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Angeschaut! Paranoia Agent

Mehr als fünf Jahre sind seit dem unerwarteten Tod Satoshi Kons im Jahr 2010 mittlerweile vergangen. Er war ein Großmeister der psychologischen Erzählkunst, des Surrealen und der Vermischung von Traum und Realität. Sein Erbe ist trotz seiner kurzen Schaffensperiode legendär. Perfect Blue, Paprika, Tokyo Godfathers, Millennium Actress und das unvollendete Yume Miru Kikai (The Dreaming Machine) – das sind die Filme, für die er verantwortlich ist. Doch heute wollen wir einen Blick auf die einzige Serie werfen, die er erschuf: Paranoia Agent.

Satoshi Kons Kaleidoskop der Angst

Straßen voller Autos. Menschenmassen. Verkehrslärm. Baustellenkrach. Klingelnde Handys. Telefonierende Krawattenträger, schwitzende Menschen. „Es tut mir leid, ich hab heute wirklich keine Zeit.“ – „Ich hab so viel Arbeit, ich weiß gar nicht mehr, wohin damit.“ – „Was zu viel ist, ist zu viel. Ich kann das nicht mehr ertragen.“ – „Was soll ich denn tun?“

So beginnt Paranoia Agent, und dieser Anfang ist bereits ein recht aussagekräftiges Portrait des Themas der Serie. Dieses Thema war und ist in Japan von besonderer Relevanz: Gesellschaftliche Erwartungen, Leistungsdruck, Überstunden, Stress, zu wenig Zeit, zu viel zu tun.

Paranoia Agent Screenshot 3Die Geschichte beginnt damit, dass die unerwartet zu Ruhm gekommene Designerin Tsukiko Sagi mit den neuen Erwartungen, die an sie gestellt werden, nicht umgehen kann. Ihr Design der Plüschfigur „Maromi“ ist schlagartig ein Bestseller geworden, und nun will ihr Arbeitgeber einen Nachfolger. Und zwar bald.

Die Ereignisse folgen Schlag auf Schlag, Tsukikos Stress und Frust stauen sich weiter auf und eines Abends auf dem Weg nach Hause wird sie Opfer eines Angriffs: ein Junge auf Inlineskates knüppelt sie mit einem goldenen Baseballschläger nieder.

Doch das ist nur der Beginn einer Reihe von Serienangriffen. Jede neue Folge ist aus einer anderen Perspektive erzählt, aus der Sicht eines anderen auf irgendeine Weise von der Gesellschaft gequälten Menschen – ein Journalist, ein Schuljunge, ein Callgirl mit zwei Persönlichkeiten, ein Mann aus der Anime-Industrie und drei grundverschiedene Menschen, die gemeinsam Selbstmord begehen wollen, um ein paar zu nennen.

Die zunächst realistisch gehaltene Geschichte gleitet jedoch nach und nach stärker in surreale Gefilde hinüber, von denen der „Shounen Bat“, wie der Angreifer genannt wird, nur der Anfang ist. Es werden mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet, doch jede Folge bietet neue Erkenntnisse. Nicht immer über die eigentliche Auflösung der Geschichte, sondern über das, was die Menschen in der Gesellschaft bedrängt – Verlustängste, Identitätskrisen, Leistungsdruck und dergleichen mehr.

Obwohl die einzelnen Handlungsstränge zunächst nur durch den Angreifer verbunden sind, sorgen zwei Ermittler für eine gewisse Kontinuität in der Geschichte. Durch ihre Augen werden die Geheimnisse, die mit zunehmender Zeit immer bedrohlichere Ausmaße erreichen, nach und nach erforscht.

Paranoia Agent Screenshot 1Paranoia Agent ist aus emotionaler Sicht weit weniger dicht als andere Werke Satoshi Kons. Zu kurz hat man mit den einzelnen Charakteren zu tun, um wirklich mit ihnen mitzufühlen, und auch die Auflösung wirkt nicht vollständig plausibel.

Was Paranoia Agent aber meisterhaft gelingt, ist das Aufbauen einer mysteriösen Atmosphäre, einer bedrohlichen Aura des Unwohlseins. Die realitätsnahen Figuren, die sehr menschlichen Dialoge, die surrealen Elemente, die spärlich vorhandene, aber tongebende Musik Susumu Hirasawas (Millennium Actress, Berserk) und die einzigartige Regie Satoshi Kons greifen perfekt ineinander, um die Themen, die der Anime behandelt, interessant zu verpacken und ein Erlebnis zu schaffen, das es so nur einmal gibt.

