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Angeschaut! Tränen der Erinnerung – Only Yesterday

1991 kam Isao Takahatas zweiter Ghibli-Film Tränen der Erinnerung – Only Yesterday (jap. Omohide Poroporo) in die japanischen Kinos. Hayao Miyazaki selbst war bei diesem Film der Produzent, eine Rolle, die ihm schwer zu schaffen machte. Denn jeder, der Takahata kennt, weiß, dass seine Filme dafür berüchtigt sind, viel mehr Zeit und Budget zu verschlingen als ursprünglich angedacht war.

Traenen_der_Erinnerung__Only_Yesterday_BD_Bluray_Szenenbilder_05.72dpiDoch als Miyazaki die Manga-Vorlage zu Only Yesterday sah, wusste er: Das ist ein Werk, das nur Takahata umsetzen kann. Denn Takahata versteht es wie kein anderer, Menschlichkeit in seinen Werken zu vermitteln. Und das ist letztlich das zentrale Thema eines Alltagsfilms. Das beidseitige Vertrauen der beiden ist aber offensichtlich: Während Miyazaki sich in Takahatas kreative Arbeit nicht einmischte, behauptete Takahata, dass Miyazaki überhaupt der Grund gewesen sei, weshalb der Film überhaupt zustande kam:

„Hätte Miyazaki den Film nicht produziert, hätte ich ihn nie machen können. Der Film hat ja keine Action, die Handlung ist auch sehr ’normal‘. Man machte sich Sorgen, ob der Film ankommt. Ein Anime über eine 27-jährige, ganz normale Frau? Der nicht besonders dramatisch und daher kaum erfolgversprechend ist? Alle dachten, so etwas könne man nicht als Anime umsetzen. Das sei vom Thema her viel zu ’normal‘. Aber wenn Miyazaki ihn produziert, muss es ja gehen, dachten sie. Und so konnte ich den Film dann machen. Dann haben sie mir Geld bewilligt. Das war natürlich ein Risiko… Ich muss aber ganz klar sagen: Ohne Miyazaki hätte ich den Film nie machen können.“

Seit Dezember ist die Blu-ray-Fassung durch Universum Anime auch in Deutschland erhältlich. Im Folgenden werfen wir einen Blick auf den Inhalt des Films, die Qualität der Blu-ray-Umsetzung und das Bonusmaterial.

Der Film

Die Handlung des Films spielt abwechselnd in den Jahren 1982 und 1966. Taeko, eine 27-jährige, unverheiratete Bürofrau aus Tokio, fährt in den Ferien hinaus aufs Land, um dort auf einem Färberdistelbetrieb zu arbeiten. Während dieser Reise erinnert sie sich an ihre Zeit in der fünften Klasse. Etwa ein Drittel des Films ist aus der Perspektive ihres Grundschüler-Ichs erzählt.

Traenen_der_Erinnerung__Only_Yesterday_BD_Bluray_Szenenbilder_04.72dpiTaeko ist nicht unglücklich mit ihrem Bürojob. Sie mag ihn sogar, aber sie merkt, dass er sie nicht erfüllt. Auf dem Land trifft sie den jungen Landwirt Toshio, ein Ökobauer, der seine Arbeit mit großer Leidenschaft ausübt und Taeko bisweilen besser zu verstehen scheint als sie es selbst tut.

Immer wieder macht die Handlung einen Abstecher in die Vergangenheit. Takeo erinnert sich an die langweiligen Sommerferien in diesem Jahr, an einen Streit mit ihrer Schwester, und das erste und einzige Mal, als ihr Vater sie geschlagen hat. An das erste Liebesgeständnis, das ihr gemacht wurde. An den Tag, an dem ihr Vater eine Ananas nach Hause brachte – eine damals in Japan noch wenig verbreitete Frucht. Als Kind war sie gut im Schreiben und schlecht in Mathe; mochte Milch, aber keine Bohnensprossen.

An diese Dinge erinnert sich Taeko nach und nach, während sie in der Gegenwart eine gewisse Selbstfindungsphase durchmacht. Man merkt, dass gewisse Ereignisse aus ihrer Kindheit sie noch immer spürbar prägen. Während sie mehr und mehr über das Landleben und die Menschen um sich herum erfährt, beginnt sie auch, sich selbst besser zu verstehen.

Auffällig am Zeichenstil ist, dass die Charaktere echten Menschen nachempfunden sind. Sie wirken weniger makellos, weniger niedlich als gewöhnliche Anime-Charaktere. Die Gesichtsmuskulatur ist beim Sprechen betonter, die Mimik authentischer. Diese Art der Darstellung hat Takahata ganz bewusst für eine so alltägliche Geschichte gewählt, und es ist der erste Anime, der überhaupt diesen Weg ging – und bis heute einer der wenigen.

