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Im Test! Tokyo Babel

In Japan ist der Entwickler propeller seit über zehn Jahren tätig und erschafft Visual Novels für alle Altersklassen. Durch den amerikanischen Publisher MangaGamer gelangt nun ein Werk des Entwicklers auch erstmals in den Westen inklusive Lokalisierung. Alleine von der Prämisse her versucht der Titel Tokyo Babel, abwechslungsreich und individuell zu wirken. Engel und Dämonen, Magie und Technik, die sieben Todsünden und noch einiges mehr erwartet euch in diesem Werk. Wie diese Themen in ihrer geballten Kombination zusammenwirken, erfahrt ihr in unserem Test.

»In seinen Grundzügen lässt sich Tokyo Babel als Paket aus Science Fantasy, Romance und School Life bezeichnen. Das Rad wird hier nicht vollständig neu erfunden.«

Bereits der Einstieg von Tokyo Babel ist turbulent. Sorami Kugutsu erwacht in einem verlassenen Klassenzimmer zu einem unnachgiebigen Klingeln eines antiken, schwarzen Telefons mit Wählscheibe. Ein gewisser Setsuna Tendou teilt ihr mit, dass sie augenblicklich aus dem Raum verschwinden soll und bis zu seinem Eintreffen jeglichen Kontakt meiden soll. In einer Kabine auf der Damentoilette fühlt sich Sorami vorerst sicher, schließlich muss sie aber dem Schrecken doch ins Auge blicken.

Zum Glück handelte es sich um einen einfachen Albtraum, wie sie im vollen Klassenzimmer feststellen muss – oder doch nicht? Sorami begegnet ihrem Klassenlehrer und auch einigen Mitschülern, kann sich aber nicht an Namen erinnern. Nur an ihre Schwester Shihna erinnert sich die Schülerin. Als sie diese jedoch aus ihrer Klasse holt, bricht die Welt unter ihnen erneut zusammen.

Überall nur Tote, darunter auch ihre vorigen Begegnungen mit Lehrer und Klassenkameraden. Zu ihrer Fassungslosigkeit ersticht sie im Affekt ihre eigene Schwester.

Welche Kräfte besitzt Setsuna?
Welche Kräfte besitzt Setsuna?

All dies löst sich jedoch als perfider Plan des gefallenen Engels Gethel auf. Sie hat Sorami falsche Erinnerungen eingeflößt und ihre Schwester gespielt, alleine dazu, um in ihrer eigenen Dimension zu ihrer eigenen Belustigung andere Menschen immer aufs Neue grausam umzubringen.

Gerade noch rechtzeitig erscheinen Setsuna und seine Meisterin Lilith und stellen Gethel. Im Kampf wirken die Kontrahenten zunächst ausgeglichen, doch Setsuna kann jeden Angriff nach eingehender Analyse kontern. Selbst als Gethel auf Mittel zugreift, die ihr nicht gehören, geht Liliths Kämpfer siegreich aus der Situation hervor und Gethels Realität bricht in sich zusammen.

Der gefallene Engel wird mit dem Tod bestraft, doch nicht ohne Sorami mit ihrem erweiterten Augenlicht zu “beschenken”.

Kurz darauf erfährt Sorami erst von allen Umständen, als auch die Engelsdame Raziel hinzukommt. So erfährt sie etwa, dass die Tore zum Himmel geschlossen wurden und die Hölle durchflutet wurde, ähnlich wie zu Zeiten der Arche Noah. Ferner verschwanden viele parallele Universen mit diesen Ereignissen nach und nach. Engel und Dämonen sahen keine andere Option, als sich zu verbünden, um die Tore zum Himmel zu öffnen. Dazu erschuf der Erzengel Michael zwischen den Welten ein Konstrukt, das sich Tokyo Babel nennt.

Dort werden Menschen gesammelt und unbewusst dazu angetrieben, nach ihrem Sinn im Leben zu suchen, um letztlich auf eine Pilgerreise nach sich selbst aufzubrechen und die sieben Ebenen Tokyo Babels auf ihrem Weg zu den Toren des Himmels zu überwinden. Auch die Gruppe um Setsuna jagt diesem Ziel mehr oder minder hinterher. Die Kooperation zwischen Engeln und Dämonen führt nicht nur zu Harmonie, sondern auch zu schwarzen Schafen, die gänzlich andere Vorstellungen und Ideen hegen – oder geschieht dies gerade wegen dem Zusammenschluss auf Zeit? Welche Rolle spielt dabei Setsuna, der mehr als ein gewöhnlicher Mensch ist?

