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Retro-Flashback: Geschichtsstunde #6 – Phantasy Star

Guten Abend und willkommen zurück zur neuen Geschichtsstunde, die mittlerweile die sechste ist. Heute widmen wir uns wieder einer neuen Serie, die trotz zahlreicher lokalisierter Spiele außerhalb Japans nicht allzu bekannt ist. Ich spreche von Phantasy Star, das sich unter Anderem wohl durch sein klassisches Science-Fiction-Setting definiert und neben der Shining-Serie wohl die RPG-Reihe  Segas ist.

 

Hintergründe & Entwicklung

Der Eroberungszug des Mitte 1983 erschienenen NES war nach einigen Startproblemen in Japan hochgradig erfolgreich, und spätestens 1984 dominierte Nintendo praktisch den Heimkonsolenmarkt. Diesen Erfolg wollte Sega Nintendo nicht allein gönnen, und so entwickelten sie als direktes Konkurrenzprodukt das Sega Master System (Sega Mark III), das dem NES technisch überlegen war, allerdings nur in Europa erfolgreicher als Nintendos Konsole wurde.

Nachdem 1986 Spiele wie Zelda und Dragon Quest ihr Verkaufspotential bewiesen, sah auch Sega die Möglichkeiten dieses Genres und beschloss, ein eigenes Rollenspiel zu entwickeln. So entstand Phantasy Star, das am 20. Dezember 1987 erschien – nur zwei Tage nach Final Fantasy.

Yuji Naka, damals noch recht unbekannt, war Hauptprogrammierer des Spiels. Durch seine Arbeit an der Sonic-Serie sollte er später einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangen, aber bereits die Pseudo-3D-Darstellungen der Dungeons in Phantasy Star zogen eine gewisse Aufmerksamkeit auf sich.  Eine weitere schöpferische Kraft hinter dem Projekt war Designerin Rieko Kodama, die später noch unter Anderem als Charakterdesignerin von Sonic the Hedgehog und Produzentin von Skies of Arcadia arbeitete. In Phantasy Star war so unter Anderem für die Charaktergrafiken, NPC-Grafiken, 2D-Maps und Kampfhintergründe zuständig.

Beim Release in Nordamerika wurde Phantasy Star für 70 bis 80 US-Dollar verkauft; solche hohen Preise waren damals für Konsolenspiele noch ungekannt, und nach einer Preissenkung war das SMS selbst nur noch minimal teurer als Phantasy Star.

Das Spiel

König Lassic war einst ein guter Herrscher, aber durch die Angst vor dem Tod getrieben, verfiel er einer dunklen Religion, die ihm Unsterblichkeit versprech, und wurde zu dem bösen Herrscher, der im Spiel die drei Welten terrorisiert. Nero, älterer Bruder der Protagonistin Alis und Mitglied einer Widerstandsgruppe, wird zu Beginn des Spiels von Lassics Robotcops getötet. An seinem Sterbebett schwört Alis‘, seine Mission weiterzuführen. In seinen letzten Worten spricht Nero davon, dass sie nach einem Mann namens Odin suchen soll. Und so beginnt Phantasy Star…

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Die Spielwelt ist eine futuristische und besteht aus den drei Planeten Palma (Naturwelt), Motavia (Wüstenwelt) und Dezoris (Eiswelt), zusammen das Algol-Sternensystem genannt. Zwischen diesen drei Planeten reisen Alis und ihre Gefährten auf der Suche nach Lassic herum. Zu Beginn des Spiels gilt es, wie auch in Dragon Quest II, ein paar Gefährten aufzusuchen. In Medusas Höhle findet Alis schließlich Odin – der allerdings versteinert ist. Also geht’s auf nach Motavia, wo Alis in einem Laden eine sprechende Katze namens Myau hinterhergeworfen bekommt.

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Was für ein Glück, dass Myau in einem Fläschchen (erkennbar auf dem Bild) eine Medizin bei sich trägt, die Odin aus seiner Versteinerung befreit. Schließlich stößt noch mit dem magisch begabten Noah eine vierte Person dazu, und die Gruppe ist vollständig. Um Lassic entgegenzutreten, müssen sich die vier nun durch etwa zwei Dutzend Dungeons kämpfen, und dort Ausrüstungsgegenstände zu sammeln, oder Objekte zu finden und Personen zu treffen, die die Handlung vorantreiben. Dabei ist die Handlung (wie auch bei den anderen Spielen der Zeit) extrem minimalistisch. Die Dialoge finden nicht in einfachen Textboxen statt, sondern in einem gesonderten Bildschirm mit liebevoll gestalteten Charaktergrafiken oder einem Gesichtsportait, auch bei NPCs.