Dabei geht es nicht darum, dass jedes Element „Sinn“ macht: Das Opening, das Ending und jede Vorschau auf die nächste Episode sind stimmungsmäßig einmalig, gewissermaßen sogar poetisch, und sicherlich nicht ohne Gedanken an den Inhalt entstanden. Wer Paranoia Agent schaut, muss sich aber von dem Gedanken verabschieden, dass es auf alle Fragen eine klare Antwort gibt. Vielmehr sind es Ausschnitte, Konzepte und einzelne Charaktermomente, die die Substanz der Serie ausmachen.
Doch das reicht völlig aus, um die Serie sehenswert zu machen. Das Episodenformat sorgt dafür, dass das Pacing definitiv ein anderes ist als in Kons Filmen, aber das macht die Serie auf eine andere Weise interessant. Paranoia Agent ist ein verstörendes, unbehagliches, künstlerisch ansprechendes Gesamterlebnis, das – da besteht kein Zweifel – wie Perfect Blue und Paprika sicherlich nicht jeden ansprechen wird. Kein Zweifel besteht jedoch daran, dass Paranoia Agent das Medium Anime enorm bereichert und in dieser Form auch niemals nachgeahmt werden kann.

Die deutsche Veröffentlichung

Paranoia Agent Screenshot 4Die ursprüngliche deutsche Fassung von Paranoia Agent wurde im Jahr 2006 von Anime Virtual auf DVD veröffentlicht. Neu beim aktuellen Re-Release von Kazé ist, dass es diesmal auch eine Blu-ray-Version mit remastertem Bildmaterial gibt. Das macht sich deutlich bemerkbar, da es durchaus aufwändigere Restaurierungen gibt. Die gelegentliche Kantenunschärfe fällt nicht stark auf, aber man bemerkt sie natürlich schon.

Die deutsche Vertonung verdient großes Lob, denn viele der Hauptpersonen sind exzellent vertont. Dass in Anime-Synchronisationen ältere Charaktere tendenziell besser und authentischer vertont werden, ist kein Geheimnis. Das ist auch hier der Fall, was nicht heißt, dass jüngere Charaktere nicht gelegentlich auch sehr gut vertont sind. Was besonders auffällt, sind aber die Sprecherleistungen der beiden Kommissare, des unsympathischen Journalisten, des verrückten alten Mannes, des Callgirls und so weiter. Die Sprecher schaffen es wunderbar, bei einer so hohen Anzahl unterschiedlicher Charaktere gelungene Akzente zu setzen. Auch das deutsche Skript und die Dialogregie sind vorbildlich: Die Sprache klingt fast immer natürlich, bleibt aber dennoch relativ nah am japanischen Text.

Paranoia Agent PackshotWas nicht so gut gelingt, ist die Aussprache japanischer Namen. Der Laie merkt dies möglicherweise nicht, aber jemandem, der ein bisschen Hörerfahrung hat, fällt schnell auf, dass Begriffe wie „Shounen Bat“ und einige japanische Namen nicht sehr japanisch ausgesprochen werden.

Die Untertitel sind erfreulicherweise keine Dubtitles, und wer sie parallel zur deutschen Sprachfassung laufen lässt, wird feststellen, dass beide Versionen den Inhalt sehr gut wiedergeben. Wie für Kazé üblich sind die Untertitel in gelber Farbe mit schwarzem Rand, und in der Blu-ray-Fassung natürlich etwas ansehnlicher.

Verpackt ist die Serie in zwei separaten Amaray-Hüllen, die wiederum in einem stabilen Pappschuber stecken. Auf dem Pappschuber befindet sich kein FSK-Logo, auf den Amarays jedoch schon. Die besitzen aber ein Wendecover mit einem anderen Motiv und ohne FSK-Logo.

Das Design der Verpackung passt mit seinem stimmungsvollen Rot, den Scanlines und dem Motiv perfekt zum Anime und spiegelt dessen unbehagliche Atmosphäre hervorragend wieder. Das trifft auch auf die beiliegenden Postkarten zu, die von der Silhouette Shounen Bats, dem verängstigten Gesicht einer Frau und weiteren verstörenden Motiven verziert werden. Postkarten für jede Gelegenheit also!

Außerdem mit dabei: ein kurzer Episodenguide und ein gefaltetes Poster in A3-Größe (jedoch etwas schmaler) mit dem Motiv des Covers.

Fazit

Unterm Strich handelt es sich bei Paranoia Agent, Satoshi Kons „Kaleidoskop der Angst“, definitiv um eine einzigartige, zeitlose, unbedingt sehenswerte Anime-Serie, die besonders auf psychologischer und atmosphärischer Ebene punkten kann. Die deutsche Fassung ist uneingeschränkt empfehlenswert und bei der aktuellen Blu-ray-Version handelt es sich auch ohne nennenswertes Bonusmaterial um eine hervorragende Veröffentlichung. Also: Absolute Kaufempfehlung!