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Im Test! Lost Sphear

Titel Lost Sphear
Japan 12. Oktober 2017
Square Enix
Nordamerika 23. Januar 2018
Square Enix
Europa 23. Januar 2018
Square Enix
System PS4, Switch, PC
Getestet für PS4
Entwickler Tokyo RPG Factory
Genres JRPG
Texte
Japan Nordamerika Japan
Vertonung Japan 

Knapp anderthalb Jahre sind vergangen, seitdem Tokyo RPG Factory – eine von Square Enix gegründete Firma zur Entwicklung von RPGs im alten Stil – ihr erstes Spiel, das verschneite I am Setsuna im Westen veröffentlicht hat. Gemischt waren die Meinungen damals, doch das Team versprach, die Kritik für ihr zweites Projekt zu beherzigen. In diesem Test prüfen wir, ob Lost Sphear auf den Stärken des spirituellen Vorgängers aufbaut, die Schwächen behebt und ganz allgemein zu überzeugen vermag!

Eine Welt aus Erinnerungen

Das Thema von Lost Sphear sind „Erinnerungen“. Die Fantasy-Welt des Spiels erinnert an andere klassische RPGs, jedoch mit einem Unterschied: Überall verschwinden Menschen, ja, ganze Landstriche, und zeichnen sich nur noch als leblose, weiße Masse ab. Sie scheinen permanent verloren, doch Kanata, der Protagonist des Spiels, besitzt die geheimnisvolle Gabe, diese verlorengegangenen Dinge mit Hilfe von Erinnerungen wiederherzustellen.

So ergibt es sich, dass auch andere dieses Talent entdecken und Kanata dazu bewegen, seine Fähigkeiten zum Wohl der Welt einzusetzen. Zusammen mit seinen Kindheitsfreunden Lumina und Locke macht er sich auf eine Reise, um die verlorenen Teile der Welt wiederherzustellen.

Abgesehen vom Konzept machen Welt, Handlung und Charaktere von Lost Sphear einen konventionellen Eindruck. An I am Setsuna wurde vielfach kritisiert, dass die Charaktere nicht allzu tief ausgearbeitet waren. Lost Sphear weist hinsichtlich dessen zahlreiche Dialoge auf. Es gibt mehr Interaktionen zwischen den Figuren, mehr kleine Witzeleien und mehr Präsenz im Allgemeinen. Dies stellt an sich eine Verbesserung dar, doch das Spiel neigt oft dazu selbst dann unnötig geschwätzig zu sein, wenn es den Spielfluss eher bremst. So gesellt sich zu jeder charmanten Konversation, die einem die Charaktere etwas näherbringt, auch eine, die sich müßig anfühlt, weil mit viel Text wenig gesagt wird.

Das Spiel hat gerade im Mittelteil viele denkwürdige Momente. Das Entwicklerteam wollte die melancholische Atmosphäre von I am Setsuna bis zu einem gewissen Grad auch in Lost Sphear erhalten. Zwar erreicht das Spiel keine so dichte Atmosphäre – nicht zuletzt auch deshalb, weil das Setting nicht mehr auf die Schneewelt reduziert ist – aber tragische Elemente ziehen sich dennoch durch die ganze Handlung und entfalten effektiv ihre Wirkung.

Die Handlung selbst wirft permanent mehr Fragen auf, von denen viele erst im letzten Teil des Spiels beantwortet werden. Was als kleines Abenteuer beginnt, nimmt zunehmend dramatischere Züge an und im späteren Verlauf entpuppt sich die Handlung durchaus als sehr wendungsreich – oft vorhersehbar, aber gelegentlich auch auf überraschende Weise. Gerade weil das Spiel so dialoglastig ist, ist es schade, dass die Präsentation vieler wichtiger Momente zu wünschen übriglässt. Charaktere nehmen plötzliche Veränderungen und Schicksalsschläge meist recht schnell hin und viele der späteren Enthüllungen wirken etwas aus der Luft gegriffen.

Da der Spieler wenig über die Mechaniken der Spielwelt weiß, bekommt er auch kein Gefühl dafür, was alles möglich ist. Es fühlt sich an, als hätten die Entwickler dies als Anlass genommen, der Welt ständig neue Regeln hinzuzufügen. Allerdings waren sie dabei selbst nicht immer konsequent, denn manche Elemente halten einer genaueren logischen Prüfung nicht stand.

