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Im Test! Tyranny

TitelTyranny
Japan10. November 2016
Paradox Interactive
Nordamerika10. November 2016
Paradox Interactive
Europa10. November 2016
Paradox Interactive
SystemPC
Getestet fürPC (Steam)
EntwicklerObsidian Entertainment
GenresRPG

Nachdem das teilweise durch Kickstarter finanzierte RPG Pillars of Eternity sogar einen Publisher fand und im letzten Jahre unter Genre-Fans ein kleiner Hit wurde, wagt man sich mit Tyranny in neue Gefilde mit interessanten Experimenten. Lohnt sich ein Blick?

Die Welt in Tyranny ist keine schöne. Die Archonten sind ein Geschlecht, das an Macht nicht zu überbieten ist. Kyros, der mächtigste unter ihnen, unterwirft nach und nach alle Reiche und herrscht über diese. Widerstand ist zwecklos, Kyros’ Edikte können ganze Länder dem Erdboden gleich machen.

Als Schicksalsbinder und Vertreter Tunons, dem Archonten der Gerechtigkeit, entkamt ihr dem Elend, das üblicherweise die Eroberten befällt. Eure Aufgabe besteht darin, in Tunons Auftrag als Richter zu agieren und zwischen den Archonten zu vermitteln.

An dieser Stelle beginnt bereits einer der interessantesten Parts des Spiels. Schon vor Spielbeginn müssen schwere Entscheidungen bei der Eroberung der Welt Terratus getroffen werden, die teilweise sehr großen Einfluss auf den Spielverlauf haben. Gut oder Böse existieren dabei nicht, also wird nicht mit der Moralkeule geschwungen. Jede Partei hat ihre eigene Vorstellung einer idealen Welt, Konflikte sind vorprogrammiert.

Zwei Streithähne, ihr dürft schlichten!
Zwei Streithähne, ihr dürft schlichten!

Welcher Einfluss auf die Handlung durch die getätigten Entscheidungen entsteht, lässt sich erst nach mehrmaligem Durchspielen des auswahlbasierten Prologs erahnen. Unser Held etwa hat sich bei der Eroberung der größten Handelsstadt neutral verhalten, einen strategisch wichtigen Posten in die Hände der strikten Geschmähten übergeben und ist letztlich derjenige gewesen, der das verheerende Edikt der Flammen aussprechen musste.

Kaum fängt das Spiel an, kommen einige Entscheidungen zur Geltung. Da die größten Fraktionen der Archonten, die Geschmähten und der Scharlachrote Chor, ihre Konflikte über ihre Vorgehensweisen nicht beilegen können und damit die Eroberung einer widerspenstigen Siedlung nicht vonstatten geht, werdet ihr mit einem Edikt entsandt, das eine schnelle Lösung herbeiführen soll – andernfalls droht die Zerstörung von allem in der Region, eine Flucht aus der Lage ist für keinen Beteiligten möglich.

Merke: Entscheidungen haben Konsequenzen.
Merke: Entscheidungen haben Konsequenzen.

Das interessanteste Feature von Tyranny ist tief mit der Handlung verwoben. Schon von Anfang an besitzt ihr bei verschiedenen Gruppen und auch ihren Anführern unterschiedliche Reputationen in unterschiedlicher Ausprägung. Je nachdem, wie ihr handelt, ändert sich diese und der Spielverlauf kann sich deutlich ändern durch die dadurch entstehenden Konsequenzen, die nicht immer vorhersehbar sind. Wer mehr aufs Gameplay aus ist, braucht nicht verzagen, denn die Reputationen sind auch mit Fähigkeiten verbunden. Selbst bei euren Begleitern könnt ihr einen Ruf aufbauen und mächtige Kombo-Fähigkeiten erhalten.

Kritisieren kann man an der Handlung eine gewisse Linearität. Ohne viele Aufgaben reist man von einem Punkt zum nächsten. Auch die Gesamtlänge der Story ist mit 20 Stunden kurz bemessen für das Genre, gleichzeitig aber einladend für Einsteiger auf diesem Gebiet.

Bei Tyranny handelt es sich im Prinzip um ein traditionelles westliches Rollenspiel à la Baldur’s Gate, das dabei aber doch eigene Wege geht und sich in einigen Bereichen deutlich von der Master-Vorlage unterscheidet.

In isometrischer Ansicht reist man mit bis zu vier Gruppenmitgliedern durch die Welt von Tyranny und erledigt primär die Aufgaben der Archonten und agiert mehr oder minder als Möchtegern-Richter. Im Prinzip bestehen die Aufgaben aus Standardkost, wie etwa ‘Töte x’ oder ‘Suche y auf’. Nichtsdestotrotz sind die einzelnen Schritte der Quests mit interessanten Nuancen ausgestattet und können oftmals auf unterschiedliche Weise angegangen werden.

