Dieses Review beinhaltet leichte Spoiler.
Nach der Enttäuschung vieler Ace-Attorney-Fans über die Entscheidung von Capcom, The Great Ace Attorney nicht im Westen zu veröffentlichen, erreicht uns mit Phoenix Wright: Ace Attorney − Spirit of Justice (AA6) der neueste Ableger der Hauptreihe. Das Spiel bietet typische „Phoenix Wright“-Kost mit verrückten Fällen und Storywendungen, hat jedoch auch deutliche Schwächen, die einen den Kopf schütteln lassen.
Storytechnisch bewegt sich AA6 in neue Gefilde, erfindet dabei den etablierten Kanon der Reihe scheinbar neu und kupfert doch so einiges bei alten Teilen ab, dass es bereits wehtut. Neu im Spiel ist das Königreich Khura’in, um das sich ein Großteil der Story dreht. Alten Fans wird dieser Name bekannt vorkommen, da das Spirit-Medium Maya Fey, eine alte Bekannte der Serie, aus dem kleinen Dorf Kurain kommt. Kurain liegt in Amerika (glaubt man der offiziellen Übersetzung) oder in Japan (glaubt man seinen eigenen Augen) und ist sozusagen das Epizentrum der Spirit-Channeling-Technik. Beim Channeling können Spirit-Medien die Geister von Verstorbenen rufen, in ihre Körper eindringen und so wieder etwas am Leben teilhaben lassen.
Bis jetzt galt als Kanon, dass diese Technik von Ami Fey in Kurain entwickelt wurde, das wird in AA6 aber plötzlich umgestoßen beziehungsweise erweitert, indem plötzlich das fremde Land Khura’in der Ursprung des Spirit Channeling sein soll und Ami Fey diese Kunst bloß von dort aus nach Japan gebracht hat. Als langjähriger Fan der Serie wundert man sich da schon, wieso das niemals in anderen Teilen erwähnt wurde. Der Grund ist natürlich, dass die Story erst für AA6 entwickelt wurde und daher leider etwas aufgesetzt wirkt. Darüber lässt sich noch hinwegsehen, da Khura’in eine einzigartige, tibetisch angehauchte und vor allem frische Atmosphäre in das Spiel bringt. Das Schmunzeln über die Story vergeht einem aber, wenn, Achtung ein Spoiler … 1, 2, 3, Maya Fey wieder mal als Mordverdächtige in einem Fall auftritt (das vierte Mal bereits, laut meiner Zählung) und später erneut, Achtung Spoiler … 1, 2, 3, entführt wird, um Druck auf Phoenix Wright auszuüben. Was dann noch besonders bitter ist, ist die Reaktion von Phoenix Wright, die komplett konträr zu seinem über fünf Spiele entwickelten Charakter ist und sogar der vorherigen Entführungssituation und seiner Reaktion darauf komplett widerspricht.
Leider endet die Storykritik hier noch nicht. Zahlreiche „Zufälle“ in der Story lassen verwandtschaftliche Beziehungen entstehen, die man leider nur als an den Haaren herbeigezogen bezeichnen muss. Der schiere Umfang an Verstrickungen und Bekanntschaften in diesem Teil ist einfach über das Ziel hinausgeschossen. Diese absurden Beziehungen der Charaktere untereinander sollen später im Spiel eine Vater-Sohn-Dramatik aufbauen, die einfach nicht zustande kommt. Dafür ist das Ganze einfach viel zu aufgesetzt und überaus ersichtlich erst für diesen Teil erfunden worden. Man kann nicht erwarten, emotional investiert zu sein in das Spiel, wenn damit der Kanon der letzten paar Teile praktisch durch den Kakao gezogen wird und man nun in wenigen Spielstunden eine Verbindung zu den Charakteren aufbauen soll.
Kopfschütteln erzeugt auch die massive Anwendung von Flashbacks in diesem Teil. Mal abgesehen davon, dass diese sehr häufig vorkommen und man langsam das Gefühl bekommt, dass AA6 dem Spieler kein Erinnerungsvermögen zutraut, schießen zwei Situationen den Vogel vollkommen ab: Erstens ein Flashback, der fünf Spielminuten nach der Szene dieselbe Szene noch einmal zeigt und zweitens ein Flashback, der sich innerhalb von fünf bis zehn Spielminuten wiederholt und noch einmal gezeigt wird. In diesen Situationen wünscht man sich Text-Skipping.
