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Angeschaut! Erinnerungen an Marnie

1985, vor mehr als 30 Jahren, wurde Studio Ghibli gegründet. 2014 kam Erinnerungen an Marnie in die japanischen Kinos – der vermutlich letzte Kinofilm des geschichtsträchtigen Animationshauses. Hiromasa Yonebayashi führte mit Marnie nach Arrietty bei seinem zweiten Film Regie und verließ das Studio kurz nach der Fertigstellung. Eine aktuelle Meldung lässt aufhorchen: Im Februar berichtete Yonebayashi, dass sein nächstes Projekt ein Ghibli-Werk sein könnte. Weitere Details verriet er nicht. Wir dürfen also gespannt bleiben.

Doch kommen wir zurück zum Film, denn der verdient es, dass über ihn gesprochen wird. Erinnerungen an Marnie ist nämlich ein Ghibli-Film, der sich so recht mit keinem anderen vergleichen lässt – immerhin ist es auch der erste Kinofilm des Studios, an dem weder Hayao Miyazaki noch Isao Takahata mitwirkten.

Über den Film

Erinnerungen_an_Marnie_Szenenbilder_20.300dpiAnna ist ein schwächliches Mädchen. Sie leidet unter starkem Asthma, bleibt am liebsten unbemerkt und hat in der Schule keine richtigen Freunde. Als ihr Asthma immer stärker zu werden droht, schickt ihre Pflegemutter sie zu Verwandten nach Hokkaido aufs Land, wo die frische Meeresluft Anna beim Kurieren helfen soll.

Dort angekommen, erstreckt sich eine breite Marschlandschaft vor Annas Augen. Die Familie, bei der sie lebt, ist offen und herzlich. Ihre Zeit verbringt Anna am liebsten mit dem Zeichnen. Ganz besonders fasziniert sie das verlassene Haus in der Marsch – bei Ebbe zu Fuß erreichbar, bei Flut durch einen See von Anna getrennt. Eines Abends sieht sie ein blondes Mädchen durch eines der Fenster des Anwesens. Dieser Moment ist der Anfang einer surrealen Freundschaft mit dem Mädchen Marnie, das sie wie kein anderer Mensch auf der Welt zu verstehen scheint.

Im Verlauf der Geschichte lernen sich Anna und Marnie immer besser kennen. Die beiden Mädchen erzählen sich gegenseitig von ihren Freuden, Ängsten und Problemen. Doch eines ist merkwürdig: Immer wieder wacht Anna nach Begegnungen mit Marnie an unbekannten Orten auf und weiß nicht, was zuvor geschehen ist.

Die Geschichte wird mit der Zeit surrealer, psychologischer. Realität und Traum verschwimmen und je mehr Anna über das Haus in der Marsch, über Marnie und über ihre eigene Familie erfährt, desto deutlicher wird, dass irgendetwas nicht stimmen kann.

Die Art und Weise, wie die Geschichte in Erinnerungen an Marnie erzählt wird, ist einzigartig für einen Ghibli-Film. Was anfänglich wie eine Geschichte über die Freundschaft zweier Mädchen erscheint, entwickelt sich nach und nach zu einem psychologischen Drama mit viel Tiefgang.

Erinnerungen_an_Marnie_Szenenbilder_15.300dpiDie Ausführung verdient dabei großes Lob: Es wird eine sehr dichte, charakternahe, geheimnisvolle Atmosphäre aufgebaut, die am Ende mit einer äußerst zufriedenstellenden Auflösung aufwartet und die die meisten Zuschauer überraschen wird. Zugleich wird der Film aber nie so komplex und verwirrend, dass sich der Zuschauer verloren fühlt.

Hiromasa Yonebayashi schafft es auf sehr einfühlsame Weise, die Charaktere, ihre Ängste und Wünsche und ihr Miteinander darzustellen. Einige Szenen wirken recht kitschig, doch spätestens das Ende des Films lässt diese kitschigen Szenen absolut gerechtfertigt wirken.

Visuell ist Erinnerungen an Marnie atemberaubend. Im Laufe des Films werden unzählige atemberaubende Panoramen gezeigt, darunter nicht nur Naturbilder. Gerade das Haus, in dem Anna lebt, versprüht einen unvergleichlichen Charme. Die Animation ist ebenfalls auf sehr hohem Niveau. Zwar hat der Film kaum Action-Szenen, doch auch alltägliche Momente profitieren von ausdrucksstarken Bewegungen und bedachter Regie.

Dazu zählen beispielsweise die lebendigen Reaktionen der Figuren, wenn sie durchs kalte Wasser waten. Dazu zählt auch der Himmel, der nicht wie in anderen Ghibli-Filmen strahlend blau, sondern perlfarben ist, um die Stimmung der Protagonistin zu betonen. Solche Details fallen nicht direkt ins Auge, doch in ihrer Summe ist ihre Auswirkung auf das Gesamterlebnis immens. Es steckt unglaublich viel Liebe zum Detail in dem Film.

