Mehr als ein Jahr mussten sich die westlichen JRPG-Jünger auf den neusten Streich aus dem Hause Level-5 gedulden. Nun ist es soweit, Ni no Kuni möchte weltweit die Spielerherzen erobern und verspricht wortwörtlich die „gute alte Zeit“ japanischer Rollenspiele wieder aufleben zu lassen. Zeit, dass auf Worte Taten folgen. Die Erwartungen sind immens hoch, was nicht nur an vorheriger Aussage liegt, sondern auch an der Zusammenarbeit mit niemand geringerem, als den Ghibli-Studios. Ob es den beiden Hochkarätern gelungen ist die perfekte Symbiose zwischen Spiel und Film herzustellen, lest ihr in unserem umfassenden Test zu Ni no Kuni.
Macht euch bereit für die Andere Welt.
Ein Junge, eine Fee und dunkle Mächte
Oliver ist ein normaler Junge. Er wohnt allein mit seiner Mutter zusammen und lebt eine behütete Kindheit. Seine Geschichte beginnt in der von der Automobilindustrie lebenden Kleinstadt Motorville, in der nahezu jeder von Autos begeistert ist. So auch Oliver und sein Freund Philip, die sich nichts sehnlicher wünschen, als sich selbst ein motorisiertes Gefährt zu bauen.
Während einer nächtlichen Spritztour mit der neuen Errungenschaft, gerät Oliver in einen Unfall und wird daraufhin von seiner Mutter gerettet, die auf Grund ihres schwachen Herzens, so sagt man, kurz darauf verstirbt. Nach dreitägiger Trauer und zahlreich vergossenen Tränen, tröstet sich Oliver mit seinem Stofftier. Als dieses aber nun mit den Tränen des Jungen in Berührung kommt, erwacht es plötzlich zum Leben und erzählt ihm, er könne seine Mutter retten, wenn er mit Tröpfchen – der Name mit dem der geradewegs zum Leben erweckte, selbsternannte Großfürst der Feen, sich vorstellt – in seine Welt komme, um dort den Frieden wieder herzustellen. Ein dunkler Magier namens Shadar soll nämlich das Gegenstück von Olivers Mutter in Gefangenschaft halten. Rette man sie, solle ihr diesseitiges Ich auch wieder gerettet sein.
Da das andere Ich von Olivers Mutter in Tröpfchens Welt eine der großen magischen Weisen war, schlummert auch Magie in Olivers Körper. Um damit richtig umgehen zu können, übergibt ihm Tröpfchen den magischen Begleiter, welcher von nun an sowohl Leitfaden als auch Zauberlexikon für den kleinen Jungen darstellt.
Überzeugt von Tröpfchens Erklärungen macht sich Oliver auf die Reise in die Andere Welt, die so gut wie gar nichts mit seiner Welt gemein hat. Auf seiner Quest erwarten Oliver zahlreiche Abenteuer und wundersame Dinge. Nach einer Weile schließen sich ihm Freunde an, die ihm tatkräftig zur Seite stehen. Gemeinsam macht sich die Gruppe auf, um Shadar das Handwerk zu legen. Doch kehrt wirklich Frieden in Tröpfchens Welt, nachdem man den dunklen Magier aus dem Weg geschafft hat, oder steckt noch etwas viel Größeres hinter dem Ganzen?
Willkommen zu Kuni-Tours, es gibt viel zu sehen!
Ni no Kuni bietet dem Spieler eine große, frei begehbare Welt, die man nach Herzenslust erkunden kann. Neben Städten und Dungeons, erwarten einen immer mal wieder kleine geheime Orte, die es zu erforschen gilt. Im späteren Verlauf der Handlung erhält man sogar verschiedenste Fortbewegungsmittel und andere Annehmlichkeiten, wie einen Teleportationszauber, um sich die Reise zu erleichtern.
Doch nicht nur die Weltkarte mit zahlreichen umherstreifenden Monstern und Sammelpunkten für Gegenstände lädt zum Entdecken ein. Auch die Städte in Ni no Kuni sind nicht, wie manch anderswo leer und trist, sondern sehr belebt. Seien es nur die Bewohner, die zu einem Plausch einladen oder die Verkäufer, die ihre Waren anbieten. Darüber hinaus gibt es auch in Städten versteckte Schätze und vor allem Bewohner, die eure Hilfe benötigen.
Gerade das abwechslungsreiche Quest-System ist eines der vielen positiven Gameplay-Aspekte, den man hervorheben sollte. So findet man hier nicht nur die üblichen Nebenaufgaben, wie „Finde Dies und Das“, oder „Besiege Dieses und Jenes“, sondern geht es auch des Öfteren darum, Personen eine bestimmte Eigenschaft ihres Wesens zurückzugeben, die ihnen von Shadar entwendet wurde. So fehlt jemandem zum Beispiel der Mut, etwas zu tun oder ein anderer kann sich nicht aufraffen, etwas wichtiges zu erledigen.
Mit Hilfe von Magie ist es nun an Oliver diese Eigenschaften von anderen Bewohnern, die diese im Überfluss haben, entgegen zu nehmen und der betroffenen Person zu schenken, damit diese wieder ein ausgeglichenes Leben führen kann.