Traenen_der_Erinnerung__Only_Yesterday_BD_Bluray_Szenenbilder_03.72dpiDiese Detailverliebtheit findet man auch in den Hintergründen. Für Only Yesterday ließ Takahata eine Rekordzahl von Farben anmischen, ein Vielfaches der Menge der Farben einer durchschnittlichen TV-Serie damals – das war natürlich noch bevor die digitale Kolorierung in der Anime-Industrie verbreitet war. Mit einem Teil des Teams besuchte Takahata einen Färberdistelbetrieb, damit die Zeichner und anderen Künstler die Pflanzen und die Umgebung so detailgetreu wie möglich reproduzieren konnten. Das merkt man dem Film spürbar an.

Wie kein zweiter Film schafft es Only Yesterday, alltägliche Situationen realistisch, mit viel Feingefühl und doch akzentuiert darzustellen. Die Mimik und Gestik der Figuren, die Position der Kamera, die Dauer der einzelnen Cuts, die Art der Situationen. Während sich die meisten Animes bemühen, phantastisch, lustig, übernatürlich oder dramatisch zu sein, konzentriert sich Only Yesterday auf das Leben einer ganz normalen Frau. Gerade deshalb bietet Taeko so viel Identifikationspotential.
Ich mochte Only Yesterday bereits, als ich ihn vor einigen Jahren das erste Mal gesehen habe. Doch heute bin ich in einer ähnlichen Situation wie sie, bin auch jemand, der seine Arbeit nicht hasst, aber auch nicht durch sie erfüllt wird; der gern den ganzen Tag mit Leib und Seele einer Tätigkeit nachgehen würde, in der er einen tieferen Sinn sieht. Aus diesem Grund eröffneten sich mir diesmal noch ganz andere Facetten. Doch egal ob Kind, Jugendlicher oder Erwachsener: einige Situationen im Film werden jedem bekannt vorkommen.

Die deutsche Veröffentlichung

Die deutsche Sprachfassung ist insgesamt recht ordentlich, erreicht allerdings nicht das Niveau der bestvertonten Ghibli-Filme. Ein Problem sind die vielen Kinder, die in den Vergangenheitsszenen vorkommen, denn viele davon klingen zum einen wenig authentisch, zum anderen wirken auch die Dialoge nicht immer natürlich. Die erwachsenen Charaktere hingegen, darunter Taeko und Toshio, sind größtenteils gut und glaubwürdig umgesetzt und vor allen Dingen passend vertont worden.

Traenen_der_Erinnerung__Only_Yesterday_BD_Bluray_888751026896_2D.72dpiAls Untertitel stehen leider nur Dubtitles zur Verfügung. Das ist schade, denn wenn man die japanische Sprachfassung schaut, fallen einem kulturelle Anpassungen der deutschen Version auf, die in die Untertitel übernommen wurden, aber nicht zum japanischen Ton passen. Ein Beispiel: Die Kinder spielen in der Klasse ein Spiel, beziehungsweise singen ein Lied, das in der deutschen Vertonung mit „A B C, die Katze lief im Schnee“ lokalisiert wurde. Das ist mit deutscher Sprachausgabe soweit nicht unpassend, aber schaut man sich die japanische Fassung mit Untertiteln an, singen die Kinder ein eindeutig japanisches Volkslied, das weder inhaltlich noch von der Melodie zu „A B C, die Katze lief im Schnee“ passt.

Diese Kritik trifft letztlich aber nur auf einen kleinen Teil der Lokalisierung zu; die Übersetzung ist insgesamt durchaus gelungen, und auch mit Dubtitles kann man sich den Film wunderbar ansehen.

Das remasterte Bild ist, wie für Ghibli-Filme üblich, sehr aufwendig restauriert worden, weshalb das Material auch in Full-HD-Auflösung fantastisch aussieht. Dank des Aufwands, der damals in die Produktion gesteckt wurde, ist Only Yesterday – anders als die meisten anderen Animes aus dieser Zeit – auch optisch gut gealtert.

Neben den üblichen Originaltrailern, Trailern zu anderen Ghibli-Filmen und den Storyboards zum Film glänzt das Bonusmaterial besonders durch das 47-minütige Making-of, das sehr, sehr viele spannende und aufschlussreiche Hintergrundinformationen liefert. Nicht nur zur Produktion von Only Yesterday selbst, zu der es viel originales Filmmaterial gibt, sondern auch zu den älteren Werken Miyazakis und Takahatas, darunter Prä-Ghibli-Werke, zu denen man sonst nur wenig Material findet. Dem Film liegen außerdem wie üblich Postkarten mit Ghibli-Motiven bei.

Fazit

Only Yesterday ist ein äußerst persönliches Doppelportrait: das eines Mädchens aus dem Jahr 1966, und das einer jungen Frau aus dem Jahr 1982, meisterhaft umgesetzt durch die feinfühlige Regie Isao Takahatas, der es wie kein anderer versteht, das Magische am Alltagsleben bedeutungsvoll hervorzuheben. Only Yesterday ist der wohl unterschätzteste Ghibli-Film, und einer der aufmerksamsten und besten Alltagsfilme überhaupt. Mit der Blu-ray-Version liegt uns die beste Fassung vor, die wir hierzulande jemals bekommen werden. Für Only Yesterday gibt es also eine klare Kaufempfehlung von uns.