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Der Sprung von analogen zu digitalen Spielen

Die Videospielindustrie erblickte erstmals das Licht der Welt in einer kleinen Garage mit dem Spiel Pong. Doch woher entstammen eigentlich die ganzen Ideen und Spielmechaniken, die für die waghalsigen Abenteuer unserer Helden dienen?

Besonders die Rollenspiel- und Strategiegenres halten sich sehr an ihre Papier-Vorgänger. „Dungeons & Dragons“ oder „Das schwarze Auge“ sind sehr prominente Vertreter des Pen-&-Paper-Genres. Wie der Name hier schon vermuten lässt, werden keine Controller benötigt, sondern lediglich Stift und Papier.

Viele Videospiele gehen sogar den Schritt zurück: Strategie-Vertreter wie XCOM und jüngst Anno 1800 gibt es auch als Brettspielvariante. Doch lohnt es sich überhaupt, einen Blick über den Tellerrand zu werfen und den analogen Spielen eine Chance zu geben? Immerhin besitzen viele Spielerinnen und Spieler bereits die digitale Version der Spiele. Diese Frage können wir hoffentlich mit dieser Kolumne für auch beantworten!

Die Geburtsstunde eures Charakters

Was sowohl für die analoge als auch die digitale Variante gilt: Im Charaktereditor können sich Spieler stundenlang austoben! In Videospielen achtet man meist mehr darauf, dass der eigene Charakter den perfekten Nasenspitzenwinkel besitzt oder der gewünschte Hautton die optimale Farbgebung im Sonnenlicht bewirkt. Im Zeitalter von Stift und Papier sah dies noch anders aus.

Hier wird nicht unbedingt am Aussehen eures Charakters gewerkelt. Vielmehr beschäftigt ihr euch stundenlang damit Rasse, Kultur, Beruf, Fähigkeiten oder andere Charaktereigenschaften um euren Charakter zu bauen. Für die Pen-&-Paper-Variante wird ebenso ein Spielleiter gebraucht, der das Regelwerk zu 100 % beherrscht und euch durch das Spiel leitet. Dies fällt bei der digitalen Variante weg. Hier habt ihr eine künstliche Intelligenz, die erst gar keinen Regelverstoß zulässt, euch durch das Spiel leitet sowie beim Charaktereditor unterstützend zur Hand geht.

Warum dann noch auf die analoge Variante zurückgreifen, wenn die digitale um so vieles einfacher ist? Nun, einen Vorteil haben analoge Spiele gegenüber den digitalen – sie sind geselliger. Die meisten Rollenspiele sind als Solovariante ausgelegt, während viele Brettspiele auf meist zwei bis vier Spieler abzielen. Hier entsteht ein interaktives Miteinander und es entstehen teils lustige, teils frustrierende Diskussionen über Regelwerk, Mitspieler und Taktiken.

Analoge Spiele gibt es in vielen Varianten – seien es Brettspiele, Kartenspiele oder Spiele mit integrierten VR-Funktionen und Apps. So passt sich das Spiel an den zur Verfügung stehenden Platz an, ohne dass es zu Problemen beim Ausfahren vom Spielzubehör kommt. Des Weiteren seid ihr beim Spielen in der analogen Welt nicht an eure Konsole oder euren PC gebunden, sondern könnt praktisch an jedem Ort (außer vielleicht im stärksten Monsun oder auf windigen Gipfeln) spielen.

Auch japanisch angehauchte Spiele wie Machi Koro Legacy füllen ganze Spieleabende.

Eine eigene Messe für Spiele

Pünktlich zum Oktober findet auch in diesem Jahr die SPIEL’20 statt, die weltweit größte Messe für analoge Spiele. Hier ist für jeden Spielertypen etwas dabei – allein in diesem Jahr tummeln sich etwa 1.500 Spieleneuheiten auf der Messe. Die Spiele werden dabei in unterschiedliche Kategorien eingeteilt, ähnlich dem Schwierigkeitsgrad von Videospielen. Kennerspiele dürften den meisten von euch noch Spaß machen, während Expertenspiele echte Kopfnüsse sind und einen konzentrierten Spieler benötigen. Komplexe Spielregeln und eine lange Spielzeit sind hier an der Tagesordnung.

Auf der Spielemesse findet ihr neben gänzlich neuen Spielen auch Erweiterungen zu bereits bestehenden Spielen – diese dürften uns ebenso aus der digitalen Welt als DLC bekannt vorkommen. Doch statt Season Pass und optionalen Stages gibt es bei den Erweiterungen meistens neue Szenarien, Völker oder sogar neue Regeln, die ins Spiel implementiert werden. Preislich halten sich die analogen Erweiterungen aber ganz an die digitale Variante.

