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Retro-Flashback: Geschichtsstunde #10 – Phantasy Star II

Nach nun schon so einigen Monaten heiße ich euch zum zehnten Mal Willkommen, und zu diesem Jubiläum schwenken wir um in eine neue Konsolengeneration. Danach werden wir natürlich wieder in die 8-Bit-Zeit zurückkehren, aber zeitlich gesehen liegt Phantasy Star II weit vor den ersten SNES-RPGs und war für seine Zeit natürlich entsprechend technisch fortschrittlich. Historisch bedeutsam ist der Titel zweifelsohne. Aber wie spielt er sich heute?

Hintergründe & Entwicklung

Die Schlüsselpositionen in der Entwicklung wurden größtenteils wieder von den Leuten besetzt, die auch das erste Phantasy Star entwickelten. So programmierte Yuji Naka wieder das Spiel, während Rieko Kodama erneut die Rolle der Spiel-Designerin übernahm und Tokuhiko Uwabo seinen zweiten Soundtrack für die Serie schrieb. Neu dabei war Akinori Nishiyama, der gleich die Rolle des Directors (den es beim ersten Teil in dem Sinne nicht gab) und Writers übernahm.

 

Trotz des Wechsels zu einer neuen Konsolengeneration dauerte die Entwicklung von Phantasy Star II nicht einmal anderthalb Jahre. Bereits am 21. März 1989 erschien das Spiel in Japan und wurde somit das erste bedeutsame 16-Bit-RPG – mehr als zwei Jahre vor Final Fantasy IV und mehr als drei Jahre vor Dragon Quest V. Ein Jahr brauchte Phantasy Star II aber noch, bevor es auch in den Westen kam, während es beim ersten Teil einen fast einheitlichen Release-Termin gab. Trotzdem gab es in Nordamerika schon zwei Phantasy-Star-Teile, bevor es Final Fantasy über das Meer schaffte.

Das Spiel

Tausend Jahre sind vergangen, seitdem Alis die dunkle Bedrohung vom Algol-Sternensystem abgewendet hat, und Algol gedeiht stetig unter der Kontrolle des Supercomputers namens Mother Brain. Mother Brain ist die höchste Instanz in dieser Welt und kümmert sich um alles: Vom Klima über die Regulierung der Bioflora bis hin zur Regierung. Doch in letzter Zeit tauchen immer mehr Biomonster (biologisch veränderte Tiere) auf. Aus diesem Grund macht sich der Protagonist Rolf auf, um herauszufinden, was die Ursache dieser Fehlfunktion im Mother Brain ist.

 

Begleitet wird er dabei von sieben anderen Charakteren, von denen aber nur Nei, eine weibliche Katzen-Humanoidin, eine große Rolle für die Geschichte spielt. Tatsächlich sind die anderen Charaktere sogar streng genommen optional – sie schließen sich Rolf nur an, wenn er an bestimmten Punkten im Spiel in sein Quartier zurückkehrt. Aus diesen Charakteren kann man sich eine Gruppe von vier Personen zusammenstellen. Dabei hat jeder Charakter Schwächen und Stärken und sogar eigene Fähigkeiten.

Grafisch ist das Spiel als erstes 16-Bit-RPG anderen Genrevertretern seiner Zeit natürlich meilenweit voraus. Besonders bemerkenswert sind die Charakterportraits im Anime-Stil, die auch in Zwischensequenzen öfters eingesetzt werden. Phantasy Star II ist auch eines der ersten Rollenspiele, das verschiedene Layer verwendet – so sieht man beispielsweise in einer Fabrik die Rohre über den Köpfen der Charaktere. (Davon wird allerdings so viel Gebrauch gemacht, das man Rolf beim Herumlaufen teils gar nicht mehr sieht.) Sehr beeindruckend sind wieder die animierten Gegner, die noch eine Spur lebendiger als im Vorgänger erscheinen. Auch musikalisch hat sich das Spiel weiterentwickelt: Wie beim Vorgänger hört sich die Musik sehr futuristisch an, aber es gibt auch einige sehr angenehme, beruhigende Stücke mit leichten Trance-Elementen.

 

Der First-Person-Blickwinkel wurde sowohl in den Dungeons als auch in den Kämpfen abgeschafft. Das Kampfsystem ist dem des ersten Teils sehr ähnlich, allerdings ein bisschen besser entwickelt. Auch nennenswert ist der Umstand, dass eine Art Auto-Funktion zur Verfügung steht: Man erteilt seinen Charakteren Befehle, und diese wiederholen sie jede Runde, bis man andere Befehle auswählen will. Das erhöht den Grad des Komforts ein wenig, denn so muss man nicht permanent auf die Tasten hämmern.

