Square Enix liefert uns zu Jahresanfang 2015 Life is Strange, ein von Dontnod Entertainment entwickeltes, interaktives Drama-Adventure. Wer nichts mit dieser Wortneuschöpfung anfangen kann, aber die Spiele der Konkurrenz Telltale Games kennt, dem sei gesagt: genau so ist Life is Strange auch. Für diejenigen, die noch immer nichts mit dieser Beschreibung anfangen können: es handelt sich um eine erkundbare, dreidimensionale Welt, in der hauptsächlich die Erzählung einer Geschichte im Vordergrund steht. Entscheidungen, die gewisse Auswirkungen haben, müssen hin und wieder getroffen werden.
Episode 1: Chrysalis von insgesamt 5 Episoden „Life is Strange“ ist nun verfügbar. Wir haben die PlayStation-3-Version von Chrysalis für euch getestet!
Chrysalis…
…bezeichnet die Puppenphase eines Schmetterlings. Das heißt, die Phase, in der sich die Raupe zu einem Schmetterling wandelt. Diese Metapher ist gut gewählt, da die 18-jährige Protagonistin von Life is Strange, Max Caulfield, eine drastische Wandlung erlebt. Als Studentin der Blackwell-Schule stellt sie eines Tages fest, dass sie die Zeit zurückdrehen und so Dinge ungeschehen machen kann. Dies erweist sich als nützlich, als Max so den Tod einer jungen Dame verhindern kann.
Hauptsächlich wird in Chrysalis die Basis für die weitere Story gelegt. Das heißt, dass viele Spuren zu möglichen Story-Fäden gelegt werden, aber keine davon so richtig in Fahrt kommt. Eine gefährliche Naturkatastrophe hier, ein vermisstes Mädchen da, ein seltsamer Stiefvater da hinten. Nichts will wirklich zupacken, obwohl es Lust auf mehr macht und man sich fragt, wohin die Reise in Episode 2 gehen mag. Jedoch bleibt eine gewisse Spannung beim Ende von Chrysalis ein wenig auf der Strecke. Zwar wird eine umfassendere Geschichte um das verschwundene Mädchen kurz geteastert und man will schon wissen, wer nun dahinter steckt, aber eine Bedrohung aus der Zukunft will nicht so richtig Spannung erzeugen. Grund hierfür ist, dass man sich fragt, was Max überhaupt gegen diese zukünftige Bedrohung auszurichten vermag.
Da Life is Strange in der realen Welt spielt, kann man als Spieler allein von der Art der Bedrohung ableiten, dass auch andere Menschen diese Bedrohung schon Tage vorher wahrnehmen müssen. Dementsprechend müssten Autoritätspersonen Schutzmaßnahmen einleiten, was Max im Endeffekt zu einer passiven Evakuierten werden lässt? Alles andere würde den Anspruch, in der realen Welt zu spielen, wenn man die Anzahl an Hinweisen auf reale Menschen, Filme und Bücher als Maßstab nimmt, stören.
Wenn man die Zeit zurückdrehen kann…
…spielt man entweder einen der vier Teile von Prince of Persia: Sands of Time – oder Life is Strange. Während erstere Spielreihe dieses Feature spannend nutzt, ist es in Life is Strange eher schlecht als recht umgesetzt. Max kann die Zeit für einige Minuten zurückdrehen und behält dabei das Wissen oder Gegenstände, die sie bei sich trägt. Sie kann diese neuen Gegenstände oder das Wissen dann in Dialogen oder neuen Situationen nutzen. Inkonsequenterweise wird man bei der ersten Benutzung dieser Fähigkeit zu der Position zurückgebracht, bei der man in der Vergangenheit auch gestanden hatte. Bei allen anderen Anwendungen dieser Fähigkeit bleibt Max jedoch an Ort und Stelle stehen. Dies führt zu Verwirrung und hat vermutlich rein erzähltechnische Gründe, bricht aber die Logik der Mechanik gleich am Anfang.
Die Rätsel, die sich mit dieser Zeitmechanik anbieten, sind so einfach, dass meist die Lösung schon ersichtlich ist, bevor man überhaupt nachdenken kann. Vor allem auch deshalb, da alle nutzbaren Objekte gut sichtbar hervorgehoben werden bei Annäherung und immer nur die Aktionen angezeigt werden, die auch Sinn machen. Zum Beispiel „Look“ oder „Take“. Es werden keine überflüssigen Aktionen angezeigt und man muss keine Gegenstände mit anderen kombinieren. Das lässt das ganze Spiel zu einer Suche nach klickbaren Gegenständen und dem Auswählen weniger, alternativer Befehle verkommen.