Doch das ist noch nicht alles, was es nebenher zu erledigen gibt. Im späteren Verlauf erhält Oliver die Möglichkeit, Gegenstände zu synthetisieren, welche ihm weitere Aufträge beschert. Auch der magische Begleiter kommt nicht zu kurz. So fungiert er nicht nur als nettes Beiwerk zum Nachschlagen, sondern will auch des Öfteren dazu genutzt werden, Rezepte für die Alchemie in Erfahrung zu bringen – oder man ist angehalten die zauberhaften Geschichten zu lesen, um Fragen über die Welt zu beantworten. Es kann aber auch vorkommen, dass Oliver jemandem mit seiner Magie zur Hand gehen muss.
Umsonst macht ihr das ganze natürlich auch nicht, denn mit erledigtem Auftrag erhaltet ihr auch eure Belohnung, die eine Summe an Gulden und meist noch einen Gegenstand umfasst. Für manche Aufgaben kann man aber auch neue Formeln für die Alchemie oder neue Zauber erhalten. Ferner erhaltet ihr eine gewisse Anzahl an Stempeln, die ihr im sogenannten Auftrags-Express gegen nützliche Eigenschaften, wie mehr Erfahrungspunkte oder die Möglichkeit, schneller über die Weltkarte zu reisen, eintauschen könnt.
Der Auftrags-Express wartet hinzu noch mit Monsterjagden auf, die meist Kämpfe gegen schwerere Gegner beinhalten. Auch diese werden gleichermaßen vergütet. Ni no Kuni frischt somit das staubbedeckte Nebenquest-System mit viel Motivation und Abwechslung für den Spieler auf.
Herr der Herzstücke: Die Gefährten
Ein wichtiger Bestandteil des Spiels sind die magischen Gefährten, welche die drei Hauptcharaktere im Kampf unterstützen. Jeder besitzt zunächst jeweils einen, doch später ist es möglich Gegner zu bezirzen, damit sie eurer Gruppe beitreten können. Man wählt also kurz vor Beginn eines Kampfes einen der Gefährten oder Charakter mit dem man den Kampf beginnen möchte und springt sofort ins Kampfgeschehen.
Auf dem Kampffeld kann man sich frei bewegen, jedoch muss man seine Aktionen aus einem ringartigen Menü am unteren Bildschirmrand auswählen. Aktionen wie Angriff oder Verteidigen dauern eine gewisse Zeit an, sodass man mehrere Schläge austeilen kann, beziehungsweise rechtzeitig bereit zum Verteidigen ist, wenn eine große Gegenattacke ansteht. Es ist möglich jederzeit zwischen Gefährten und Charakteren zu wechseln, aber nur drei Mitglieder dürfen gleichzeitig am Kampf teilnehmen. Da das Ganze in Echtzeit abläuft und man sich nur beim Wechseln mal eine Pause gönnen kann, sollten eure Aktionen gut überlegt sein, denn der Schwierigkeitsgrad steigt recht schnell auf ein gut forderndes Niveau, sodass man stets auf Schwachpunkte, gegensätzliche Elemente und Statusveränderungen Acht geben und möglichst rasch darauf reagieren sollte, bevor es zu spät ist.
Das Kampfsystem im Ganzen hat gute Ansätze, patzt aber gerade im späteren Verlauf des Spiels, wenn mehrere Charaktere am Kampf teilnehmen und man sich auf die K.I. verlassen muss. Die K.I. macht zwar einen soliden Job, arbeitet aber kein bisschen ökonomisch. So werden des Öfteren die stärksten Zauber benutzt und unnötig Statuszauber erteilt, die kräftig an den Magiepunkten zehren, welche nur durch recht teure Kaffee-Items wieder aufgefüllt werden können.
Es gibt Taktikanweisungen, die im Kampf über den jeweiligen Charakter zugänglich sind, jedoch sind diese schwammig formuliert und auch nicht detailliert genug. Zudem geht einem recht viel Zeit verloren, wenn man die Taktik während eines Kampfes anpassen muss. Eine Option außerhalb der Kämpfe im Menü wäre da die bessere Wahl gewesen, unter der Voraussetzung, dass die Taktiken auch nützlich sind.
Ein weiterer Kritikpunkt, der aber auch mit der K.I. zusammenhängt, ist, dass sich des Öfteren Gefährten in die Quere kommen. Die Gefährten werden am Anfang des Kampfes dem Gegner entgegen geworfen, was sehr oft dazu führt, dass sich ein kleinerer Gefährte neben einem riesigen befindet, der diesem quasi den Weg zum Angriff versperrt. Kleinere Macken, die aber durchaus ein wenig enttäuschen.
Nützlich sind nicht nur die Gefährten sondern auch die Charaktere. So kann man nur über deren Menüfeld Items im Kampf nutzen oder aus einem Kampf flüchten. Weiterhin hat gerade Oliver eine Vielzahl an mächtigen Zaubern, die äußerst hilfreich in den Kämpfen sind und auch die anderen Hauptcharaktere haben ihre Verwendung. Die primären Schadensverursacher werden aber wohl eure Gefährten sein, deren Werte ihr gezielt verbessern könnt.