Dies ist besonders hilfreich, weil Phantasy Star II wohl eines der grindlastigsten Spiele aller Zeiten ist. Für 8-Bit-RPGs war es üblich, dass der Spieler etliche Kämpfe bestreiten muss, um eine Chance gegen bestimmte Gegner zu haben oder sich neue Ausrüstung zu kaufen. Phantasy Star II treibt das aber auf die Spitze. Es ist nicht unüblich, teilweise mehrere hundert Kämpfe zu kämpfen, bevor man gewappnet ist, einen neuen Dungeon zu betreten. Im Verlauf des ganzen Spiels kommt man so bestimmt auf mehr als zwei- oder dreitausend Kämpfe.

Auch wenn Phantasy Star II sich vom Dungeoncrawling des ersten Teils getrennt hat, sind die Dungeons immer noch kein Zuckerschlecken. Im Gegenteil: Fast jeder Dungeon ist gigantisch, verworren und mit zahlreichen Sackgassen und Schatztruhen gespickt. Es gibt einen Dungeon mit mehr als sechzig Teleportern, und einen, in dem man geschickt durch verschiedene Löcher in der Decke fallen muss, um zum Kern vorzudringen. Kein Wunder ist es also, dass dem Spiel Dungeonkarten beilagen – denn die sind dringend notwendig! Man kann es sich nämlich vor Allem später nicht leisten, ewig herumzuirren, denn sonst wird man schnell Monsterfutter.

 

Wie im Vorgänger gibt es wieder verschiedene Transportmöglichkeiten. Von Beginn an steht ein Teleportersystem in den Städten zur Verfügung, das man gegen ein kleines Entgelt nutzen kann, um sich in eine andere, bereits besuchte Stadt befördern zu lassen. Später verfügt man außerdem über eine Art Schiff. Ein Segen ist es, dass man sich durch Zauber jederzeit aus Dungeons warpen kann.

Eine der interessantesten Sachen am Spiel ist sicherlich das Setting. Phantasy Star II hat das SciFi-Setting des ersten Teils weiter ausgebaut und durch viele kreative Elemente erweitert, die teils eine dystopische oder zumindest sehr unbehagliche Atmosphäre erzeugen. Dass die Welt von einem Supercomputer regiert wird, ist eine Sache. Auch wenn es den Bewohnern augenscheinlich gut geht, ist die biologische Harmonie aber äußerst fragil und kann nur durch eine strikte Regulierung des Klimas und des Biosystems aufrecht erhalten werden – im Grunde genommen ist es eine postapokalyptische Welt. (Zur Erinnerung: Die nun grüne Welt Mota war im ersten Teil ein Wüstenplanet.) Aber dadurch, dass die Menschen nichts mehr selbst erledigen müssen, leben sie in einer extremen Abhängigkeit vom Mother Brain und sind nicht in der Lage, selbst Verantwortung zu tragen.

Phantasy Star II arbeitet viel mit Science-Fiction-Elementen, die jenseits von Fantasie-Laserwaffen und Robotern liegen. Statt seine Charaktere etwa durch eine Phönixfeder wiederzubeleben, werden sie hier in einem Klon-Labor geklont. Klingt nicht besonders angenehm, oder? Auch im Gegnerdesign spiegeln sich solche Elemente wieder. Fast alle Gegner im Spiel sind entweder Roboter oder biologisch mutierte Tiere, auch wenn viele Monster nicht danach aussehen. Nicht immer ist das appetitlich: So kann man gegen mutierte Hasenwesen kämpfen, deren Eingeweide ihnen im Kampf aus dem Leib fallen (!), aber die sie danach wieder unbeeindruckt zurückstopfen. (Das wiederholt sich in einer Endlosschleife.)

 

Aber kommen wir wieder zur Geschichte, denn auch die ist interessant. Zwar ist die Storydichte im Vergleich zur Spielzeit wieder recht niedrig, aber die Geschichte an sich ist trotzdem in vielerlei Hinsicht besonders. So ist Phantasy Star II eines der ersten Spiele, dessen Geschichte wirklich charaktergetrieben ist. Das heißt: Es geht nicht nur um einen Auftrag, den die Protagonisten erledigen müssen, sondern auch um deren Persönlichkeit. Im Hauptaugenmerk des Spiels steht eine Art Selbstfindungsreise des Protagonisten Rolf. Zwar äußerst minimalistisch umgesetzt, aber dafür hervorragend in die Handlung integriert. So ist Rolf anfangs ein normaler Bürger, der nach den Regeln des Systems lebt, aber je mehr er darüber erfährt, desto klarer wird für ihn, dass er sich gegen die Ordnung in dieser Welt auflehnen muss.

