360 Europa News Nordamerika PC PS3 PS4 Test TOP XBO

Im Test! THIEF – Der Meisterdieb ist zurück

THIEF ist zurück – der Meisterdieb klaut wieder. Eigentlich kann THIEF wie so manches Reboot nichts richtig machen, dafür aber ganz viel falsch. Wer sich an den Dark Project-Gedächtnis-Reviews satt gelesen hat, dabei nicht weinen musste und für einen Moment nicht darin erinnert werden möchte, was für großartige Videospiele Ende der 90er erschienen sind, ist hier richtig. Ganz ohne „früher war alles besser“-Mentalität muss der nachfolgende Test auskommen und THIEF dabei trotzdem (oder gerade deshalb) objektiv einschätzen. Viel Spaß!

Eine große Stadt voller Möglichkeiten

Ein Blick in die Stadt auf einen zentralen Platz.

Nach einem kurzen Prolog-Szenario finden wir uns in einer düsteren Stadt wieder, die fortan als Ausgangspunkt für die Story-Kapitel dienen wird, aber selbst auch mehr als genug zu bieten hat. Auch ohne die Geschichte voranzutreiben, findet ihr in der Stadt jede Menge Rätsel, Nebenmissionen, Händler, Schätze, Fallen und Wachen. Man kann problemlos einige Stunden durch die verwinkelte Stadt schleichen und findet an jeder Ecke etwas, das man erledigen kann. Wachen beklauen, Wachen ausweichen. In Häuser einbrechen oder schwer erreichbare Dachfenster begrübeln.

Und dabei muss man immer auf der Hut sein: man kann im Prinzip ständig erwischt werden und dann droht Prügel. Zu den weniger sinnvollen Dingen gehört es sicherlich, auf jeder zweiten Kiste im Dunkeln goldige Klunker einzusammeln, neben denen Bettler hocken. Auch die immer und immer wieder baugleichen Schränke, die in den Häusern leergeräumt werden, gehen auf’s Gemüt. Aber naja, ein Dieb denkt darüber wohl nicht nach sondern nimmt einfach, was er kriegen kann.

Die Hintergrundgeschichte

Doch zurück zur Story. In den einführenden Sequenzen lernen wir Erin kennen, eine Berufskollegin. Man kennt sich, aber so richtig warm ist man sich nicht. Auch, weil Meisterdieb Garrett mit den Vorgehensweisen von Erin nicht immer einverstanden ist. Denn wo Garret lieber im Dunkeln bleibt, schreckt Erin nicht davor zurück, zu töten. Aber irgendwie ist da mehr, irgendwie ist Erin sympathisch. Eine Art kleine Schwester.

Nicht viel Zeit lässt man uns, um Erin kennenzulernen.

Leider hat sich Eidos Montreal dafür entschieden, die Bindung des Spielers zu Erin nicht weiter aufzubauen, denn schon in den Einführungsszenen passiert das Unglück. Wir beobachten eine seltsame Zeremonie, eine Art Beschwörung, als wir mit Erin auf einem großen Beutezug sind. Erin stürzt aus größer Höhe und man muss davon ausgehen, dass sie das Unglück nicht überlebt hat. Garret hat zunächst mit sich selbst zu tun – erst ein Jahr später ist er wieder bei Sinnen und in seinem Versteck, dem Glockenturm.

Danach prasseln die Ereignisse und offenen Fragen nur so auf Garrett ein. Den scheint das jedoch zunächst mal kalt zu lassen. Glücklicherweise nimmt die Story schnell Fahrt auf, auch wenn Garrett zunächst mal so tut, als wäre nichts passiert. Er macht erstmal dort weiter, wo er aufgehört hat: bei Diebstählen. Doch auch Garret dürstet es irgendwan nach Antworten.

Eine durchaus fesselnde Geschichte um eine seltsame Krankheit, einen bitterbösen Baron und natürlich um Garrets Amnesie beginnt, die stellenweise mystisch wird, überraschende Wendungen bietet und die stets neugierig auf den Fortgang macht – aber leider auch nicht jede aufkommende Frage konsequent klärt und die es versäumt, Garret eine starke Kontur und Meinung zu geben. Es ist trotzdem fast ein wenig schade, dass man sich die Story-Kapitel selbst durch ausgiebige Streifzüge in der Stadt sowie Nebenmissionen unterbricht – wobei das natürlich optional ist. Aber welcher Meisterdieb lässt diese Gelegenheiten schon entgehen.

