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Im Test! The Quiet Man

TitelThe Quiet Man
Japan01. November 2018
Square Enix
Nordamerika01. November 2018
Square Enix
Europa01. November 2018
Square Enix
SystemPlayStation 4, PC
Getestet fürPlayStation 4
EntwicklerSquare Enix, Human Head Studios
GenresAction
Texte
Japan
VertonungNordamerika

Lippen bewegen sich, ein Klavier wird mit einfühlsamer Hand gespielt – es erklingt jedoch kein Ton. Dies ist die Lebenswirklichkeit unseres Protagonisten: eine Welt der Stille. Er ist taub. Ein ungewöhnlicher Ansatz für ein Videospiel, ein Medium, bei dem Musik, Dialoge und Sound ein so wichtiger Bestandteil sind.

Square Enix hat dieses ungewöhnliche Experiment gewagt und es The Quiet Man genannt, kündigte aber auch an, dass eine Tonspur nachgereicht wird. Es wird einem ans Herz gelegt, das Spiel zunächst „taub“ zu spielen und dann nochmal mit Ton. Um dieses Erlebnis besser einzufangen und zu beleuchten, wie der nachgereichte Sound das Spielempfinden verändert, ist der Text folgendermaßen gestaltet: Die Gedanken, Bewertungen und Urteile nach dem zweiten Durchspielen mit Tonspur werden kursiv gehalten und dienen als Ergänzung zum ursprünglichen Text.

Willkommen in meiner Welt

Wir schlüpfen in die Rolle eines jungen Mannes, der sich durch die Straßen New Yorks bewegt. Wie eingangs erwähnt, kann er nicht hören und so nimmt auch der Spieler die Umgebung wahr. Wir stellen aber schnell fest: seiner Fähigkeit zu kämpfen tut das keinen Abbruch. Er nimmt es gleich mit einer ganzen Bande an Gangstern auf und schickt sie mit Fäusten und Tritten ins Nirvana.

The Quiet Man wechselt zwischen Live-Action-Sequenzen und animiertem Gameplay hin und her. Der Hauptfokus des Spiels liegt allerdings auf der Story, beziehungsweise auf ausgiebigen Sequenzen. Man muss es sich so vorstellen: Wenn man gerade keine Cutscene ansieht, prügelt man sich. Und genau hier fangen die Probleme schon an…

Gangs of New York

Außer Schläge auszuteilen, gibt es nichts, was der Spieler aktiv tun kann. Die Mikrostrecken, die man mit dem Protagonisten ab und an mal zurücklegen muss, zähle ich hier nicht mit. Die sind bedeutungslos und dienen eigentlich immer nur dazu, um in den nächsten Kampf zu marschieren. Das war es auch schon. Es gibt nichts zu erkunden, nichts zu lesen, nichts zu lösen, nichts zu entdecken.

Für sich genommen ist das nicht unbedingt verkehrt. Wenn das Gekloppe aber keinen Spaß macht, wird das Spielerlebnis nicht nur langweilig, sondern mit der Zeit auch anstrengend. Man bekämpft immer und immer wieder die gleichen Klongegner, die erst gegen Ende mal gegen andere Klone ausgetauscht werden. Das Kampfsystem wird nur anhand von etwas verwirrenden Bildern erklärt. Eine Anleitung ist aber auch nicht unbedingt notwendig, denn es steckt nicht allzu viel Taktik in den Auseinandersetzungen. Man kommt mit monotonem Button-Mashing meistens gut voran. Den Rest findet man während des Spielens dann schon irgendwie heraus. Der wahre Gegner ist hier wohl eher die Kamera, die einem regelmäßig die Sicht erschwert.

Spiel-Film

Nach einer Schlägerei kann man den Controller vorerst wieder eine Weile entspannt beiseite legen, denn es folgt eine Filmsequenz. Diese dauern zum Teil recht lange, gerne auch mal einige Minuten. Ein starker Story-Fokus mit ausgiebigen Cutscenes ist keine neue Idee und kann durchaus funktionieren. Leider ist die Umsetzung im Kontext der Gehörlosigkeit misslungen und ein weiterer Negativpunkt für The Quiet Man.

Man ist als Spieler dazu gezwungen, minutenlange stumme Filme anzusehen, in denen häufig nicht viel passiert. Klar, es wird hin und wieder etwas für das Auge geboten, beispielsweise ein dramatischer Moment oder ein spannender Kampf. Ganz oft ist es leider so, dass Charaktere nur miteinander sprechen. Nicht besonders unterhaltsam.

