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Im Test! Pillars of Eternity

Pillars of Eternity – ein durchaus passender Titel für ein Spiel, das für den Entwickler Obsidian Entertainment einen letzten Hoffnungsschimmer darstellte und somit quasi als letzte Stütze vor der endgültigen Schließung diente. Über 77.000 finanzielle Unterstützer sorgten aber letztendlich für die Veröffentlichung des Rollenspiels über Paradox Interactive via Kickstarter.

Baldur’s Gate, Icewind Dale und Planescape: Torment werden bei der Vorstellung von Pillars of Eternity als Inspirationsquellen genannt. Was aber ist Pillars of Eternity tatsächlich – ein strikter Klon eines vermeintlich ausgestorbenen Genres oder ein Titel als Hommage an alte Klassiker, der nichtsdestotrotz eine eigene Atmosphäre ausstrahlt? Lest weiter und erfahrt, ob die Pfeiler ihres Titels würdig sind oder das ganze Werk bereits jetzt marode ist.

Was geht hier wohl vor?
Was geht hier wohl vor?

Der Lehnsherr des Örtchens Goldtal bietet Siedlern, die einen Neuanfang in ihrem Leben anstreben, Arbeit und Bleibe. Diesem Gesuch folgend, schließt ihr euch einer Karawane an, denn gemeinsam lässt sich eine Reise selbstverständlich besser bewältigen. Spätestens, als ihr krank werdet und durch die Einflüsse der Umwelt Halt machen müsst, seid ihr froh, dass ihr nicht auf euch allein gestellt seid.

„Anekdoten verleihen Charme und Atmosphäre, wie man es heutzutage selten findet“

Eure Suche nach einem Schmerzmittel bei der Rast mündet schließlich aber in einen Überfall durch Einheimische, die euer Eindringen als Angriff empfinden. Die gesamte Karawane fällt beim Angriff, nur ihr könnt mit wenigen Gefährten dank einer göttlichen Fügung in eine Ruine entkommen.

Nach Strapazen wie altertümlichen Fallen und abartigem Getier werdet ihr Zeuge eines okkulten Rituals, bei dem unglücklicherweise eure Begleiter einschließlich scheinbar auch euch der Tod erwartet – bis ihr plötzlich wieder Leben in euch spürt und selbst nicht mehr genau wisst, ob ihr doch nicht tot seid.

Insgesamt ist die Atmosphäre düster und makaber in Pillars of Eternity. Es wird kein Blatt vor den Mund genommen und nur zu oft erspäht man Überreste von Menschen. Neben der Hauptquest, die sich mitunter mit euch als Wächter und eurer Wiedererweckung beschäftigt, warten zahlreiche Nebenquests auf euch, deren Verlauf und Ergebnis ganz in eurer Hand liegen. Weiterhin interessant ist, dass Kickstarter-Unterstützer einer bestimmten Stufe eigene NPCs in das Abenteuer einbringen durften, in deren Seele man als Wächter blicken kann. Die dadurch eröffneten Anekdoten haben zwar keinen Mehrwert für die eigentliche Handlung, nichtsdestotrotz verleihen diese Atmosphäre und Charme in Pillars of Eternity – ein Umstand, der sich heutzutage viel zu selten bei Videospielen finden lässt.

Ohnehin ist Atmosphäre ein gutes Stichwort. In über zehn Jahren hat sich in der Videospielgeschichte einiges in Sachen Grafik getan. Sicherlich wäre auch ein Grafikstil in der etwaigen Art von Baldur’s Gate als Hommage charmant gewesen, allerdings auch nicht mehr wirklich zeitgemäß. Eine zu starke Verbesserung der Grafik hätte allerdings zur Folge gehabt, dass man die Widmung an das angestrebte Genre gar nicht mehr erkennen würde. Obsidian Entertainment hat einen guten Zwischenweg bei der Präsentation von Pillars of Eternity gefunden.

So ist das Spiel grafisch verständlicherweise nicht auf dem Stand einer AAA-Produktion, aber nichtsdestotrotz bei weitem fortschrittlicher als bei seinen spirituellen Vorfahren. Wie üblich bei Vertretern seiner Art, erlebt man das Rollenspiel aus einer isometrischen Perspektive. So wie die Handlung durch dunkle Akzente Atmosphäre schafft, so sehr verstärkt die Präsentation eben diese Wirkung.

Ganze Häuser wollen von euch erkundet werden.
Ganze Häuser wollen von euch erkundet werden.

Dabei merkt man den Entwicklern ihre Detailverliebtheit an. Wenn etwa Gehenkte an Bäumen baumeln oder dichte Nebelschwaden die Sicht erschweren, fühlt man sich selbst in der Spielwelt gefangen. Teure CG-Filme wird man in Pillars of Eternity nicht zu Gesicht bekommen, allerdings werden actionreiche Szenen nicht weniger spannend erzählt. Für diese wechselt man in die Ansicht eines zweifarbigen Buches, eine Seite zeigt die Handlungen in Schrift, die andere in Bild. Man mag es zuerst nicht glauben, aber diese einfache Art der Erzählung vermag es in ihrer Form, Handlungen spannender zu erzählen als manche Zwischensequenz, die alles vorkaut.

