Titel | The Silver Case |
07. Oktober 1999 | |
(Ursprüngliche Version für PlayStation) | |
07. Oktober 2016 (PC), 18. April 2017 (PS4) | |
ASCII Entertainment | |
07. Oktober 2016 (PC), 21. April 2017 (PS4) | |
ASCII Entertainment | |
System | PlayStation 4, PC |
Getestet für | PlayStation 4 |
Entwickler | Grasshopper Manufacture |
Genres | Visual Novel |
Texte |
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Vertonung | – |
Spätestens seit Titeln wie Killer7 und No More Heroes ist Entwickler Goichi Suda, eher unter dem Pseudonym Suda51 bekannt, eine feste Größe in der internationalen Spieleindustrie. Dank der Lokalisierung des 1999 veröffentlichten The Silver Case kommen wir nun auch in den Genuss des Debüt-Titels dieses kreativen Kopfes und seinem Studio Grasshopper Manufacture. Mit dem Remaster von The Silver Case schafft es jetzt eine aufpolierte Version der Visual Novel rund um Verbrechen und Korruption aus Japan heraus und ist so einem größeren Publikum zugänglich. Eines vorweg: Suda51 hatte schon damals einen Hang zum Skurrilen und Ungewöhnlichen.
In der fiktiven, japanischen Stadt 24 Wards trägt sich eine Reihe schrecklicher Morde zu. Für solche Fälle ist die Hineous Crime Unit zuständig, die, wie der Name schon sagt, für abscheuliche Verbrechen verantwortlich ist. Der Verdacht fällt schnell auf den legendären Serienkiller Kamui Uehara. Doch wurde der nicht vor langer Zeit festgenommen? Nun scheint er auf freiem Fuß zu sein und eine Blutspur hinter sich herzuziehen. Der Spieler schlüpft in die Rolle eines stummen Protagonisten, dessen Einsatztruppe beim Versuch, Kamui zu eliminieren, ausgelöscht wurde. Als einziger Überlebender wird die Hauptfigur unter die Fittiche der HCU genommen und schließt sich der Jagd nach Kamui an. Ihr werdet schnell bemerken, dass noch sehr viel mehr hinter all dem steckt und nichts ist, wie es scheint.
Der Spieler als stiller Beobachter
Die Visual Novel mit Point-and-Click-Elementen fällt sofort durch ihr experimentelles Design auf. Vor einem dynamischen Hintergrund, der im Laufe des Spiels immer wieder seine Optik wechselt, wird die Geschichte in Textblöcken und Bildern erzählt. Während die Handlung meistens mit düsteren, handgezeichneten Abbildungen vorangetrieben wird, bedient sich der Titel aber auch anderen Medien: Neben den starren Zeichnungen gibt es noch kurze Anime-Schnipsel, CGI-Sequenzen und sogar Live-Action-Clips zu sehen.
So spannend The Silver Case für die Augen ist, trifft dies spielerisch leider nicht zu. Man ist meist extrem passiv und verbringt sehr viel Zeit damit, Textblock auf Textblock zu lesen, bis man selbst mal ran darf. Dabei steuert man seine Figur auf vorgegebenen Pfaden von Punkt zu Punkt und kann an gekennzeichneten Orten mit der Umgebung interagieren. Dies treibt meist die Handlung voran, ganz selten findet man auch Gegenstände. Das Spiel hält auch eine Handvoll Rätsel bereit, insgesamt gibt es aber nicht sehr viel zu tun.
Zwar liegt es in der Natur einer Visual Novel, textlastig zu sein, dennoch war das Verhältnis in einigen Episoden des Spiels sehr unausgeglichen. Manchmal folgt man einer minutenlangen Konversation, läuft danach drei Schritte zur Tür, nur um ein weiteres zeitaufwändiges Gespräch auszulösen. Aber auch wenn man als Spieler endlich das Ruder in die Hand bekommt, ist das Gameplay für sich einfach nicht sehr ansprechend. Es gibt nicht viel zu rätseln, zu entdecken oder zu tun. Weiterhin ist die Steuerung recht klobig und gewöhnungsbedürftig, wenn man aber den Dreh raus hat, fällt diese nicht weiter negativ auf.
Dunkel, fesselnd… und verwirrend
The Silver Case ist episodisch aufgebaut und präsentiert zwei parallel laufende Handlungsstränge. Während ihr bei den Transmitter-Episoden den eingangs erwähnten stillen Protagonisten steuert, übernehmt ihr beim Placebo-Abschnitt die Rolle eines, ganz und gar nicht stillen, Journalisten, der dem Kamui-Mysterium auf den Grund gehen will. Diese Aufteilung bietet eine interessante Dynamik, da die gegenübergestellten Episoden jeweils eine andere Stimmung vermitteln und die Geschehnisse aus zwei unterschiedlichen Perspektiven betrachten. In der Haut des Redakteurs ist der Spieler jedoch zu noch mehr Passivität gezwungen, das Gameplay beschränkt sich auf seltene Passagen, in denen ihr von A nach B lauft.
Trotz der vielen Kritikpunkte hat diese düstere Visual Novel etwas an sich, das einige Spieler in ihren Bann ziehen wird. Die Story nimmt ungewöhnliche Wendungen und schafft es, nicht zuletzt auch dank visueller Mittel, eine ganz besondere, fast unangenehme Atmosphäre zu erschaffen. Die Handlung für sich erzählt eine spannende Geschichte mit dem immer wiederkehrenden Leitmotiv „kill the past“, also „töte die Vergangenheit“. Leider macht das Spiel es einem häufig nicht einfach, dieser Handlung auch zu folgen. Zum einen, da man leicht die Orientierung darüber verliert, wer gerade mit wem spricht und was über die starren Bilder hinaus eigentlich gerade vor sich geht, zum anderen wegen der aufgeblähten Erzählweise. So wird man teilweise mit Reizen und Informationen zugeschüttet, die man noch nicht verstehen kann. Manchmal verlieren sich die Charaktere in langatmigen, philosophischen Gesprächen oder verhalten sich plötzlich unberechenbar und kaum nachvollziehbar. Überhaupt wird die Story stellenweise einfach verwirrend erzählt. Es gibt aber einen Lichtblick: Vieles, das in den Transmitter-Episoden scheinbar keinen Sinn ergibt, wird im parallelen Handlungsstrang verständlich.