Ich bin mit der Vorstellung an das Spiel herangegangen, dass die Filme auf bestimmte Weise aufgebaut sein werden. So, dass sie größtenteils selbsterklärend sind und auch ohne Ton unterhalten – nur, um dann vielleicht mit der Tonspur die komplette Sichtweise zu verändern, alles in Frage zu stellen! Zumindest aber bin ich davon ausgegangen, dass wir die Welt tatsächlich so wahrnehmen wie der Protagonist. Dass wir wenigstens mitbekommen, was auch die Hauptfigur mitbekommt. Doch scheinbar liest er die Lippen und deutet die gelegentliche Gebärdensprache, ohne dass der Spieler eingeweiht wird. Zudem weiß er ja schon um die zwischenmenschlichen Beziehungen und sein Umfeld Bescheid. Er scheint zu wissen, was vor sich geht, alle wissen es. Nur der Spieler sitzt mit einem großen Fragezeichen über dem Kopf da.

Mit dem Gebotenen ist es kaum möglich, die Handlung wirklich zu erfassen. Man versteht schon grob, was sich da vor den eigenen Augen abspielt, aber worum geht es? Wie stehen diese Personen zueinander? Wieso ist er jetzt da? Warum sprechen manche Charaktere abgewandt von der Hauptfigur, wenn er doch taub ist? Warum ist dieses und jenes jetzt passiert? Was zum Teufel geht hier eigentlich vor?! Und ja, ich bin jetzt schon neugierig darauf zu erfahren, wie sich die Handlung entfaltet, wenn die Tonspur nachgereicht wird. Aber zu welchem Preis? Ich möchte keine Lücken füllen oder Theorien bestätigt wissen, ich will einfach nur wissen, worum es eigentlich geht. Kann der Ton-Patch die Frustration und den Leerlauf wettmachen, dem man sich vorher aussetzen musste?

Wie sich herausstellt, ist die Story den Ärger nicht wert gewesen. Das soll jetzt nicht bedeuten, die Geschichte sei ein kompletter Reinfall. Sie ist nur nicht besonders gut, was mitunter auch daran liegt, dass sie im Vergleich zu einem Spielfilm oder Videospiel kurz ist. Man hat nicht genug Zeit, die Welt und Charaktere so aufzubauen, dass sie überzeugen und man sich wirklich involviert fühlt. Nachdem man sich die Cutscenes im Stillen ansehen musste, waren die Erwartungen auf die vertonte Version recht hoch – es war damit zu rechnen, mindestens ein bisschen enttäuscht zu sein. Trotzdem hätte ich mehr von der Handlung erwartet. 

Kinofeeling

The Quiet Man wechselt zwischen animierter Grafik und realen Filmabschnitte ab. Besonders die Live-Action-Abschnitte sind qualitativ hochwertig und schön anzusehen. Die schauspielerische Leistung ist meistens überzeugend und man hat tatsächlich das Gefühl, einen Kinofilm oder zumindest einen guten Netflix-Film anzuschauen.

Die Ingame-Grafik ist durchaus in Ordnung und zeigt Liebe zum Detail. Die Hintergründe sind nicht sehr abwechslungsreich, erfüllen jedoch ihren Zweck und sind recht ansehnlich. Zugleich schwankt die Qualität aber, besonders im Hinblick auf Animationen. Die Bewegungen der Menschen sind meist steif, ungelenk und besonders im Kampf sehen manche Aktionen abgehackt und unvollständig aus. Man hat das Gefühl, einen alten PlayStation-3-Titel zu spielen.

Am auffälligsten ist jedoch die mangelnde Kollisionsabfrage. Gegner fallen durch Möbel hindurch und regelmäßig lugte der Fuß oder der ganze Körper des Protagonisten nach einem Kick durch den Rücken des Kontrahenten.

Es gab auch ein paar Cutscenes, die nicht in der häufig verwendeten Live-Action-Manier gezeigt wurden, sondern in der animierten Grafik des Spiels. Eine etwas merkwürdige Designentscheidung. So muss sich nicht nur die Gestik dem realen Vergleich stellen, sondern auch die Mimik. Dies zeichnete ein unregelmäßiges Bild und wirkte im Vergleich zu den realen Aufnahmen teils unfreiwillig komisch, fast störend.