Einer der wichtigsten Momente in der Handlung ist der, in dem man die Wahrheit über Nei erfährt. Im Verlauf der Handlung trifft man auf ein Wesen namens Neifirst. Neifirst enthüllt, dass sowohl sie als auch Nei Hybriden einer Verbindung von Menschen und Biomonstern sind. Ihr Hass gegen die Menschheit hat Neifirst dazu getrieben, das Klima und die Biolaboratorien zu sabotieren. Das kann Nei nicht akzeptieren, und sie stellt sich Neifirst in einem Kampf. Doch diesen Kampf kann sie nicht gewinnen. Von Wut ergriffen gelingt es Rolf und den anderen, Neifirst zu erschlagen, aber sie können Neis Tod nicht mehr aufhalten. In einer letzten Szene verabschiedet sich Nei mit einigen letzten Worten von Rolf und bittet ihn, zu verhindern, dass jemals wieder Wesen wie sie geschaffen werden.

 

Danach gerät das System immer weiter außer Kontrolle. Eine große Flut steht bevor, die nur durch die Öffnung der vier Dämme verhindert werden kann. Währenddessen identifiziert das Mother Brain Rolf als Feind, und schickt auf der ganzen Welt Robotergegner aus, gegen die man fortan kämpfen muss. Schließlich landet die Gruppe sogar auf dem vereisten Nachbarplaneten Dezo, der sehr viel unwirtlicher als Mota erscheint.

Dort findet die Handlung ein Ende: Nach vielen Dungeons und besuchten Dörfern, in denen Wesen hausen, mit denen Rolf zuerst nicht kommunizieren kann, trifft die Gruppe auf den schlafenden Weisen Lutz, der daraufhin erwacht und Rolf erzählt, dass er der letzte Nachfahre von Alis ist. Ferner berichtet der von dem Raumschiff, das Mother Brain beherbergt.

Schließlich stellen sich Rolf und die anderen Mother Brain, aber müssen feststellen, dass hinter allem Dark Force, der finale Gegner aus dem ersten Phantasy Star, zu stecken scheint. Erst ihn und schließlich Mother Brain bezwingen sie. Damit sollte die Welt aus den Klauen des Supercomputers befreit worden sind. Doch bevor Rolf sich darüber freuen kann, alarmiert Lutz Rolf, dass noch weitere Lebewesen auf dem Raumschiff sind.

Im Raum hinter dem Schauplatz des letzten Kampfes findet Rolf schließlich eine große Gruppe von Menschen. Diese Menschen sind, wie sie enthüllen, die letzten Überlebenden vom Planeten Erde, auf dem nun kein Leben mehr möglich ist. Und sie sind diejenigen, die Mother Brain erschaffen haben, um für ihre eigenen Zwecke die Ressourcen des Algol-Sternensystems auszubeuten. Rolf und die anderen wissen, dass sie sich dieser Tyrannei nicht beugen können. Aber hier endet das Spiel – ohne ein eindeutiges Ende, aber mit einem eher pessimistisch anmutenden Abschlussmoment.

Mein Spielerlebnis

Die große Bedeutung von Phantasy Star II in der Geschichte der RPGs ist nicht abzustreiten. Das Setting ist ziemlich interessant, ebenso die Geschichte – vor Allem mit ihrer Wendung am Ende. Trotzdem ist gerade Phantasy Star II ein Spiel, das furchtbar gealtert ist.

Das liegt vor Allem an den extrem langen und komplexen Dungeons, dem hohen Schwierigkeitsgrad und der Notwendigkeit, massiv viel zu grinden. Das Kampfsystem ans ich ist gar nicht mal schlecht und ein einzelner Kampf geht recht schnell vonstatten. Aber dieser Reiz verliert sich, wenn man eine so abartig hohe Zahl an Kämpfen bestreiten muss, um in der Handlung voranschreiten zu können. Da hilft es auch nicht, dass die Story relativ dünn gestreut ist und die Spielzeit durch viele Dungeons gestreckt wird.

 

So sehr man dem Spiel die fortschrittliche Grafik zu Gute halten muss, sollte auch nicht unerwähnt bleiben, dass das Spiel massives Recycling betreibt. Deutlich mehr als alle anderen Spiele dieser Zeit, die ich kenne. Für alle Dungeons im Spiel gibt es nur eine paar verschiedene Paletten. Durch dieselbe Art von Fabrikgebäude läuft man immer wieder, und wenn man Glück hat, bekommt man das Ganze mal in einem anderen Farbton serviert. Sobald man in Dezo angekommen ist, kommt ein bisschen mehr Vielfalt dazu. Aber auch bei den Monstern wird viel recyclet, was allerdings auch andere Spiele tun. (Gerade die mechanischen Gegner sehen aber trotzdem immer beeindruckend aus.) Sogar zwei Charaktere aus der eigenen Gruppe haben die gleichen Charaktermodelle!