Besonders beliebt sind momentan Spiele, die sich an Escape Rooms orientieren. Hier habt ihr eine begrenzte Zeit, um Rätsel zu lösen und hinter das Geheimnis des Spiels zu kommen. Natürlich sind hier die kreativen Möglichkeiten meist begrenzt, sodass sich Rätsel nur selten außerhalb des Spielmaterials, zum Beispiel auf Karton und Spielanleitung, ausweiten können. Doch hier werden die Spieleerfinder kreativ! Sie binden mobile Endgeräte ins Geschehen ein, um euch eine virtuelle Welt sehen zu lassen oder eine eigens für das Spiel kreierte Telefonnummer anzurufen, um einen Hinweis für das Lösen des nächsten Rätsels zu erhalten.

Cities Skylines dürftet ihr in anderer Form kennen.

Das Beispiel Anno 1800

Ihr seht, die Bereiche analoge und digitale Spielwelt verschmelzen immer mehr miteinander. So kommt es auch immer öfter vor, dass große Videospielhits den Schritt zur analogen Variante wagen. Ein solches Beispiel ist Anno 1800. Im Videospiel lasst ihr entweder in der Kampagne oder in Online-Matches euer Volk zur Zeit der Industrialisierung immer weiter voranschreiten, was allerdings auch den Bedarf an luxuriösen Gütern steigen lässt. Somit wird die Handelskette immer komplizierter. Da den Überblick zu behalten fällt oft schwer.

Die Brettspielvariante Anno 1800* bedient sich dabei dem gleichen Prinzip. Zwei bis vier Spieler müssen dafür sorgen, ihre Heimatinsel schnell weiterzuentwickeln. Da in der analogen Variante nicht wie in der digitalen jeder Spieler zeitgleich an der eigenen Insel bauen kann, haben sich die Macher etwas einfallen lassen: Die Spielrunden sind kurz gehalten. Damit kommt bei keinem Spieler in seiner Pause Langeweile auf.

Das Spielmaterial umfasst etwa 500 Spielteile, was den Ansprüchen an die digitale Variante nahekommt. So könnt ihr in Ruhe eure Taktik planen und erwägen, was ihr in eurer nächsten Spielrunde tun wollt. Einen Vorteil hat das Ganze ebenfalls: Ihr müsst nicht befürchten, dass das Spiel abstürzt oder ein riesengroßes Update vor dem Start des Spiels euch einen Strich durch die Rechnung macht.

Anno 1800 als Brettspiel? Ob das Spaß macht?

Hin und zurück

Doch so wie es auch analoge Videospielumsetzungen gibt, so gibt es Brettspiele, die auf der Konsole oder dem PC erfolgreich sein wollen. Prominente Beispiele sind hier „Monopoly“ oder „Die Siedler von Catan“. Doch ich muss ehrlich gesagt etwas gestehen. All diese Umsetzungen sind für mich mehr schlecht als recht gelungen. Es gibt viele Ruckler, komische Spielmechaniken und das Gefühl des originalen Spiels geht hier für mich komplett verloren.

Wenn ich mit der KI spiele, geht für mich das Gefühl, ein Brettspiel zu spielen, völlig flöten. Hier fallen Diskussionen mit Familienmitgliedern weg. Auch die Freude und der Ärger über manchen Spielzug werden hier abgeschwächt. Wenn dann auch noch Probleme in der Stabilität des Online-Modus auftreten, bin ich eher gewillt, die Brettspielvariante auszupacken. Meist bauen die Videospieladaptionen nur auf der Grundversion des Spiels auf – nach Erweiterungen sucht man hier vergebens.

Die Mischung machts

Ich bin ein Fan beider Varianten und möchte weder die ausgiebigen Spieleabende noch die Zocker-Sessions vorm Bildschirm missen müssen. Beide Varianten haben ihre Vor- und Nachteile. Gerade zu Zeiten von COVID-19 ist es auch nicht immer ratsam, ausgiebige Brettspielabende zu veranstalten. Doch mit genügend Abstand und Desinfektionsmittel kann auch das Spiel des Lebens zu Zeiten von Omas Jugend auf dem Tisch ausgepackt werden. Auch die Vermischung von digitalen und analogen Spielen finde ich gut gelungen, denn sie bietet mehr Optionen und erweitert das Spielerlebnis ungemein.

Doch Finger weg von schlechten Umsetzungen, egal in welche Richtung – lest euch am besten immer vorher einen Spielbericht durch oder schaut euch ein Video eures liebsten Rezensenten an, um zu erfahren, ob der Sprung von der analogen in die digitale Spielewelt oder umgekehrt gelungen ist. Spaßig kann es auf jeden Fall in beiden Welten werden.

Bildmaterial: Klong!, Schwerkraft Verlag; Cities Skylines, Anno 1800, Kosmos; Machi Koro Legacy, Asmodee Deutschland