Das Jahr 2013 markiert das Ende einer Ära. In diesem Jahr kamen Hayao Miyazakis „Wie der Wind sich hebt“ und Isao Takahatas „Die Legende der Prinzessin Kaguya“ in die japanischen Kinos – die letzten Filme der beiden Großmeister, die die japanische Anime-Industrie fast seit Beginn mitgestaltet hatten.
Im selben Jahr erhielt die Dokumentarfilmerin Mami Sunada die Erlaubnis, sich frei durch das Gebäude des Studio Ghibli zu bewegen und zu filmen. Am Ende des Jahres entstand eine Dokumentation im Kinoformat, die nicht nur äußerst denkwürdige Momente festhält, sondern auch hochpersönlich ist: The Kingdom of Dreams and Madness.
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Universum Anime hat diese Ghibli-Dokumentation nun in Deutschland veröffentlicht. Wir hoffen, dass diese Bemühungen mit Erfolg gesegnet sind, denn bei The Kingdom of Dreams and Madness handelt es sich um ein einzigartiges Werk von bemerkenswerter Schönheit.
Auf dem Cover des Films sieht man die drei Kernfiguren des Studios: Hayao Miyazaki, Isao Takahata und Toshio Suzuki. Der Film folgt primär dem Alltag im Studio, doch gelegentlich werden auch Szenen aus der Vergangenheit gezeigt, die zeigen, wie sich die drei trafen, wie sich Miyazakis Führungsqualitäten herausbildeten und wie die ehemaligen Partner Miyazaki und Takahata ihre eigenen Wege gingen.
Was den Film so persönlich macht, ist unter anderem die Kameraführung. Sunada konnte keine ganze Filmcrew mitnehmen, um die Arbeiten im Studio zu filmen, deshalb filmte sie alles allein und mit einer kleinen Kamera.
Ein großer Teil des Films folgt Miyazaki bei der Produktion von Wie der Wind sich hebt. Man sieht ihn beim Zeichnen, wie er mit seinen Mitarbeitern redet, wie er mit sich selbst spricht, wie er den Sonnenuntergang beobachtet und wie er seinen täglichen Ritualen nachgeht.
„Mit Takahata fing alles erst an. Er hat Hayao Miyazaki entdeckt. Er hat Joe Hisaishi entdeckt. Er brachte beide zusammen. Er lehrte Suzuki an, oder war viel mehr sein Mentor. Es ist klar, dass es ohne Isao Takahata kein Studio Ghibli geben würde.“ – Yoshiaki Nishimura
Auch die anderen Mitarbeiter des Studios werden beleuchtet. Toshio Suzuki, der Produzent fast aller Ghibli-Filme seit Porco Rosso, redet gern über seine Arbeit, das Studio und die Persönlichkeiten Miyazakis und Takahatas. Man merkt, wie er maßgeblich für die persönliche Atmosphäre verantwortlich ist, die im Studio vorherrscht.
Auch Miyazakis Sohn Goro, der Regie bei Die Chroniken von Erdsee und Der Mohnblumenberg führte, ist kurz zu sehen. In einem sehr persönlichen Moment wird klar, dass er stärker mit seiner Arbeit zu kämpfen hat als sein Vater und unter großen Selbstzweifeln leidet. Hideaki Anno, langjähriger Freund von Miyazaki, und Komponist Joe Hisaishi haben ebenfalls einige Auftritte.
An Isao Takahata kam Sunada leider kaum heran, ihm sind nur zwei Szenen im Film gewidmet. Über seinen Produzenten Yoshiaki Nishimura bekommt man aber indirekt einiges über ihn mit. Gegen Ende des Films gibt es eine Szene, in der sich Takahata und Miyazaki treffen und der Zuschauer merkt, dass sie nur aufgrund ihrer gemeinsamen Vergangenheit so viel erreicht haben.
„Firmen sind darauf ausgelegt, Profit zu machen. Aber das interessiert uns nicht so sehr.“ – Hayao Miyazaki
Doch The Kingdom of Dreams and Madness ist mehr als nur eine Ansammlung von Momentaufnahmen. Es ist ein sehr anrührender Film, weil er eindeutig vermittelt, dass es auf ein „Ende“ zugeht. Dass Miyazaki, Takahata und Suzuki alt geworden sind und dass ohne sie in führenden Positionen Studio Ghibli in seiner bisherigen Form nicht weiterexistieren kann.