Ein Käfig voller Charakterköpfe
Die Charaktere in The Silver Case sind meist unsympathische, undurchsichtige und sehr exzentrische Menschen. Das ist aber kein Kritikpunkt! Nur weil man die meisten nicht ins Herz schließt, heißt das nicht, dass sie nicht faszinierend sind. Jeder hat seine ganz eigene Denkweise, jeder wird von etwas anderem angetrieben. Leider fällt Letzteres bei den meisten etwas flach. Es wäre wünschenswert gewesen, die Protagonisten mehr zu erforschen, mehr Fleisch auf ihre individuellen „Story-Gerippe“ zu packen. So bleiben einige Motivationen der Figuren nur unzureichend erforscht und es wird schwieriger, ihr Verhalten nachzuvollziehen. Der Journalist in den Placebo-Episoden hingegen hat reichlich Persönlichkeit und ausführliche innere Monologe um diese zu verstehen. Er ist sogar sehr erfrischend und bietet einen gelungenen Kontrast zu den oft unterkühlten und knallharten Charakterköpfen der HCU. Den jungen Mann, den der Spieler im anderen Handlungsstrang steuert, hat hingegen keine erkennbare Persönlichkeit. Mit etwas Geduld und im Kontext der Handlung macht das aber absolut Sinn und fällt rückwirkend sogar positiv auf.
Pure Nostalgie
Neben der experimentellen Optik, auf die weiter oben bereits eingegangen wurde, verdienen auch die Zeichnungen eine Erwähnung. Die Qualität der einzelnen Bilder schwankt manchmal, meistens sind sie jedoch schön anzusehen und fangen die beunruhigende Atmosphäre des Spiels wundervoll ein. Für das HD-Remaster wurden sogar alte Bilder komplett erneuert, um das Erlebnis stimmiger zu machen. Teilweise fehlt den Zeichnungen der Charaktere aber Kontinuität und sie sehen in manchen Abbildungen nicht aus wie sie selbst.
The Silver Case ist aber nicht nur toll anzusehen: Der Soundtrack des Spiels klingt größtenteils super und passt perfekt in diese surreale Welt. Es ist einfach die Art von Musik, die man heutzutage in keinem Spiel mehr hören wird. Keine raffinierten, orchestralen Klänge, die sich der Situation anpassen, sondern Ohrwürmer, die in Dauerschleife spielen – wie früher eben! Damit möchte ich die Musik heutiger Spiele keinesfalls kleinreden, aber diese Art von Liedern hat einen gewissen Charme und bringt meine nostalgische Ader unwillkürlich zum Pochen. Einzig die Soundeffekte waren stellenweise seltsam, manchmal sogar nervig. Jeder Buchstabe, der am Bildschirm erscheint, wird mit einem lauten Tastengeräusch einer Schreibmaschine eingeläutet. Das Finden von Items macht ein Geräusch, das eher aus einem Jump ’n‘ Run auf dem Gameboy stammen könnte. Letztendlich gewöhnt man sich schnell daran, zur Not kann man die Lautstärke der Soundeffekte regeln, was das Problem beseitigt.
Ein harter Brocken
The Silver Case hat eigentlich so viel zu bieten, aber gleichzeitig wird es einem so schwer gemacht es zu genießen. Während die Atmosphäre voll ins Schwarze trifft, Augen und Ohren sich meist freuen und man irgendwie doch immer wissen will, wie es weiter geht, hakt es an manchen Punkten immens. Die Story ist sowieso schon kompliziert genug, da wird es durch die eigenwillige Erzählweise und Langatmigkeit manchmal schlicht zur Qual, der Handlung zu folgen. Viele Charaktere bleiben trotz ihrer Exzentrik zu oberflächlich.
Gameplay-Elemente, die die langen Textpassagen aufbrechen und den Spieler aktiv werden lassen, sind selten, unregelmäßig verteilt und meistens nicht besonders spaßig oder spannend. Puh. Ich weiß, harte Worte. Ich wollte das Spiel wirklich mögen, ich halte es nicht für einen Totalausfall. Nur leider überwiegen die negativen Aspekte und ich empfand das Spiel oft als anstrengend. Man muss aber fairerweise sagen, dass Suda51 hier noch fast am Anfang stand, vieles ausprobieren wollte. Zudem ist es auch schön zu sehen, dass der Entwickler seine ganz eigene Handschrift hat, der er über die Jahre hinweg treu geblieben ist.
Story: Interessante Story mit einigen Twists. Leider ist es nicht immer einfach, der komplexen Handlung zu folgen.
Gameplay: Ein bisschen laufen, ein bisschen rätseln, ein bisschen erkunden und viel lesen.
Grafik: Experimentelle Grafik, die viele Medien miteinbezieht. Die Qualität der Bilder schwankt stellenweise.
Sound: Tolle Retro-Musik, die das Spiel perfekt untermalt. Die Soundeffekte sind meist seltsam, aber abstellbar.
Sonstiges: Für PlayStation-4-Nutzer gibt es noch zwei kurze Zusatzepisoden.