Ein Gefecht kann hier durchaus vermieden werden, nicht selten aber bleibt der Gegenüber zu stur, um einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Der Kampf läuft im Grundsatz in Echtzeit ab, was aufgrund des Tempos aber ganz schnell zu einer Niederlage führen kann. Dagegen gibt es aber Pausen. Man kann das Spiel quasi jederzeit manuell pausieren und auch das Spielsystem selbst pausiert auf Wunsch automatisch bei nahezu jeder Aktion. Der Sinn hinter den Pausen ist die Möglichkeit, Gruppenmitgliedern neue Befehle für den Kampf mitzuteilen. Die voreingestellten KI-Optionen der rekrutierbaren Gefährten sind im Grundsatz mehr gut als schlecht für ihre vorgesehenen Archetypen ausgearbeitet, in mancher Situation möchte man taktisch jedoch anders vorgehen oder Charaktere entgegen ihren natürlichen Schwerpunkten agieren lassen. Die Anzahl an Pausen sollte jeder Spieler nach Geschmack konfigurieren. Je mehr automatische Pausen eingestellt werden, desto öfter wird man aus der Immersion gerissen. Am ehesten empfehlenswert ist eine Konfiguration, die genug Möglichkeiten bietet, bei Bedarf ins Kampfgeschehen einzuschreiten, dabei aber gerade anhand der Anzahl der Pausen den Spielspaß nicht verliert.

»Zwar erhält der Hauptcharakter eine gewisse Ausrichtung, quasi kann man trotzdem alles über den Haufen werfen und sein eigenes Ding durchziehen.«

Eine gute Abwechslung zu anderen Vertretern des Genres, neu wie alt, ist die Möglichkeit, die Gruppenmitglieder und insbesondere auch den eigenen Charakter so zu gestalten, wie man es gerne haben möchte. Wollt ihr einen Vollzeit-Magier, der genauso gut als Tank fungieren kann? Oder sollte der Schütze bei ineffektiver Waffe die Gegner mit Flüchen um ihre Sinne bringen, bei einem Notfall doch noch als zweiter Heiler herhalten? Alles machbar in Tyranny. Vorgegebene Klassen sind nicht existent. Zwar erhält der Hauptcharakter eine gewisse Ausrichtung und die Begleiter verfügen auch über ihre Spezialitäten, bei denen es sich durchaus lohnt, sie weiter auszubauen, quasi kann man trotzdem alles über den Haufen werfen und sein eigenes Ding durchziehen.

Entscheidend für die Charakterentwicklung sind die üblichen verdächtigen Statuswerte wie Stärke, Schnelligkeit und Verstand, vielmehr aber die Erfahrung in einzelnen Kategorien. Grundsätzlich sind die Kategorien in Waffenerfahrung und andere, grundlegendere Erfahrungen wie Athletik oder Wissen, aber auch etwa die Kunst, mit bestimmten Elementen umzugehen, aufgeteilt. Diese Erfahrungen lassen sich durch entsprechende Aktionen verbessern und die Entwicklung dadurch lenken. Trotzdem ist das durchaus mögliche Ziel, die gesamte Truppe als Allrounder zu gestalten, keine gute Lösung, denn je genauer die Rolle eines Charakters zu erkennen ist, desto eher ist er ein Meister in seinem Fach. Während dem eigenen Charakter ganze sechs Skillbäume zur Verfügung stehen, besitzen die Begleiter zwei bis drei Ausrichtungen, die mit individuellen Fähigkeiten und passiven Boni aufwarten.

Zauber sind fast wie ein Wunschkonzert.
Zauber sind fast wie ein Wunschkonzert.

Zwar ist eine Mischung aus verschiedenen Komponenten das Erfolgsrezept für eine ausgewogene Gruppe, Magie ist dabei jedoch ein Part im Spiel, der besonders viel Spaß macht, aber nicht zu aufdringlich daherkommt. In der Welt Terratus liegt die Kraft von Zaubern in Sigillen verborgen. Diese Zeichen sind vereinfacht ausgedrückt Bausteine zum Entwickeln von Zaubern. Sigille findet man in drei Arten vor: Kern, Ausdruck und Akzent. Im Grundsatz entstehen Zauber durch die Kombination aus Kern und Ausdruck. Der Kern übernimmt dabei die Rolle der Zauberschule an sich. Neben den uralten Standards wie Feuer und Heilung, sorgen seltener im Genre anzutreffende Kerne wie die schwächende Atrophie oder das zehrende Grabeslicht schon hier für ausreichende Abwechslung.