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Schon früh im Spiel müssen sich Alis und die anderen einer herausfordernden Aufgabe stellen: Um zum Bürgermeister von Motavia vorgelassen zu werden, brauchen sie ein Geschenk, und der Bürgermeister isst gerne Kuchen. Den gab es freilich nur bei einem Mann zu kaufen, der in einem Dungeon drei Stockwerke unter der Erde in einem geheimen Raum (vermutlich vergeblich?) auf seine Kunden wartet.

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Im Verlauf der Reise treffen Alis & Co. auf einen Wissenschaftler, der ihnen ein Raumschiff baut (mit dem mal allerdings nicht frei herumfliegen kann), finden einen Lufkissenboot und ein Fahrzeug, das sich durch Eis graben kann. Dazu kommen noch eine Handvoll wichtiger Gegenstände, wie der Dungeonschlüssel und solch dubiose Gegenstände wie das Aero-Prisma, das an der Spitze des vorletzten Dungeons Lassics Luftschloss enthüllt. Charmant abgekürzt werden solche Gegenstände aufgrund von Platzmangel durch Namen wie „DUGN KEY“ und „DMD. ARMR“ (Diamond Armor).

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Die Kämpfe spielen sich wie die Kämpfer der meisten rundenbasierten RPGs damals. Man hat einige Kommandos zur Verfügung, aber letztlich nur begrenzte strategische Möglichkeiten, weshalb man bisweilen auch etwas grinden muss. Auffällig ist der Befehl „Talk“; im Spiel kann man ihn allerdings nur selten sinnvoll nutzen, und diese Idee wurde auch nicht in die Nachfolger übernommen. Man kann gegen bis zu acht Gegnern gleichzeitig kämpfen, allerdings gibt es immer nur einen Gegnertypus pro Kampf, und erst mit steigender Zahl der Gruppenmitglieder nimmt auch die Zahl der Gegner zu (auf dem Bildschirm angezeigt wird allerdings immer nur ein Gegner). Neben EXP gibt’s nach den Kämpfen Truhen, die man öffnen kann, aber nicht muss. Manche dieser Truhen können fallen enthalten, die man optional durch einen Zauber entschärfen kann.

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Der Kernaspekt des Gameplays sind (neben den Kämpfen) die Dungeon-Erkundungen. Phantasy Star ist ein First-Person Dungeon Crawler, was bedeutet, dass man sich mit Frontperspektive durch oft komplexe Dungeonlabyrinthe wühlt und dabei auf Gegner (Zufallskämpfe), Truhen, Türen und Personen stößt. Durch die Pseudo-3D-Darstellung wirken die grafisch ansonsten sehr einfach gehaltenen Dungeons wegen ihrer Räumlichkeit doch visuell ansprechend und zum Erkunden einladend. Allerdings verirrt man sich sehr schnell, weshalb man sich als Spieler (wie in dem Genre üblich) selbst eine Karte zeichnen sollte.

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Schließlich treten die vier Lassic gegenüber und besiegen ihn, und kehren zum Bürgermeister von Motavia zurück. Doch das ist noch nicht das Ende, denn ebenjener Kuchenbürgermeister ist plötzlich eine dunkle Existenz namens Darkfalz. Nach einem brutalen und langem Kampf können sie sich jedoch auch dieses Gegners entledigen. Der Bürgermeister wurde von dem dunklen Schatten befreit und schließlich kehrt wieder Frieden in die Welt ein. Alis‘ Vater war der König, und so kann sie (bzw. der Spieler) sich aussuchen, ob sie ihrem Vater als Königin nachfolgt oder es sein lässt. In beiden Fällen ist dies das Ende des Spiels. Die Credits wurden charmant durch eine 3D-Dungeonführung mit den Entwickler(spitz)namen an den Wänden präsentiert.