Abwechslungsreiche Kapitel und baugleiche Schränke

Eine gruselige Heilanstalt, deren Name Thief-Fans aufhorchen lässt.

Die Story-Kapitel sind in den Settings sehr abwechslungsreich. Von offenen Gärten und verwinkelten Villen bis hin zu einem düsteren Schlachthaus, einem Rotlichthäuschen oder einer gruseligen Heilanstalt. Meistens geht es darum, von A nach B zu gelangen. Das ist spannend genug, so lange man sich keine Gedanken darüber macht. Denn meistens ist man damit beschäftigt, nach Wachen Ausschau zu halten, ihre Laufwege zu studieren und sie nach und nach auszuschalten.

Diese Methodik führt ziemlich sicher zum Ziel. Wer sich die Zeit nimmt – und man muss sich die Zeit nehmen – kann nach und nach jeden Gegner in jedem Level lautlos ausschalten. Die Konfrontation endet hingegen fast immer tödlich, wenn man es mit mehreren Wachen zu tun hat. Nur mit einer Wache kann es Garret im offenen Kampf aufnehmen, den man aber natürlich immer versucht zu vermeiden. Ist ein Gebiet gesichert, macht man sich dann daran, die viel zu üppig herumliegenden Klunker einzusammeln.

Auch hier verschlägt es uns hin: ein Freudenhaus!

Dass dies immer wieder die gleichen Haarbürsten, Handspiegel und Silberlöffel in den immer wieder gleichen bereits angesprochenen baugleichen Schränken sind, macht es nicht besser. Hier wäre weniger eindeutig mehr gewesen, Eidos Montreal. Im Prinzip hätten die wertvollen Gegenstände, die im Spiel Sammelgegenstände genannt werden, vollkommen gereicht.

Beispielsweise Gemälde, die man mithilfe einer Rasierklinge (erst kaufen) entfernt oder Goldplatten, die man mit einem Schraubenschlüssel (ebenfalls erst beim Händler kaufen) mitgehen lässt, ebenso wie die hochwertigen und immer unterschiedlich aussehenden Schmuckgegenstände, die man in Truhen und Tresoren findet, welche man mit Dietrichen erst knacken muss, deren Kombinationen man gefundenen Dokumenten entnehmen muss, oder für die man auf dem Weg erstmal Fallen mit dem Drahtschneider entschärfen muss. Dann fühlt man sich auch wie ein Meisterdieb – aber nicht doch, wenn man ständig die Goldmünze neben dem kranken Bettler klaut. Die viel zu üppig herumstehenden goldenen Kerzenständer sind ein vermeidbarer Atmosphäre-Killer.

Phantom oder Jäger?

Die einzelnen Kapitel-Abschnitte sind im Großen natürlich linear, bieten aber oft jede Menge Optionen. Die Vorgehensweisen sind im Allgemeinen: das Phantom, der Opportunist oder der Jäger. Soll heißen: bleiben alle Wachen am Leben und ihr unsichtbar? Oder scheut ihr nicht davor zurück, Wachen den Knüppel überzuziehen, zieht es aber vor, dies von hinten und unbemerkt zu erledigen? Oder aber benehmt ihr euch wie eine wandelnde Alarmanlage? Oft seht ihr euch übersichtlichen Einzelabschnitten gegenüber, die dann studiert werden wollen.

Ganz oben. Da ist Garrett am liebsten zuhause.

Im Dunkeln seid ihr im Prinzip unsichtbar, auch wenn eine Wache direkt an euch vorbeiläuft. Es gibt immer viele Versteckmöglichkeiten und viele Interaktionsmöglichkeiten mit der Umgebung. Ihr könnt Wachen von Kisten an Flaschenzügen erschlagen lassen, Benzinpfützen mit Feuerpfeilen im richtigen Moment anzünden oder Wachen mit dem Wurf einer Falsche ablenken. Ihr könnt aber auch von Schatten zu Schatten huschen, mit dem Wasserpfeil Fackeln löschen um im Dunkeln zu agieren oder ihr schleicht an Hunden und Vögeln vorbei, die euch beim zu schnellen Gehen verraten würden.