»Die stärksten Momente des Spiels finden sich eher in den lokalen Problemen der Welt – in den von Konflikten und Tragödien geprägten Dörfern und Städten.«

Die stärksten Momente des Spiels finden sich daher eher in den lokalen Problemen der Welt – in den von Konflikten und Tragödien geprägten Dörfern und Städten, die sowohl die Gruppe als auch den Spieler mit der Frage konfrontieren, ob das, was sie tun, überhaupt das Richtige ist. Erfreulicherweise ist das Pacing des Spiels größtenteils recht flott und statt sich in Belanglosigkeiten zu verlieren, entwickelt sich die Geschichte zügig und jeder neue Abschnitt trägt etwas Bedeutungsvolles bei. Erst im letzten Viertel fühlt man sich ein bisschen, als würde man im Kreis laufen – das Finale hätte etwas zügiger kommen müssen, um das gute Tempo der Handlung konsequent aufrechtzuerhalten.

Ein wenig schade ist, dass die Dialoge erneut so schmucklos daherkommen. Eine Vertonung hat ein Spiel wie Lost Sphear gar nicht nötig. Aber Charakterportraits mit Emotionen, kleine Texteffekte oder Emotionsblasen, die dem Gesagten mehr Ausdruck verleihen, hätten sehr zur Atmosphäre beigetragen. Im Hauptmenü hat man solche Artworks ja sogar und die sehen sehr schön aus – nur bekommt man im Spiel selbst fast nichts von ihnen mit.

Bewährte ATB-Kämpfe mit neuen Kniffen

Was die Spielmechaniken betrifft ist Lost Sphear in quasi allen Belangen eine merkliche Verbesserung im Vergleich zu I am Setsuna. Das Kampfsystem ist durchaus ähnlich und behält die ATB-Elemente, die im Feld sichtbaren Gegner sowie den übergangslosen Wechsel zwischen Erkundung und Kampf bei, beherzigt aber dabei die zuvor geübte Kritik. Neu ist das Bewegungselement in den Kämpfen: Bei jeder Aktion kann man die Figuren beliebig positionieren was relevant ist, da viele Fähigkeiten nicht nur ein Ziel, sondern einen Wirkungsbereich haben. So kann man durch geschickte Positionsänderungen mehrere Ziele treffen. Umgekehrt ist es auch oft auch ratsam die Kampfgruppe zu zerstreuen, damit nicht alle gleichzeitig Ziel gegnerischer Angriffe werden.

»Lost Sphear besitzt ein sehr interessantes Skill-System, das nicht nur deutlich durchsichtiger als das des Vorgängers ist, sondern auch mehr spielerische Tiefe bietet.«

Lost Sphear besitzt ein sehr interessantes Skill-System, das nicht nur deutlich durchsichtiger als das des Vorgängers ist, sondern auch mehr spielerische Tiefe bietet, da es weniger vom Zufallsprinzip abhängig ist. Jede Figur hat ein individuelles Skillset, welches man im Laufe des Spiels durch Erinnerungen freischalten kann, die man wiederum nach Kämpfen erhält. Jede Fähigkeit kann man zudem mit zusätzlichen Effekten ausrüsten, etwa HP-Heilung, Debuffs oder Verstärkungseffekte, die bei häufiger Nutzung ein permanenter Teil der Fähigkeit werden. Darüber hinaus ist es möglich, im Kampf in mechanische Rüstungen zu steigen. Diese Rüstungen können nur kurze Zeit verwendet werden, sind dafür aber auch bedeutend mächtiger.

Auch am Balancing wurde deutlich geschraubt. Auf „Leicht“ spielt sich das Spiel in etwa so anspruchslos wie I am Setsuna, doch auf „Normal“ und besonders „Schwer“ können einige Bosse im Spiel ganz schön herausfordernd sein. Da das Skill-System von Lost Sphear viele strategische Möglichkeiten bietet, wird man durchaus zum Experimentieren eingeladen.

Einen zusätzlichen passiven Effekt auf Kämpfe und die Spielwelt kann man ausüben, indem man gewisse Orte auf der Weltkarte wiederherstellt. Für jeden Ort kann man sich einen Bonus aussuchen: automatische Heilung an Speicherpunkten, mehr kritische Treffer, stärkere Wirkung passiver Heilungseffekte und viel mehr. Diese können einen ganz massiven Unterschied machen. Auch dafür muss man wieder passende Erinnerungen sammeln, was jedoch ebenfalls sehr motiviert, da man die unmittelbaren Auswirkungen der Effekte direkt spürt.