Die musikalische Untermalung fügt sich tadellos in das Gesamtgeschehen ein. Dies bedeutet an sich zwar nicht, dass die Musikstücke auf ewig im Ohr verbleiben, jedoch unterstützen sie die übrigen Pfeiler des Spiels ungemein in ihrer Wirkung. Sehr oft wird mit natürlichen Tönen gearbeitet wie etwa Vogelgezwitscher im Wald oder knisterndes Kaminfeuer in Wohnhäuser, was der Atmosphäre weiter zugute kommt.

Auch im Gefecht kracht es richtig und adäquat. Die Stimmen der facettenreichen Charaktere bilden in dieser Hinsicht die Glasur auf dem ganz großen Kuchen. Gesprochen wird dabei hauptsächlich Englisch. Die wichtigen Gespräche der Haupthandlung sind gänzlich vertont, ebenso wie einige weitere Dialoge.

Euer Protagonist sowie eure selbsterstellten Abenteurer haben während des Handlungsverlaufs nie etwas zu sagen, dennoch können sie für das Abenteuer mit einem Stimmenset ausgestattet werden, welches vom stoischen Kämpfer bis zum streitlustigen Ganoven reicht. Die verfügbare Auswahl stellt an sich zufrieden, mehr Sets hätten aber auch nicht geschadet.

Ein zweischneidiges Schwert ist die umfangreiche Lokalisierung des Spiels. Diese umfasst gleich mehrere Sprachen, darunter auch Deutsch – nicht selbstverständlich für ein Kickstarter-Projekt. Im Gesamtbild ist die Übersetzung grammatikalisch durchwachsen, da doch Fehler aufzufinden sind. Sprachlich sticht der lokalisierte Text allerdings sehr positiv hervor.

Insgesamt ist der Sprachstil im mittelalterlichen Flair gehalten, der sich überzeugend liest. Durch verschiedene Dialekte werden auch verschiedene Kulturen lebendig herübergebracht. Im Großen und Ganzen zeigt sich die Lokalisierung auch durch ihre Fehler hindurch positiv, zumal sie nicht dem sterilen Standard entspricht.

„Sechs Rassen und elf Klassen stehen zur Auswahl – frei kombinierbar“

Doch wie spielt sich Pillars of Eternity als Vertreter des nahezu vergessenen Genres der westlichen Rollenspiele, die an die von BioWare entwickelte Infinity Engine anlehnen? Ein großer Part zu Beginn des Spiels ist die Charaktererstellung. Wie in den spirituellen Vorgängern wird in Pillars of Eternity eine enorme Vielfalt geboten und durch originelle Eigenheiten verfeinert.

Zahlreiche Möglichkeiten.
Zahlreiche Möglichkeiten.

Grundlegend verfügt ihr über die Auswahl von sechs Rassen und elf Klassen, die sich beliebig miteinander kombinieren lassen. Das ist aber längst noch nicht genug. Die teilweise vollkommen neu interpretierten Völker und Berufe bieten allesamt mehrere Ausrichtungen, die sich nicht nur optisch, sondern auch auf die Werte auswirken.

So könnt ihr etwa einen den Na’vi im Film Avatar ähnelnden Küsten-Aumaua als Priester erstellen oder etwa in die Haut eines Magiers schlüpfen, der auf den ersten Blick den abartigen Tod-Gottähnlichen angehört, die aufgrund schlechten Omens meist direkt nach ihrer Geburt umgebracht werden.

Eure Kultur gehört ebenso wie die Zuordnung von Attributs- und Fähigkeitspunkten zur Person eures Charakters. Im Verlauf eures Abenteuers werdet ihr auch auf Personen treffen, die sich euch aus unterschiedlichen Gründen anschließen möchten. Bei diesen Charakteren handelt es sich um vorgefertigte Figuren, die jeweils sogar mit einem eigenen kleinen Handlungsbogen ausgestattet sind.

Sollten euch die vorgegebenen Gruppenmitglieder nicht gefallen, könnt ihr euch auch eure gesamte Truppe aus bis zu sechs Mitgliedern nach euren Wünschen zusammenstellen. Dabei braucht ihr euch auch nicht davor fürchten, euch irgendwie festlegen zu müssen, denn inaktive Gruppenmitglieder verweilen in Gasthäusern und warten geduldig auf euch.

Auf dem oft weitreichenden oder aber verwinkelten Gelände könnt ihr eure Figuren einzeln oder auch als Gruppe in Point’n’Click-Manier in Bewegung setzen. Dabei läuft ihr nicht einfach nur durch die Gegend, sondern könnt, wenn ihr denn wollt, Kräuter für die Verbesserung von Ausrüstung oder das Zusammenstellen von Tränken und Speisen sammeln, Schätze auf eigene Gefahr erkunden oder euch auch mit Personen unterhalten.