Mami Sunada schafft es auf einzigartige Weise, ganz ungezwungen eine große Menge an Emotionen im Zuschauer wachzurufen. In dem Jahr, das Sunada im Studio verbracht hat, sind viele denkwürdige Dinge passiert. Beispielsweise erhielt Miyazaki einen Brief von einem alten Mann, der zu Kriegszeiten in der Nähe von Miyazakis Familie gewohnt hat. Er berichtet Miyazaki von einer Erfahrung mit dessen Vater, die ihn in seiner Kindheit besonders geprägt hat. Dieser Brief bewegt etwas in Miyazaki, denn durch ihn findet er in gewisser Weise zu seinem Vater zurück.
„Wenn Ghibli Sie irgendwann nicht mehr fasziniert, kündigen Sie. Das würde ich nämlich auch machen.“ – Hayao Miyazaki
Mami Sunadas Stimme ist sehr wohlklingend und beruhigend. Sie kommentiert das Geschehen nur stellenweise, aber die Momente, in denen sie das tut, fühlen sich sehr bedeutsam an. Sehr viel zum Film trägt auch der wundervolle Soundtrack von Masakatsu Takagi (Ame & Yuki – Die Wolfskinder) bei. Seine Melodien haben eine ganz einzigartige Leichtigkeit, die im Kontext des Films zugleich auch ein wenig melancholisch wirkt. Für diese Dokumentation könnte man sich keinen besseren Komponisten vorstellen.
The Kingdom of Dreams and Madness enthält keine deutsche Tonspur. Universum Anime begründete die Entscheidung damit, dass sie es als respektlos empfunden hätten, Personen wie Miyazaki und Takahata nachzusynchronisieren oder mit einem Voice-Over zu versehen. Die Untertitel sind dafür zum Glück makellos.
Neben dem Hauptfilm befindet sich noch ein 30-minütiges Video mit dem Titel „Ushiko erkundet!“ auf der Disc, die zu Beginn der Katze des Studios folgt und später einige Szenen zeigt, die es nicht in den Hauptfilm geschafft haben. Eine davon ist ein Treffen von John Lasseter, Schlüsselfigur bei Pixar und Regisseur von Toy Story, und Miyazaki. Lasseter ist ein leidenschaftlicher Ghibli-Fan und ihn und Miyazaki verbindet eine lange Freundschaft.
Anders als die japanische Fassung des Films kommt die deutsche Veröffentlichung in einem Digipack daher. Dieses Digipack ist von der Innenseite sogar im markanten Scherenschnittstil der Ghibli-Filme für Blu-ray gestaltet.
„Die Zukunft des Studios steht schon fest. Es wird untergehen. Das sehe ich genau vor mir. Es bringt nichts, sich zu sorgen. Es passiert sowieso.“ – Hayao Miyazaki
Fazit: The Kingdom of Dreams and Madness ist Poesie in Filmform: Die persönlichen Aufnahmen, die unverstellten Eindrücke und das unabwendbare Gefühl von Vergänglichkeit, das die Dokumentation begleitet, machen den Film zu einem gleichermaßen spannenden wie rührenden Werk, das sich niemand, der auch nur ansatzweise etwas mit Studio Ghibli anfangen kann, entgehen lassen sollte.
Technische Daten & Extras
- Laufzeit Hauptfilm: ca. 118 Minuten
- Laufzeit Bonusmaterial: ca. 34 Minuten
- Bild: High Definition 1080p
- Audio: Japanisch (DTS-HDMA 5.1)
- Untertitel: Deutsch (weiße Schrift, schwarzer Rand)
- Bonusmaterial: Kurzfilm (Trailer), Ushiko erkundet!
- Altersfreigabe: ab 0
Nachfolgend einige Bilder, die die deutsche und japanische Blu-ray gegenüberstellen (das FSK-Logo ist ablösbar):