalle.
Da das Spiel im Jahr 1988 spielt, gibt es auch einige historische Aha-Effekte. Augenzwinkernd redet das Spiel über die boomende Konjunktur und die absurde Idee, Zigaretten und Benzin hoch zu besteuern – etwas, das bei uns natürlich längst eingetroffen ist. In Supermärkten liegen Manga-Magazine mit Titeln aus, die es zur damaligen Zeit echt gab, und anstatt Handys mit sich zu führen gehen die Menschen in Telefonzellen, die übrigens auch als Speicherpunkte dienen.
Um die teure Entwicklung der Yakuza-Spiele zu finanzieren, wurden Kooperationen mit vielen echten Unternehmen eingegangen. Im Gegensatz zu anderen Spielen führt das jedoch nicht zu immersionsbrechenden Produktplatzierungen, sondern fügt sich glaubwürdig in die Welt ein. Dann trinkt Kiryu eben ein Carlsberg-Bier und kauft im Don Quijote ein. Dann sind die Models auf den Telephone Cards, die man sammelt (und die teilweise auch als NPCs auftreten), eben echte Models und Pornodarstellerinnen. Yakuza 0 spielt in einer echten Welt, da kommt das natürlich herüber, und ins Gesicht brüllt einem das Spiel mit seinen verschiedenen Marken ohnehin nicht.
In anderen Fällen treten auch Figuren auf, die eindeutig damals relevanten realen Personen nachempfunden sind – Steven Spielberg und Michael Jackson kommen zum Beispiel vor. Selbst, wer in den 80er-Jahren noch nicht gelebt hat, wird solche Anspielungen verstehen.
(K)Ein perfektes Spiel?
Trotz aller Lobeshymnen ist Yakuza 0 natürlich kein perfektes Spiel. Doch die Kritikpunkte sind allesamt nicht besonders gewichtig. Majimas Augenklappe wirkt etwas albern und Kiryu ist manchmal zu sehr der coole Held. Eine Retry-Option bei Minispielen hätte dem Spielfluss gut getan. Einige Punkte der Completion List sind mit etwas Mühsal verbunden, insbesondere für Spieler, die mit asiatischen Spielen wie Mahjongg, Koi-Koi oder Shogi nicht vertraut sind. Die Präsentation der an sich sehr tollen, aber unvertonten und nicht sehr aufwändig in Szene gesetzten Nebengeschichten verblasst natürlich im Vergleich zu den Filmsequenzen der Hauptgeschichte und es wäre nett gewesen, wenn man auch normale Dialoge und nicht nur Filmsequenzen überspringen könnte. Einige Hintergrunddialoge in Minispielen, Kämpfen oder wenn man durch die Stadt läuft, sind nicht untertitelt und eine englische Sprachausgabe wäre natürlich toll gewesen.
Trotz dieser kleinen Makel ist Yakuza 0 ein sehr rundes Spiel, das inhaltlich wie spielerisch überzeugt und alle paar Spielstunden aufs Neue positiv überrascht.
Ein unvergessliches Erlebnis
Story: Mitreißendes, emotionales und wendungsreiches Yakuza-Drama. Die Geschichte ist so gut inszeniert wie in kaum einem anderen Spiel.
Gameplay: Simple und spaßige Kämpfe, freie Erkundung, hundert Nebengeschichten, dutzende (oft umfangreiche) Minispiele, zwei größere Simulationsspiele. Kurzweilig, mit viel Abwechslung und unglaublich umfangreich.
Grafik: Trotz PlayStation-3-Herkunft beeindruckend, insbesondere in den Filmsequenzen. Sehr viel Liebe zum Detail.
Sound: In Kämpfen rockig und elektronisch, in Zwischensequenzen stimmungsvoll und oft emotional. Authentische Soundkulisse in den Städten.
Sonstiges: 30 Stunden Hauptgeschichte, insgesamt weit über 100 Stunden Spielspaß. Online-Kampfmodus. Lebendige englische Übersetzung, aber ohne englische Sprachausgabe und deutsche Untertitel.