Erinnerungen_an_Marnie_Szenenbilder_03.300dpiDie Musik wurde von Takatsugu Muramatsu komponiert und wirkt auf den ersten Blick weniger auffällig als beispielsweise Soundtracks von Joe Hisaishi. Atmosphärisch passt die Musik aber perfekt zum Film und ist stilistisch markant genug, um sich von anderen ruhigeren Soundtracks abzuheben. Besonders hervorzuheben sind Annas und Marnies Charakterthemen, die als Leitmotive verwendet werden und eine starke emotionale Wirkung haben. Das Ending-Lied „Fine On The Outside“ von Priscilla Ahn ist das erste englische Lied, das es in die japanische Fassung eines Ghibli-Films geschafft hat. Der Text passt sehr gut zum Thema des Films.

Die Hauptfiguren wurden ghiblitypisch von Schauspielern, nicht von klassischen Anime-Sprechern vertont. Die damals 16-jährige Sara Takatsuki feierte mit ihrer Rolle als Anna ihr Anime-Debüt. Ihre Rolle meistert sie mit Bravour; dasselbe lässt sich auch von Kasumi Arimura, damals 21 Jahre alt, als Marnie sagen. Es herrscht eine sehr angenehme und lebendige Chemie zwischen den beiden Figuren im Film, die von den Sprecherinnen sehr überzeugend vermittelt wird.

Die Handlung des Films basiert übrigens auf dem britischen Roman „When Marnie Was There“ von Joan G. Robinson aus dem Jahr 1967, spielt jedoch im Gegensatz zur Vorlage nicht in England, sondern in Japan.

Die deutsche Veröffentlichung

Wie die meisten Ghibli-Filme wurde auch Erinnerungen an Marnie recht hochwertig auf Deutsch vertont. Wie bei den letzten Veröffentlichungen gibt es aber auch Kleinigkeiten zu bemängeln.

Die deutsche Sprecherin von Anna, Laura Jenni, überzeugt nicht jederzeit. In einigen Szenen spricht sie zu stark betont, was manchmal unnatürlich wirkt. Im Großen und Ganzen leistet Jenni jedoch eine solide Arbeit. Laura Wurmer, die Marnie vertont, überzeugt durchgehend, auch in dramatischen Szenen. Der ruhige, angenehme Klang ihrer Stimme passt ausgezeichnet zu Marnie. Die erwachsenen Charaktere sind alle sehr gut vertont worden, bei den Kinder-Nebenrollen gibt es gelegentlich kleine Aussetzer, aber das sollten Anime-Fans bereits gewohnt sein.

Als Extras sind besonders das Making-of (42 Minuten) und The Art of Marnie (17 Minuten) hervorzuheben. Das Making-of begleitet unter anderem Hiromasa Yonebayashi und Sara Takatsuki nach Hokkaido, wo die beiden über Erinnerungen_an_Marnie_BD_Bluray_888751819191_2D.300dpidie Entstehung des Films sprechen. Das Making-of gibt einen sehr interessanten Einblick in die Produktion des Films, für den Hiromasa Yonebayashi, der bei Arrietty noch viel Hilfe von Miyazaki bekam, bewusst den schwierigeren Weg wählte. The Art of Marnie erzählt die Geschichte des Films in Kurzfassung und zeigt dabei real nachmodellierte Schauplätze des Films, die noch einmal demonstrieren, wie viel Detailverliebtheit in der Produktion steckt.

Darüber hinaus gibt es mit den Storyboards zum kompletten Film, einem deutschen Trailer, japanischen Trailern, TV-Spots und einer Studio-Ghibli-Trailershow die typischen Extras.

Für diese Rezension stand uns zwar die fertige Veröffentlichung nicht zur Verfügung, doch wie alle anderen Filme der Studio Ghibli Collection kommt auch Marnie in der Blu-ray-Fassung in einem Pappschuber mit Digipack in Scherenschnittoptik, dem vier Ghibli-Postkarten beiliegen, daher.

Fazit

Erinnerungen an Marnie ist ein absolut würdiges Abschlusswerk von Studio Ghibli. Hiromasa Yonebayashi betritt mit dem Film Neuland und erschafft ein feinfühliges, psychologisches, hochpersönliches und optisch imposantes Drama, das es in dieser Form in der Animewelt noch nicht zu sehen gab. Die deutsche Veröffentlichung überzeugt, abgesehen von kleinen Schwächen bei der Vertonung, auf ganzer Linie. Wir sprechen also eine klare Empfehlung für Erinnerungen an Marnie aus.

Technische Daten & Extras

  • Laufzeit Film: 103 Minuten
  • Bild: HD 1080p, 16:9 – 1.77:1
  • Audio: Japanisch (DTS HD 5.0), Deutsch (DTS HD 5.0)
  • Untertitel: Deutsch (weiße Schrift, schwarzer Rand)
  • Bonusmaterial: Making-of, The Art of Marnie, Trailer, Storyboards
  • Extras: Postkarten mit Scherenschnittmotiven der Ghibli-Filmcover
  • Altersfreigabe: ab 0

Trailer