Das macht zu jeder Zeit Spaß, doch es wäre auch noch viel mehr möglich gewesen. Letztlich führen zu oft die gleichen Vorgehensweisen zum Erfolg. Und Faktoren wie der Untergrund bleiben völlig außen vor, auch wenn die Entwickler versuchen, uns in den Hinweisen im Ladebildschirm anderes zu erzählen. Unglaubwürdig wird es, wenn wir selbst Schritte deutlich wahrnehmen, die Wache aber nicht, so lange sie nur mit dem Rücken zu uns steht und wir gebückt und langsam laufen.

Wenn die Geduld am Ende ist, hilft auch mal ein Hieb.

Darüber hinaus sind die Wachen aber durchaus clever. Sie entzünden Fackeln wieder, die euer Wasserpfeil gelöscht hat. Sie suchen aggressiv und relativ weiträumig nach Geräuschen. Und wenn sie euch entdeckt haben, verfolgen sie euch gnadenlos. Ratlos wirken sie nur, wenn ihr euch schnell genug auf Dächer verabschiedet.

Dazu kommt es aber nicht oft, denn der richtige Weg ist meist offensichtlich: ein Luftungsschacht ist immer besser als die Tür. Und leider ist man in seinen Entscheidungen auch nicht so frei, wie es den Anschein macht. Auf Kisten und Vorsprünge kann man nur klettern, wenn Eidos Montreal das auch so geplant hat. Markierungen und Gitter für die Kletterkralle kennzeichnen diese Stellen. Und auch wo uns der Seilpfeil Dienste erweisen kann, ist im wahrsten Sinne des Wortes in die Balken gemeißelt. Das ist schade.

Ein nutzloses Fähigkeitensystem

Schade ist auch, dass man die ganzen Klunker im Prinzip grundlos hortet. Wenn man sich doch wenigstens etwas Schickes davon kaufen könnte! Das Konto wächst, aber eigentlich brauchen wir nichts außer neue Pfeile und ein paar nützliche Hilfswerkzeuge. Eine stärkere Weste oder eine größere Tasche sind ganz nett, aber man kommt auch völlig ohne aus. Um genau zu sein: auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad (Dieb) habe ich nichts gekauft außer die wichtigen Hilfswerkzeuge und Pfeilnachschub. Werkzeugupgrades habe ich ebenso nicht vermisst wie eine größere Köcherkapazität. Ein Auffüllen zwischen den Kapiteln war ausreichend.

Im Fokus-Modus leuchten Objekte und Verstecke blau auf.

Noch schlimmer verhielt es sich mit den Fokus-Punkten, die man nach Kapiteln erhält oder für viel Geld kaufen kann. Dahinter versteckt sich etwas, das viel wichtiger hätte sein müssen: der Fähigkeitenbaum von Garrett. Es ist natürlich absolut cool, wenn man dank Fokusfähigkeiten schneller Taschen leeren kann, weiter blicken kann, Geräusche orten kann oder Handabdrücke visuell sichtbar machen kann.

Aber es führt die ganze Sache eben ad absurdum, wenn man es ganz einfach nicht braucht. Taschen leeren klappt auch so, Kopfschüsse mit dem Pfeil gelingen ebenso ohne zusätzliches Zielwasser. Warum man Handabdrücke überhaupt visuell erkennen soll, bleibt offen – ein Druck auf den Fokusknopf lässt aufsammelbare Objekte und Truhen ohnehin kurzzeitig blau aufleuchten. Kurzum: Das Fähigkeitensystem kann man sich getrost schenken, zumindest auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad.

Einer der Klunker, für die es sich lohnt…

Apropos Schwierigkeitsgrad: grandios sind die unzähligen Anpassungsmöglichkeiten. Man kann einstellen, dass die Mission mit der ersten Alarmierung einer Wache vorbei ist. Oder dass das Speichern nur nach Kapiteln möglich ist. Die Entfernung von Ressourcen ist ebenso möglich wie die Deaktivierung der Zielhilfe und der Fokusfähigkeiten.