Stille Welt

Logischerweise kann die akustische Komponente des Spiels an dieser Stelle noch nicht bewertet werden. Man kann aber durchaus erwähnen, dass das Spiel technisch gesehen nicht völlig still ist. Schritte und Schläge sind als dumpfe Geräusche zu hören und Stimmen haben auch einen dezenten Geräusch-Effekt erhalten.

Der Sound und die Musik gehen durchweg in Ordnung, obwohl der Soundtrack großteils überraschend generisch geworden ist. Die Schauspieler klingen gut und überzeugend und die wichtigen Musikstücke sind schön gemacht – insgesamt kann man hier nichts beanstanden.

Seufz…

Das Konzept war so neu und vielversprechend und ich hoffte, es könnte einen Hunger nach etwas Kreativem, Ungewöhnlichem und Wagemutigem aus der Spieleindustrie stillen, der langsam in meinem Zocker-Magen aufkam. Die Enttäuschung war leider recht groß, als nach etwa drei Stunden der Abspann lief.

Lästige und uninspirierte Faustkämpfe gegen die immer gleichen, nicht enden wollenden Gegnerwellen. Endlose, stumme Cutscenes, die allem Anschein nach nie für die Tonlosigkeit ausgelegt waren, und eine Story, die dementsprechend nicht vernünftig verfolgt werden kann. Zumindest nicht vor dem Patch. Die Idee war mutig und riskant, doch leider ging die Rechnung nicht auf. Ärgerlich ist aber nicht, dass eine frische, vielleicht etwas zu unkonventionelle Idee nicht so gut ankam, sondern so grob und beinah fahrlässig in den Sand gesetzt wurde.

Das Potential verpufft, wenn man den Spielern stumpfe, eintönige und schlecht umgesetzte Kämpfe vorsetzt und sonst nichts. Das restliche Potential löst sich dann bei der Tatsache auf, dass der Spieler jeden Bezug und das letzte bisschen Interesse an Story, Charakteren und Spielwelt verliert, weil er im Regen stehen gelassen wird und sich obendrein noch langweilt.

Fazit zu The Quiet Man

»Der Ansatz, ein stummes Spiel zu spielen, welches seine letzten Geheimnisse mit der Tonspur enthüllt, hätte spannend werden können. Nach dem ersten Durchspielen sind aber leider folgende Dinge schon klar: das Gameplay kann vom Ton nicht mehr gerettet werden und selbst wenn die Story beim zweiten Mal überragend ist, ändert das nichts an der Tortur des ersten Durchlaufes. Ohne wirkliches Verständnis von The Quiet Man wird es keine Aha-Momente, keine Offenbarungen und keine Überraschungen mehr geben.

Die Befürchtungen wurden letztendlich bestätigt und das Spiel ist auch mit Tonspur eine Enttäuschung. Hätte man das Spiel von Anfang an vertont veröffentlicht, wäre zwar das Alleinstellungsmerkmal dahin, aber es wäre zumindest nicht gar so ärgerlich und frustrierend gewesen. Ein gutes Spiel ist es deshalb leider auch nicht. Die Tatsache, dass sich meine Ausgabe am Ende jedes Durchgangs komplett aufgehängt hat, macht die Situation leider auch nicht besser. Dies scheint aber kein verbreitetes Problem zu sein, ich hatte hier einfach Pech. 

Es bleibt zu sagen, dass die Idee eine gute war. Ich würde so etwas in der Art gerne nochmal sehen, nur in einer anderen, sinnvollen Umsetzung. Hier ist das leider spektakulär daneben gegangen. Man sollte aber immer das Positive sehen: Ein Negativbeispiel ist eines, von dem man lernen kann. The Quiet Man ist nun mal leider ein Anschauungsstück, wie man es nicht machen soll. Dies ebnet aber vielleicht den Weg, um diese Idee neu zu erfinden.«

 

Ein junges Gangmitglied ohne Gehör legt sich mit der Konkurrenz an, um eine Sängerin zu retten.
 Ein Wechsel aus langen Cutscenes und uninspirierter Prügelei.
Schöne Live-Action-Sequenzen, nicht so schöne Spielgrafik.
Durchweg solide Soundkulisse und musikalische Untermalung.
Das zweite Durchspielen bietet nicht nur die Tonspur, sondern auch neue Cutscenes.