Der Ausdruck bestimmt hingegen, auf welche Weise der Kern Einsatz findet. Auch hier reichen die Möglichkeiten von Geschossen über Auren bis hin zu Zaubern, die allein die Waffe beeinflussen. Zwar ist nicht jeder Kern mit jedem Ausdruck kompatibel, genug Abwechslung ist jedoch gegeben, sogar mit Überraschungen darf gerechnet werden, denn nicht jede Kombination endet einfach mit demselben Zauber mit anderem Element. Wer Micromanagement liebt, wird sich einen Narren an Akzenten fressen. Bei dieser Unterart von Sigillen handelt es sich um Verbesserungen von Zaubern. So kann unter anderem die Reichweite, Stärke und Präzision erhöht werden, aber auch interessantere Effekte lassen sich durch die Anwendung von Akzenten auslösen wie die Verschmelzung von Eis- und Feuerschaden. Im Prinzip sind so viele Akzente mit Zaubern versehbar, wie man möchte.

Die einzige Begrenzung stellt das Wissen des Anwenders dar. Ein Zauber kann nur gelernt werden, wenn der Anwender über genug Wissen verfügt. Einerseits wird damit eine natürliche Grenze erzeugt, sodass nur Versierte der Künste der Magie die mächtigsten Zauber ausführen können, andererseits jeder in einem gewissen Umfang Magie anwenden kann. Damit die Übersicht bei gleichen Zaubern mit unterschiedlichen Ausprägungen gewährleistet ist, kann aus vorgefertigten Icons gewählt werden und bei der Namenswahl ist man gänzlich frei.

»Das größte Manko an Tyranny sind die Ladezeiten. Alleine einen Speicherstand zu laden, kann bis zu fünf Minuten eures Lebens in Anspruch nehmen.«

Das größte Manko an Tyranny sind die Ladezeiten. Alleine einen Speicherstand zu laden, kann bis zu fünf Minuten eures Lebens in Anspruch nehmen. Dies ist aber bei weitem noch nicht genug. Auch der Transfer von einem Gebiet zu einem anderen kann genauso lange dauern. Gerade weil durch kleinere Gebiete die Grafikkarte nicht besonders in Beschlag genommen wird, ist dieser Umstand umso ärgerlicher. Hat man Pech, erfolgt nach jeder Aktion eine kürzere Wartezeit. Ohne Nebenbeschäftigung ist das Spielen trotz vieler toller Aspekte im aktuellen Zustand unter Umständen frustrierend. Hier ist definitiv noch Arbeit notwendig.

Bei der Charaktererstellung bekommt man fast schon einen kleinen Schock bei der halbnackten Figur mit spitz anmutenden Proportionen, doch dieser vergeht schnell. Der Grafikstil hat seine Kanten und die Porträts der Figuren sind ansehnlicher als die eigentlichen Charaktermodelle, aber das tut dem Spiel keinen Abbruch. Gerade im Kampf ist der Spielfluss liquide und man gewöhnt sich recht schnell ans Ungewohnte. Die begehbaren Gebiete sind im Vergleich zu anderen Spielen des Genres klein gehalten. Zwar macht dies den Einstieg für Neulinge einfacher, jedoch nimmt damit letztlich auch die Immersion ab, da man nur noch relevante Orte besucht und alles komprimiert erscheint. Wenigstens muten die Orte mit hübschen Effekten an.

Ohne Taktik wird man schnell mal tyrannisiert.
Ohne Taktik wird man schnell mal tyrannisiert.

Szenen zwischen den Akten und bei wichtigen Ereignissen werden in malerischen Artworks mit Erläuterungen eines Erzählers dargestellt. Auch bei größeren Gesprächen ist eine Synchronisation auf Englisch vorhanden, im übrigen Spielverlauf ist man jedoch auf die Augen angewiesen, die Ohren werden mit einem grimmig anmutenden Soundtrack beschallt, der überzeugend in die richtige Stimmung versetzt. Im Gegensatz zum spirituellen Vorläufer Pillars of Eternity sind weit weniger Schreibfehler zu finden. In dieser Hinsicht hat eine deutliche Verbesserung stattgefunden.

Fans können auch aus mehreren Editionen aussuchen. Inhaltlich bleibt das Spiel gleich, lediglich die Anzahl an Extras variiert. Empfehlenswert sind der Soundtrack und die Sammlung von Kurzgeschichten aus der Welt von Terratus.

Lohnt sich aktuell der Kauf von Tyranny? Tatsächlich ist das eine schwierige Frage mit einer Antwort, die nicht jeden zufriedenstellen kann. Auf der einen Seite überzeugt der Titel in vielen Belangen. Gerade in den Bereichen Story und Gameplay stellen fremde Konzepte das Genre auf den Kopf. Auf der anderen Seite stehen dem schier ewige Ladezeiten entgegen. Wer damit umgehen kann, kann auch diese Tyrannei meistern.

Story: Interessante, neue Perspektive im Genre.

Gameplay: Traditionell westliches RPG, stark mit der Story verwoben.

Grafik: Gewöhnungsbedürftig kantig, aber noch befriedigend.

Sound: Düstere Klänge verstärken Atmosphäre, englische Teilsynchronisation.

Sonstiges: Sehr hohe Ladezeiten, Extras in unterschiedlicher Ausführung.