Ferner erhält man ab einem bestimmten Level die Möglichkeit, den Gefährten weiterzuentwickeln, wobei die dritte Entwicklungsstufe zweigeteilt ist und dem Spieler die Wahl lässt, in welche Richtung sich der Gefährte entwickeln soll. Nach jeder Evolution startet man wieder bei Level 1, wobei alle selbstverteilten Statuswerte beibehalten werden. Der Gefährte behält alle seine erlernten Skills und lernt zudem neue hinzu, was einem die Entscheidung für eine Evolution durchaus erleichtert.
Olivers Reise ins Wunderland
Man muss nicht lange suchen, um zu erkennen, dass die Ghibli Studios beim Design und der Story ihre Finger im Spiel haben. Die grafische Darstellung lässt einen des Öfteren denken, man sei direkt in einem Ghibli-Film, den man selbst beeinflussen kann. Natürlich lässt sich über den Stil streiten, der sicher nicht jedermanns Sache ist.
Jedoch überzeugt die Atmosphäre auf ganzer Linie. Nichts wirkt eintönig oder lieblos und keine Gegend gleicht der anderen. Beim Betreten einer neuen Stadt oder Region wird man jedes mal aufs Neue in den Bann der liebevoll und detailreichen Designs gezogen. Natürlich ist das, was Ni no Kuni zu bieten hat, nicht die High-End-Grafik, doch die Atmosphäre des Spiels stellt alles in den Schatten, was die PS3 im JRPG-Sektor zu bieten hat.
Die musikalische Untermalung befindet sich auf dem selben Niveau und passt sich nahtlos und unterstützend ein. Der Soundtrack hat sehr schöne Titel im Angebot, die ins Ohr gehen und die Stimmung und Atmosphäre sehr gut wiedergeben.
Ni no Kuni bietet darüber hinaus eine glaubhafte und lebhafte Geräuschkulisse und zwei exzellente Sprachausgaben, die dem Spieler zur Auswahl stehen.
Schick, was gibt’s noch?
Ni no Kuni hat nicht nur eine englische und japanische Sprachausgabe, sondern ist auch komplett in den wichtigsten Sprachen Europas lokalisiert worden. So dürfen sich deutsche Spieler auf eine sehr gute deutsche Übersetzung gefasst machen, die mit sehr viel Charme und Witz umgesetzt wurde. Einziges Manko hierbei ist das unnötige Verändern von Charakternamen, welches einem besonders beim Hören der japanischen Stimmen doch sehr stark auffällt. Warum kommt Philip, wenn man nach Mark ruft? Eine durchaus unverständliche Entscheidung, auch wenn man das Ganze bei der englischen Synchronisation nicht wirklich so stark mitbekommt, ist es dennoch ärgerlich.
Die Moral von der Geschicht‘
Ni no Kuni hält, was es verspricht. Eine ansprechende Story mit Wendungen und einem Widersacher im Nacken, der einem das Leben schwer macht. Die dichte und magische Atmosphäre, die einen in seinen Bann zieht und das motivierende Gameplay sorgen für den Rest.
Ni no Kuni ist das JRPG für die PS3, worauf die Spielegemeinschaft schon lange gewartet hat. Traurig aber wahr – die Genre-Könige befanden sich bis jetzt auf der Wii. Doch nun darf sich Ni no Kuni nahtlos in die Riege einreihen. Ghibli und Level-5 arbeiten perfekt zusammen und haben es wirklich geschafft, trotz kleinerer Macken, dem Genre wieder ein Revival zu geben. Eine riesige Welt zum erkunden, zahlreiche abwechslungsreiche Nebenaufgaben, eine Auswahl an Minispielen und sogar Rätseleinlagen warten auf den Spieler. Ferner weiß das Spiel mit seinem recht fordernden Schwierigkeitsgrad zu überzeugen, bietet aber auch eine Option für den nicht so geübten Spieler. Die Entscheidung, auf zwei Sprachausgaben zu setzen und die sehr gut gelungene Übersetzung wissen ebenfalls zu überzeugen.
Ni no Kuni packt gekonnt Elemente aus anderen beliebten Spielen zusammen und verbindet sie zu einem Pflichttitel für Rollenspiel-Fans, welche nun endlich etwas herausragendes auf der PS3 geboten bekommen.
Story: Ansprechend und motivierend. Ein wochenfüllender Ghibli Film.
Gameplay: Äußerst motivierend, hält den Spieler am Ball mit viel Abwechslung. Eine große Welt lädt zum Erkunden ein. Monster sammeln und aufleveln. Abzüge beim Kampfsystem in der B-Note.
Grafik: Ghibli-Stil Geschmackssache. Unglaubliche Atmosphäre mit viel Liebe zum Detail.
Sound: Stimmiger Soundtrack, der perfekt mit der Atmosphäre einher geht. Die Synchronisation weiß auf Englisch und Japanisch zu überzeugen.
Sonstiges: Gute und komplette Lokalisierung. Namensänderungen fallen negativ auf. Riesiger Umfang.