AA6 bietet die typische Phoenix-Wright-Mechanik mit dem Zerlegen von Zeugenaussagen mithilfe von Einsprüchen und dem Nachbohren beim Zeugen. Die Rätsel sind nicht allzu schwer und lassen sich nach etwas Nachdenken selbstständig lösen. Hängt man doch einmal fest, kann man sich nach einigen Fehlversuchen mit seinem Gehilfen beraten und dieser markiert dann die Aussage, die falsch ist. Man muss jedoch noch selbst herausfinden, welches Beweisstück man präsentieren soll. Dabei leidet AA6 an derselben „Krankheit“ wie alle anderen Teile zuvor: Auch wenn etwas für den Spieler Sinn macht zu präsentieren, ist dies nicht im Skript vorgesehen, dann wird es nicht akzeptiert und man erhält eine Strafe vom Richter.
In AA6 bedient man sich aller zuvor eingeführter Mechaniken der Reihe: Während Phoenix mit seinem Magatama Psyche-Locks lösen muss, beobachtet Apollo die Mimik des Gegenübers genau und Athena analysiert die Gefühle der Zeugen, um Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Alle drei Figuren kommen in ihren eigenen Fällen vor, ergänzen sich gut und die Mischung der einzelnen Spezialfähigkeiten lockert das Spielgeschehen auf.
Besonders positiv erwähnt werden muss die neue Fähigkeit, die in diesem Teil hinzukommt. Die Prinzessin von Khura’in kann das, was das Mordopfer in seinen letzten Momenten gesehen, gefühlt und gehört hat, visuell darstellen. Diese Séancen scheinen das Spiel zuerst komplett zu vereinfachen, denn man müsste erwarten, den Mörder bei der Tat zu sehen, gut ist, und der Fall wäre in fünf Minuten gelöst. Aber dies wäre kein Ace-Attorney-Spiel, wenn auch hier nicht komplett abgedrehte Wendungen vorkämen. Diese sind wirklich exzellent durchdacht. Oft fragt man sich am Anfang, wie man mit der vorhandenen Séance und ihrer Interpretation bloß umgehen soll, da diese sehr eindeutig aussehen. Jedoch kann man immer Kleinigkeiten finden, die nicht ganz passen… eine Emotion, ein Geräusch oder etwas im Blickfeld der Person, was der Interpretation der Prinzessin von Khura’in leicht widerspricht. Und schon haben wir unseren „Turnabout“ und unser Denken dreht sich um 180°.
Die Grafik hält sich am direkten Vorgänger AA5 und bietet bewegliche Hintergründe. Soll heißen, dass im Hintergrund kleine Animationen ablaufen und so die Szenerie lebendiger wirken lassen. Khura’in wird besonders schön dargestellt, was aber auch von einer persönlichen Vorliebe zu diesem tibetischen Stil herrühren kann. Negativ fällt die farblich besondere Hervorhebung des Punktes „Extras und DLC“ im Startmenü auf. Man wird hier fast zum Kauf genötigt.
Musikalisch bewegt sich AA6 ebenfalls zwischen Tradition und Neuem. Kommen einige altbekannte Melodien vor, teilweise auch in neuem Arrangement, bieten die neuen Songs ein mystisches Flair, das zum tibetischen Setting passt. Gerade das Lied beim Beschwören der Séance erinnert stärker an die Ar-Tonelico-Reihe, was kein Fehler ist, da die Musik dieser Reihe zu den außergewöhnlichsten und besten in Sachen Videospielen gehört. So weiß auch die Musik in AA6 gefangen zu nehmen.
Die Entscheidung des Richters
Unser Gesamturteil fällt schließlich mit „Not Guilty?“ aus. Es macht wieder unglaublich Spaß, die Fälle zu spielen und zu lösen. Die Séancen sind einzigartig und sehr unterhaltsam, während die einzelnen Fähigkeiten der Charaktere gut genutzt werden. Kopfschütteln erregen die unzähligen Flashbacks und die teilweise an den Haaren herbeigezogene Story.
Story: Die Fälle sind immer überraschend, die Erweiterung des Kanons und die Verwandtschafts-Verhältnisse im Spiel sind einfach nicht gut umgesetzt.
Gameplay: Gute Nutzung aller Charaktere, neue Séancen machen viel Laune.
Grafik: Kein großer Sprung zu AA5, belebte Hintergründe lockern auf.
Musik: Sowohl traditionelle als auch neue, sehr eingängige Lieder.
Sonstiges: Viel zu viele Flashbacks, typisches Ace-Attorney-Problem, dass ein Beweisstück genau jetzt gezeigt werden muss und keine alternative, aber dennoch logische, Variante möglich ist.