»Entwickler propeller gelingt es, die Visual Novel nicht nur auf die inhaltsreiche Handlung zu beschränken, sondern auch ein visuelles Erlebnis aus dem Werk zu machen.«

In seinen Grundzügen lässt sich Tokyo Babel als Paket aus Science Fantasy, Romance und School Life bezeichnen. Das Rad wird hier nicht vollständig neu erfunden, tatsächlich sind aber viele Themenkomplexe kreativ durchdacht und bringen frischen Wind in einige Stereotypen, die heutzutage in diesen Genres oft heimisch sind. Gerade der Part der Science Fantasy bringt interessante Plotelemente mit sich, die sich am ehesten mit Shin Megami Tensei – in Kombination mit dem School-Life-Einfluss sogar dem ersten Persona-Titel – vergleichen lassen. Die Abschnitte im Schulleben in Tokyo Babel gehören nicht zu den interessantesten Szenen im Spiel und sind nahezu gänzlich auf Comedy ausgelegt, bleiben letztlich aber Geschmackssache.

Störender sind Abschnitte, in denen dem Leser Hintergrundinformationen in großen Klumpen eingetrichtert werden. Aufgrund des tiefgehenden Plots sind Hintergrundinformationen nicht vermeidbar, jedoch die Art, wie sie im Spiel eingebunden sind. So wäre es etwa möglich gewesen, die Beschreibungen zu straffen oder aber mehr in die Handlung für einen besseren Informationsfluss einzubinden, anstatt stets in kurzen Abständen von einer Flut an neuem Input übermannt zu werden. Hinzu kommt, dass man die behandelten Themen nicht nochmal im Nachhinein nachlesen kann. Wenn man sich die Visual Novel nicht in einem kurzen Zeitraum durchliest oder sich nicht alles merken kann, muss man auf viele zusätzliche Speicherstände zurückgreifen.

Der Umfang von Tokyo Babel ist recht groß. So teilt sich die Geschichte recht früh In drei Routen mit verschiedenen Enden auf, wobei jede Route eine der drei Damen um Setsuna, den Protagonisten, behandelt – die dritte und finale Route wird jedoch erst freigeschaltet, wenn die übrigen beiden Routen vollständig in allen Variationen abgeschlossen wurden. Die Wahl, die man in entscheidenden Momenten trifft, ist dabei klar, was ihr Ergebnis betrifft, und vorher werden die Möglichkeiten in der Regel auch erörtert, sodass kein komplexes Flowchart beim Lesen benötigt wird. Insgesamt beläuft sich die Spielzeit auf gut über 30 Stunden, wenn man allen Animationen zusieht und jedem Laut zuhört. Zügige Leser können durchaus früher fertig werden.

Die Kämpfe gehören zu den Highlights.
Die Kämpfe gehören zu den Highlights.

Grafisch sticht Tokyo Babel sehr positiv ins Auge. Mit Videos, Animationen, CG-Artworks, unterschiedlichen Variationen von Charakterportraits im regelmäßigen Wechsel und weiteren Eingriffen in die Trickkiste schafft es der Entwickler propeller, die Visual Novel nicht nur auf die inhaltsreiche Handlung zu beschränken, sondern auch ein visuelles Erlebnis aus dem Werk zu machen. Auch die statischen Hintergründe tun ihr Übriges, um dem menschlichen Auge zu gefallen. Insgesamt sind die Farben satt und lebendig, können aber die düstere Atmosphäre ebenfalls gut einfangen, durch sich bewegende Hintergründe wird sogar versucht, eine 3D-Ansicht zu simulieren. Tokyo Babel ist im Großen und Ganzen ein Augenschmaus, der visuell begeistert.

Auch musikalisch bietet die Visual Novel reichlich Abwechslung. Von mystischen Klängen, die aus den Zeiten vor allen Zeiten stammen könnten, bis hin zu schnellen, futuristischen Musikstücken, die jede Kampfszene zu einem noch spannenderen Erlebnis macht, ist alles dabei. Die Charaktere sind allesamt inklusive der Nebenrollen auf Japanisch synchronisiert, wobei dies mit ausschließlich englischem Bildschirmtext geschieht. Die Stimmen entsprechen zwar der japanischen Überemotionalität, jedoch sind die Stimmen nicht unangenehm anzuhören. Man merkt, dass die Synchronsprecher mit Bedacht ausgesucht wurden.

Manchmal schluckt man vielleicht beim hohen Preis von Visual Novels im Verhältnis zum Gameplay, jedoch ist Tokyo Babel noch recht günstig im Vergleich. Auch Bücher können durchaus einen auf den ersten Blick gesalzenen Preis aufweisen, bieten aber nicht selten ein gewisses Maß an Qualität. Auch bei Tokyo Babel ist dies der Fall. Eine vielschichtige Geschichte über den Sinn des Seins wird von gelungener Atmosphäre durch Grafik und Sound begleitet. Wer gerne Science Fiction und/oder Fantasy liest, wird mit Tokyo Babel eine spannende Zeit abseits vom Diesseits erleben.