Optisch ist THIEF gut gelungen – wir haben übrigens die PS4-Version getestet. Die Texturen sind schick, die Lichtquellen sehen gut aus, die Effekte stimmen ebenfalls. Warum das allerdings zu Framerate-Einbrücken und gelegentlichen Rucklern führen muss, bleibt das Geheimnis von Eidos Montreal. Zum Glück zeigen sich diese Ruckler aber nicht in wichtigen Spielsituationen. Soundtechnisch bietet THIEF allerdings deutlich zu wenig. Aufgehorcht wird im Prinzip nur, wenn man Wachen in Alarmbereitschaft versetzt hat. Die deutsche Synchronisation ist hingegen gut gelungen, wäre sie nur nicht so oft so schrecklich asynchron.

Fazit: Garrett lässt sich leider zu oft erwischen…

Das neue THIEF legt einen holprigen Start hin und macht leider an zu vielen Fronten fast schon schlampige Fehler. Eidos Montreal hätte vielleicht gut daran getan, neue Ideen konsequent und rücksichtslos umzusetzen, statt Kompromisse halbgar zu implementieren und zu versuchen, Thief-Fans zu besänftigen. Ich hätte mir gewünscht, dass Eidos Montreal die Thief-Fans eben Thief-Fans sein lässt und stattdessen aus THIEF das macht, was es in ihren Augen sein sollte. Entweder ganz oder gar nicht – entweder ein konsequentes Fähigkeitensystem, dann vielleicht auch mit Erfahrungspunkten und einem zunächst beschränkten und schwachen Garrett, oder eben gar keins.

Dabei bietet das neue THIEF viele gute Ansätze. Vor allem macht es unglaublich viel Spaß, sich durch die sehr stimmungsvollen Kapitel zu schleichen – auch wenn es einige Schönheitsfehler gibt. Es macht Spaß, den besten Lösungsweg zu finden – auch wenn er einer von vielen vorgegebenen ist. Und man will die interessante Geschichte zuende spielen – auch wenn Fragen offen bleiben und Garrett leider ein wenig zu blass ist.

Stellenweise ist THIEF genau das, was es sein muss – leider nicht konsequent. Wenn ich durch einen Luftungsschacht klettere, in einen Raum voller Wachen hinunter sehe und mich frage, wie ich die Sache unentdeckt lösen soll. Und wenn ich einige Zeit später die Wachen auf engstem Raum geräuschlos ausgeschaltet habe, die Falle vor dem Tresor gefunden und entschärft habe und die Kombination zum Tresor in meinen Dokumenten aufgespürt habe – dann fühle ich mich wie ein Meisterdieb.

Es ist gut, dass Garrett zurück ist. Denn ein holpriger Garrett bringt mehr Chancen auf einen genialen Garrett mit sich, als ein toter Garrett. Grabpflege können ja diejenigen betreiben, sich sich in seitenlangen Vergleichen mit 15 Jahre alten Spielen verlieren.

THIEF ist solides Videospiel, das trotz vieler (zumal vermeidbarer) Schwächen auch sehr viel Spaß macht! Genre-Fans dürfen sich deshalb trotzdem probieren. Und Meisterdiebe aus den 90ern sollten dem neuen Garrett vielleicht doch auch eine Chance geben. Denn so geben sie Eidos Montreal möglicherweise die Chance, es besser zu machen. Und Eidos Montreal kann das.

Grafik: Optisch solide, leider unerklärlicherweise mit Rucklern.

Sound: Leider blass und die Geräuschkulisse ist enttäuschend. Die deutsche Synchronisation ist gelungen, wird aber durch teilweise schrecklich asynchrone Lippen versaut.

Story: Eine Geschichte, die wie das Spiel Schwächen hat, aber spannend ist und Wendungen bietet. Und ein Protagonist, dem Eidos Montreal leider zu wenig Kontur gibt.

Gameplay: Schleichen macht Spaß! Viele Optionen, leider aber auch viele Vorgaben. Halbgares Fähigkeitensystem, viel zu viele, zu oft sogar grob unlogische Klunker.

Sonstiges: 20 bis 25 Stunden Spielzeit, wenn ihr alle Nebenmissionen erledigt. Grandiose Anpassungsmöglichkeiten beim Schwierigkeitsgrad.