Abgesehen davon hat Lost Sphear spielerisch nicht allzu viel zu bieten. Die Dungeons wirken alle recht groß, enthalten jedoch nur geringe Interaktionselemente und viele sind nach vier bis fünf Kämpfen bereits vorbei. Man kann im Spiel Angeln, aber das kann nicht mal als Minispiel bezeichnet werden. Nebenaufgaben gibt es quasi keine. Erst kurz vor dem Finale steht jedem Charakter eine optionale „Charakter-Quest“ offen und ein Bonus-Dungeon tut sich auf.

Gesamtheitlich gesehen sind das Gameplay sehr kurzweilig und die Kämpfe äußerst motivierend, aber es könnte noch deutlich mehr Abwechslung und Nebeninhalte geben.

Auf vielen Ebenen bezaubernd

Technisch handelt es sich bei Lost Sphear erneut um eine saubere Umsetzung ohne große Ansprüche. Die Grafik ist simpel, aber ansehnlich und kann in Innenräumen erneut voll überzeugen. Es wird mehr Wert auf die Gestik der Figuren in Szenen und auf Effekte im Allgemeinen gelegt. Lost Sphear bewegt sich jedoch immer noch deutlich unter dem, was möglich gewesen wäre. Ein Gebiet besteht aus einem See, in dem sich der Himmel spiegelt, was wirklich schön aussieht.

Für die Musik ist erneut Tomoki Miyoshi verantwortlich, der bereits für I am Setsuna einen sehr schönen Piano-Soundtrack zauberte. Lost Sphear ist klanglich diversifizierter mit einer breiten Auswahl an Instrumenten, wobei das Klavier wieder recht präsent ist. Neben einiger wirklich bezaubernden Tracks gibt es auch eine Handvoll, die austauschbar bis nervig wirken oder sich zu schnell oder zu oft wiederholen. Dies ist nicht nur der Musik selbst, sondern auch ihrem Einsatz im Spiel geschuldet. Prinzipiell handelt es sich aber wieder um einen sehr schönen Soundtrack, bei dem sich wie bei allen anderen Elementen des Spiels eine interessante Weiterentwicklung abzeichnet.

Lost Sphear verfügt diesmal bereits zum Release neben der japanischen und englischen Textausgabe auch über deutsche und französische Texte. Die deutsche Übersetzung ist prinzipiell gelungen, könnte aber stellenweise noch etwas natürlicher klingen. Übersetzt wurde ohne Zweifel aus dem Englischen, was man beim Vergleich mit den japanischen Originaltexten definitiv merkt. Die Hauptcharakterbeschreibungen in den Menüs wurden im Deutschen und Französischen aus unerfindlichen Gründen scheinbar um etwa die Hälfte gekürzt.

Es gibt zudem einige ungewöhnliche Details, die das Spielerlebnis ein bisschen erinnerungswürdiger machen. Besonders schön ist, dass der Titelbildschirm sich ändert, wenn die Handlung voranschreitet, was alles noch ein bisschen bedeutungsvoller erscheinen lässt.

Ein Schritt nach vorn

»Lost Sphear ist ein weiterer, gelungener Versuch von Tokyo RPG Factory, die Magie von JRPGs der 16-Bit-Zeit einzufangen und stellt in den meisten Belangen und ganz besonders spielerisch eine konsequente Verbesserung gegenüber I am Setsuna dar. Leider wird nicht dieselbe atmosphärische Dichte erreicht. Gleichsam ist jedoch in allen Bereichen noch viel Luft nach oben. Fans klassischer RPGs können jedoch beherzt zugreifen. Wenn Tokyo RPG Factory weiterhin solche Fortschritte macht, bekommen wir vielleicht auch bald ihr erstes, richtig rundes Spiel zu sehen.«

 

Interessantes und unverbrauchtes Konzept. Die von Melancholie gezeichnete Welt ist erneut stimmungsvoll, aber die Präsentation und Umsetzung lässt insbesondere im letzten Teil des Spiels etwas zu wünschen übrig.
Gut balanciertes, motivierendes und flottes Kampfsystem, das zum Experimentieren einlädt. Nur wenig Nebencontent.
Ansehnliche Spielwelt mit hübsch gestalteten Innenräumen, aber ohne große Augenöffner. Mehr Vielfalt als in I am Setsuna.
Tomoki Miyoshi zaubert erneut einen ruhigen Soundtrack mit bewegenden Melodien, der jedoch nicht immer perfekt zur Geltung kommt.
Mit 25-40 Stunden etwa der doppelte Umfang von I am Setsuna.