Eine große Anzahl von diesen Gesprächspartnern ist kommunikativer als das geringe Fußvolk. Diese werden euch in Gespräche verwickeln und Antworten fordern. Durch alle eure Attribute, die euch als Charakter ausmachen, werden sich euch bestimmte Antwortmöglichkeiten eröffnen, andere jedoch verschlossen lassen. Diese Entscheidungen beeinflussen auch, wie ihr wahrgenommen werdet, was euch auch grübeln lässt und auch zum mehrfachen Spielen animiert.

Ebenfalls ein neues Element für das Genre ist die Festung. Diese ist nicht nur Dreh- und Angelpunkt eurer Abenteuer, sondern lässt auch – selbstverständlich mit entsprechendem Aufwand – verbessern. Dies mag sich zwar nach dem typischen Free-to-Play-Prinzip anhören, ist ein solches Spielelement aber erst einmal in einem Rollenspiel dieser Art implementiert, merkt man, wie gut dieses harmoniert.

„Im Kampf braucht ihr eine große Portion an taktischem Geschick“

Bei den ganzen Neuerungen zeigt Obsidian Entertainment aber auch Mut. So wurde die teilweise stark veraltete Bildschirmoberfläche insgesamt zugänglicher gemacht, sodass neue Spieler sowie alte Hasen viel schneller im Menü dorthin finden, wohin sie wollen.

Kämpfe sind sehr taktisch.
Kämpfe sind sehr taktisch.

Trotz aller großen Reden und in Anbetracht aller Vorsicht werdet ihr nicht um Kämpfe herum kommen. Gemäß den Standardeinstellungen pausiert das Spiel zu Kampfbeginn. Während dieser Pause könnt ihr jedem Mitglied eurer Truppe Befehle erteilen. Dabei reicht es nicht aus, wenn ihr einfach nur auf eure Widersacher einprügelt. Vielmehr benötigt ihr eine große Portion an taktischem Geschick.

So ist es ratsam, vorab etwa durch Formationen eine Vorhut zu bilden, die eingehenden Schaden formidabel abfangen kann, während ihr erst später mit verteidigungsschwachen Nahkämpfern zulangt und Magier und Schützen ideal positioniert. Gerade die Positionierung und der Einsatz von Zaubern stellen eine taktische Komponente dar, die genauestens bedacht werden muss, schließlich wollt ihr nicht auch eure Verbündeten mit den Zaubern treffen, deren Einsatz bis zur nächsten Rast limitiert ist.

Im ganzen Trubel kann es natürlich vorkommen, dass man vom Feind getroffen wird. In diesem Fall muss darauf geachtet werden, dass eure Figuren jeweils zwei Lebensanzeigen haben – eine kurzfristige Ausdauer, die sich zwischen Kämpfen schnell regeneriert, und eine tatsächliche Anzeige für Gesundheit, die sich hauptsächlich erst durch eine Rast erneuert. Erst wenn letztere Anzeige leer ist, stirbt ein Charakter seinen endgültigen Tod – oder ist diesem sehr nahe. Zur Vertiefung der taktischen Elemente besitzen alle Gruppenmitglieder Fähigkeiten, die das Leben erleichtern, wie etwa das Knacken von Schlössern oder das bessere Schleichen. Die Stufe dieser Fähigkeiten hängt zum Spielstart von den gewählten Eigenschaften ab und kann bei Stufenanstieg den vorhandenen Punkten entsprechend verbessert werden.

„Veteranen von Baldur’s Gate kommen kaum um diesen Titel herum“

jpg_siegel_empfehlungInsgesamt überzeugt Pillars of Eternity auf ganzer Linie. Das Rollenspiel entspricht grundsätzlich westlicher Spielmechanik, doch genau in Hinsicht dieser Sparte der westlichen Rollenspiele schafft es das Spiel womöglich, eine Wiedergeburt des Genres herbeizuführen. Es verbindet klassische, immerwährende Elemente mit neuen Konzepten und baut lästige Gerippe aus Urzeiten ab.

Fans von Rollenspielen allgemein sollten zumindest mehr als einen Blick auf Pillars of Eternity werfen, Veteranen aus Zeiten von Baldur’s Gate und Konsorten kommen allerdings kaum um diesen Titel herum, sofern ihr Herz noch immer für diese Art von Rollenspiel schlägt. Gerade für letztere Gruppe wird die Retailversion mit dickem Handbuch und mehr attraktiv sein.

Story: Düstere Haupthandlung mit viel Freiheit und Nebenquests.

Gameplay: Klassisches westliches Rollenspiel à la Baldur’s Gate mit neuen Kniffen.

Grafik: Fortschritt im Genre, bleibt gleichzeitig den spirituellen Vorbildern aber treu.

Sound: Ergänzt Handlung und Grafik adäquat, auch mit Soundeffekten, teilweise englische Synchronisation.

Sonstiges: Hoher Wiederspielwert durch Gameplay und Handlung, Lokalisierung vorhanden, allerdings mit kleineren Fehlern.