Das Zeit-Feature wird nicht nur zur Lösung von Rätseln genutzt, auch Entscheidungen können so angepasst werden. Entscheidet man sich für etwas, philosophiert Max kurz danach, ob es die richtige Entscheidung war, und ob sie nicht eine andere Wahl hätte treffen sollen. Man spult also zurück, und wählt die Alternative. Gefällt die auch nicht, spulen wir noch einmal zurück und wählen wieder Variante 1. Das nimmt den Entscheidungen jegliches Gewicht, da man sich vorher ansehen kann, was unmittelbar danach passieren wird. Natürlich sind später auftretende Konsequenzen so nicht einsehbar, aber dennoch nimmt das dem Ganzen die Würze. Nie kam im Spiel das Gefühl auf, dass man selbst gewichtige Entscheidungen trifft. Ich hatte eher das Gefühl, einen vorgefertigten Weg zu gehen, bei dem die Entscheidungen nicht wirklich ins Gewicht fallen.
Während man bei Telltales Konkurrenzspielen manchmal wirklich ins Schwitzen kommt, welche Entscheidung wohl die beste ist und wie die Charaktere reagieren, lässt die Zeitmechanik dies in Life is Strange zu einem „Ich hab‘ doch eh nichts gemacht“ werden. Ein Beispiel: Wir sehen uns in Anwesenheit der Bewohnerin eines Zimmers einfach mal den Schwangerschaftstest an, den sie in den Mülleimer geworfen hat. Die junge Dame ist sehr erbost und nun sauer auf uns. Wir wollen das nicht, also spulen wir die Zeit zurück und haben den Test in den Augen der jungen Dame nie angesehen… Haben es aber doch, da wir und Max das Wissen davon behalten. Sünde ohne Strafe, schlechtes Benehmen ohne Konsequenzen, leichte Langweile durch fehlende Spannung.
Schlechte Entscheidungen haben keine schlechten Konsequenzen, wenn ich sie in der nächsten Sekunde rückgängig machen kann. So besteht das Spiel hauptsächlich aus dem Erkunden der Umgebung in Schrittgeschwindigkeit, dem Ansehen aller möglichen Objekte, dem Anhören von coolen, jugendlichen Indie-Aussagen von Max und hin und wieder dem Treffen von Entscheidungen und Lösen von sehr simplen Rätseln.
Das Zurückdrehen der Zeit funktioniert jedoch nicht jederzeit, sondern nur in vorgegebenen Situationen. So war es mir nicht möglich, die Aussage von Max rückgängig zu machen, in der sie sagt: „Final Fantasy: The Spirits Within ist einer der besten Sci-Fi-Filme!“. Ja, das passiert wirklich im Spiel.
Ein Gewitter!
Die Grafik von Life is Strange erinnert an Telltale-Spiele, die einige Abstriche eingehen mussten. Die Charaktere haben kaum Gesichtsmimik, während die Lippensynchronität teilweise gut, teilweise schlecht funktioniert. Öfters scheinen die Augen der Charaktere auch irgendwas zu suchen. Vielleicht eine Fliege im Raum? Die Augen driften gerne schon einmal mitten in Gesprächen ab, während Charaktere leicht hilflos zur Seite sehen, während sie mit jemanden sprechen. Max hält es auch nicht für nötig, Personen anzusehen, die vor ihr auf dem Boden sitzen und zu ihr aufsehen. Sie starrt lieber gerade aus den Baum in Augenhöhe an. Wenn sie nicht gerade unbeholfen zur Seite sieht. Oder diese lästige (!) Fliege sucht.
Das erzeugt den Eindruck von Holzpuppen, in die man in einer Flüssigkeit schwimmende Glasaugen eingesetzt hat und bei denen man mit einem kompliziert verdrahteten Mechanismus die Lippen bewegt. Gerade in einem Spiel, in dem die Story so im Vordergrund steht und keine richtige Action aufkommt, ist es wichtig, dass die Charaktere Emotionen vermitteln und so den Spieler in seinen oder ihren Bann ziehen. Genau das passiert aber leider nicht und durch das Schul-Setting sowie die unbeholfene Art und Weise erinnert Life is Strange teilweise an Bully, ein Spiel von Rockstar Games der PlayStation-2-Ära.
Öfter sieht man auch, wie sich die Texturen erst Stück für Stück aufbauen und geladen werden. Am lächerlichsten war die Rückkehr vom Ende von Episode 1 zum Hauptmenü. Man konnte teilweise schon die Bodenbildung miterleben, als sich mühsam das Küstenpanorama etabliert hatte, und noch ein Layer und noch ein Layer geladen wurde, bis nach einigen Sekunden eine matschige Szene zu einer weniger matschigen Szene wurde. All das nur, um dann einen flackernden Ozean zu haben. Hier hat das Qualitätsmanagement ordentlich geschlafen, anders kann man das nicht erklären.