Auf den ersten Blick erscheint Phantasy Star II beeindruckend. Aber es lebt nach dem Prinzip „mehr ist besser“. Damals war es das vielleicht. Aber heute kann man damit niemanden mehr locken. Es erfordert sehr viel Geduld und Frustrationstoleranz, sich durch das Spiel zu kämpfen. Und es gibt auch einige Geheimnisse, die man selbst nur sehr schwer entdeckt. So gibt es zum Beispiel ein Item, mit dem man jederzeit speichern kann, nicht nur in Städten. Aber dieses Item bekommt man nur über Wege, die der Durchschnittsspieler niemals entdecken würde.

Fazit: Phantasy Star II bietet ein spannendes Setting und eine interessante Geschichte, die allerdings sehr minimalistisch umgesetzt wurde. Aber es bietet auch etliche Stunden des Grindens. Viele, viele, viele Kämpfe gilt es zu gewinnen, bevor man das Ende erblicken kann. Das kann man heute keinem Spieler mehr zumuten. Damals war Phantasy Star II ein großartiges Spiel, aber im Laufe der Zeit hat es seine Spielbarkeit verloren.

Vermächtnis

Phantasy Star II war Vorläufer in vielerlei Hinsicht. Es war das erste 16-Bit-RPG und hat gezeigt, was ein RPG grafisch und vom Umfang mit verbesserter Technik so bieten kann. Aber nicht nur durch die neuere Technologie wird das Spiel definiert.

Das Setting von Phantasy Star II ist einzigartig und äußerst spannend. Die Geschichte setzt sich das erste Mal mit der Selbstfindungsreise eines Charakters auseinander, hat einen dramatischen Todesmomente und ein sehr unerwartetes und unkonventionelles Ende, das das typische Alien-Invasions-Setting umkehrt: Hier sind wir, die Erdbewohner, die Antagonisten. Auch wenn ich persönlich finde, dass Final Fantasy II im Storytelling noch ein Stück fortgeschrittener war als Phantasy Star II, kann ich doch nicht abstreiten, dass sich in diesem Spiel die ungewöhnlicheren Ideen finden.

 

Phantasy Star II hat außerdem – damals ungewöhnlich – acht spielbare Charaktere, die man nach belieben austauschen kann. Jeder Charakter hat individuelle Fähigkeiten und persönliche Spezialgebiete und Ausrüstungsgegenstände. Das Kampfsystem ist immer noch nicht sonderlich interessant, bietet aber mehr spielerische Tiefe als die meisten anderen Kampfsysteme dieser Zeit, da beispielsweise ein damals recht komplexes Stärke-Schwäche-System genutzt wird.

Nach dem Release erlangte das Spiel schnell einen hohen Bekanntheitsgrad und begeisterte seinerzeit die Spieler und Kritiker. Durch verschiedene Ports und Collections kann man das Spiel heute auf vielen System genießen (u.A. Sega Saturn, GBA, PSP digital via Virtual Konsole und Xbox Live Arcade), und 2005 gab es sogar ein aufwändiges PS2-Remake namens Phantasy Star Generation 2. In acht Episoden erschien außerdem noch ein „Phantasy Star II Text Adventure“ für ein Zusazumodul des Sega Mega Drive.

 

Trivia
  • Durch die Lokalisierung gingen einige Informationen verloren: So hieß Lutz im Original Noah – ebenso wie ein Spielercharakter aus dem ersten Phantasy Star, dem der Noah im zweiten Teil auch sehr ähnelt
  • An Gemeinheit kaum zu überbieten: In einem Dungeon muss man ein Klavier aufsuchen. Spricht man das Klavier an, wird man aber herausteleportiert und darf den ganzen Weg nochmal laufen! Stattdessen muss man einen bestimmen Skill vor dem Klavier verwenden.
  • Auch wenn das Ende von Phantasy Star II offen gelassen wird, knüpft Phantasy Star IV an diese Ereignisse an, wodurch man einen klareren Blick auf den Ausgang erhält.
  • Die homosexuelle Orientierung eines Musiklehrers im Spiel wurde in der westlichen Version abgeändert. Statt zu den Männern „He looks cute“ zu sagen, heißt es im Westen „He looks smart“.
Ausblick

Erst heute habe ich gemerkt, dass der Chronologie zufolge als nächstes Earthbound anstehen müsste. Da ich das Spiel aber noch gar nicht angerührt habe, müsst ihr euch noch ein bisschen länger gedulden, schätze ich. Aber keine Angst, es bleibt interessant, denn wir werden den Blick auf den Ursprung einer sehr langen und in vielerlei Hinsicht experimentellen Serie werfen: SaGa. Mit Makai Toushi SaGa aka The Final Fantasy Legend werden wir auch zum ersten mal ein Handheld-Spiel behandeln, und ich kann euch jetzt schon sagen, dass es sich um ein ausgesprochen seltsames, aber interessantes Spiel handelt.