Auch fiel mir in einer Szene ein scheinbares Gewitter im Hintergrund auf, obwohl doch gerade Sonnenschein in der Szene davor gewesen war. Als in der nächsten Szene wieder Sonnenschein war, war klar: das war ein Textur-Gewitter, als eine Textur ständig angezeigt und wieder ausgeblendet wurde. Das passierte in einer Sequenz, in der man die Kamera nicht steuern kann, war also kein Fehler des Spielers durch ungünstige Kameraposition.
Viele Designs erinnern auch stark an Tearaway für PlayStation Vita. So zum Beispiel die Darstellung von Wind, Regen, und sogar manchen Tieren. Unfreiwillig komisch, aber doch ganz nett zum restlichen Stil des Spiels passend, der fern der heute möglichen Technik ist beziehungsweise der Technik, die selbst noch Sonys PlayStation 3 leisten kann.
Möglicherweise findet sich die Antwort auf die Frage, wieso die Grafik so unter dem Niveau ist, in einer Information, die uns das Spiel selbst liefert. Im Spiel wird eine 5.300 US-Dollar teure Kamera angepriesen, die JPEG-Bilder produzieren kann. Wenn man mehr als fünftausend Dollar für eine Kamera ausgibt, will man keine JPEG-Bilder haben, die eigentlich ein Kompressionsalgorithmus sind und zu Informationsverlust von Bilddaten führen. Life is Strange is quasi die JPEG-Version eines Telltale-TIFF-Spiels.
Gitarren
Der Soundtrack besteht hauptsächlich aus gitarrenlastiger Musik. Wer keine Akustikgitarre hören will, der muss wohl hin und wieder den Sound leiser drehen. Die Lieder erinnern an eine College-Band, was sehr gut zum College-Setting des Spiels passt. Sollte man tatsächlich den Ton abschalten, hört man jedoch leider nicht mehr die guten Synchronsprecher der Figuren. Zum Glück hört man dann auch nicht mehr die hin und wieder auftretenden Soundfehler, wenn Max beginnt zu sprechen. So beginnt sie mit einer Silbe, wird kurz unterbrochen, und redet dann weiter. Das kommt zu oft im Spiel vor, wenn es schon auffällig wird. Gerade am Anfang des Spieles war es sehr auffällig.
Schnappschüsse
Da Max sehr gerne Polaroid-Fotos schießt, reden wir noch schnell in einem Art Schnappschuss-Stil über einige Auffälligkeiten:
- viele Charaktere sind Stereotypen, die aus einem Hollywood-Highschool-Film gestürzt zu sein scheinen.
- ein Ereignis soll als selten dargestellt werden mit „es gibt doch nur 5 davon in 20 Jahren in Oregon“. Das ist aber noch immer einmal in vier Jahren, was nicht gerade wirklich selten ist, statistisch gesehen.
- der Teaser für Episode 2 erzeugt kaum Spannung, da man sich denkt „Hm, egal was da gezeigt wurde, ich kann die Zeit zurückdrehen und es ungeschehen machen“. Oder aber Dontnod lässt besagte Person wirklich in dieser Bredouille zurück. Das wäre mutig!
- 2001: A Space Odyssey ist einer der besten Sci-Fi-Filme. Das ist so. Final Fantasy ist ein guter Film. Das ist auch so.
Schlussendlich raten wir euch zu Folgendem: Seid ihr noch unentschlossen, wartet auf Episode 2. Wir hoffen, dass diese besser wird und wir euch dann fröhlichere Nachrichten übermitteln können. Leider müssen wir jedoch Episode 1 als guten Versuch abstempeln, der zu einem wirklich guten Spiel werden kann, aber allein für sich nicht ausreicht.
Story: Episode 1 ist die Einleitung, und baut deswegen wenig Spannung auf. Das Ende hinterlässt Fragezeichen, was der Spieler gegen die zukünftige Bedrohung überhaupt unternehmen kann.
Gameplay: Besteht hauptsächlich aus Herumgehen, dem Ansehen von Objekten, Lösen von einfachen Rätseln und dem Zurückdrehen der Zeit, die schwierige Entscheidungen nicht existent werden lassen, da man alles ausbessern kann.
Grafik: Die Muppets haben teilweise mehr Mimik. Charaktere sind damit beschäftigt, Fliegen zu suchen, Tearaway scheint ein Vorbild gewesen zu sein. Texturenflackern grenzt teilweise an Lächerlichkeit.
Sound: Akustische Gitarre. Soundfehler sind nervig, jedoch sind viele Charaktere doch gut vertont.
Sonstiges: Logischerweise kurze Spieldauer von ungefähr vier bis sechs Stunden, je nachdem, wie viel man erkundet. Stereotype Charaktere.