 

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Mein Spielerlebnis

Am Anfang war ich sehr erstaunt, wie locker sich Phantasy Star doch spielt. Den Grafikstil fand ich gewöhnungsbedüftig, zumal ich auch nicht der größte Fan von reinrassigen SciFi-Settings bin, aber auf der Weltkarte wurde es dann schon etwas klassischer. Dann fingen auch schon die ersten Kämpfe an, und ich war überrascht darüber, wie schnell und fair die sich spielten. Die Encounter Rate ist angenehmerweise auch relativ erträglich. Am Anfang. Wenn man weitere Wegstrecken zurücklegen muss oder sich durch komplexere Dungeons kämpft, können die Zufallsbegegnungen ganz schön nervig sein.

Sehr interessant waren für mich die Dungeons, da ich vorher noch nie einen Dungeon Crawler dieser Art gespielt hatte, erst recht keinen so alten. Sich an diese Art von Gameplay zu gewöhnen fiel mir aber gar nicht so schwer. Zwar hatte ich selbst in den kleineren Dungeons einige Orientierungsprobleme, aber mit ein bisschen Trial & Error habe ich dann am Ende doch die richtigen Wege gefunden. Sobald die Dungeons aber anfingen, komplexer zu werden, habe ich mir Karten zur Hilfe genommen, denn den Frust wollte ich mir nicht antun. Mit einer Dungeonkarte, von denen es online einige ziemlich gute gibt, sinkt auch die Wahrscheinlichkeit stark, dass man irgendwann wütend aufgibt.

Ganz ungefährlich war es manchmal aber dennoch nicht, denn man hat nur begrenzte Heilmöglichkeiten. Sobald die MP verbraucht sind, kann man nur noch auf Items zurückgreifen, die nur in geringer Quantität mitgeführt werden können und auch nicht allzu effektiv sind. Zum Glück gibt es später Zauber, mit denen man sich aus Dungeons hinausteleportieren kann. Speichern kann man auf der Weltkarte und in Dungeons übrigens immer, was definitiv ein Segen ist.

Spaß gemacht hat es mir, die relativ große und vielseitige Welt zu erkunden, allerdings wurde Phantasy Star im späteren Verlauf sehr monoton. Die Dungeons wurden größer, die Fetchquests wurden länger, die Gegner wurden stärker. Bedauerlicherweise hat das Spiel auch kaum eine erwähnenswerte Hauptstory, denn den größten Teil der Zeit verbringt man damit, teilweise sehr banale Aufträge (Fetchquests) auszuführen, wie die Sache mit dem Kuchen für den Bürgermeister.

Dadurch hat sich das Spiel extrem in die Länge gezogen, und irgendwann habe ich mich gefragt, wo ich noch überall hingeschickt werden soll, um irgendwelche Items zu suchen oder mit Personen zu reden. Wie für die damalige Zeit typisch hat das Spiel auch oft keine Anweisung hinterlassen, was genau als nächstes zu tun ist. Angenehmerweise hat aber wirklich jeder NPC im Spiel etwas Relevantes zu erzählen, und dadurch erhält mal sehr viele Hinweise auf die Fundorte wichtige Items und Dungeons.

Die Gegner-Grafiken in Phantasy Star sind übrigens bereits animiert und oft recht aufwändig – das hat Final Fantasy während der gesamten 2D-Zeit nicht geschafft. Musikalisch fand ich Weniges erinnerungswürdig, lediglich zwei oder drei der Dungeon-Stücke waren ganz nett.

Fazit: Anfangs noch angenehm frisch, wird Phantasy Star trotz zügiger Kämpfe bald zu einer Geduldsprobe. Durch das bis dahin in dieser Form in RPGs ungenutzte Setting und die Dungeons war es durchaus ein sehr interessantes Spielerlebnis und ein netter Kontrast zu den vorhandenen NES-Spielen, aber unterm Strich würde ich das Spiel nur an historisch Interessiere weiterempfehlen, und selbst dann nur mit Komplettlösung und Dungeonkarten.

Vermächtnis

Der Erfolg des ersten Teils legte den Grundstein für eine langjährige Serie. Zwar hört man nicht ständig etwas von der Serie, aber tatsächlich sind in den 25 Jahren so einige Spiele der Serie erschienen. Den größten Einfluss hat Phantasy Star vermutlich durch das Setting ausgeübt, denn in späteren Jahren folgten einige weitere RPGs mit einem klassischen SciFi-Setting. Tatsächlich waren die meisten bekannten RPGs der damaligen Zeit welche, die sich am klassischen High-Fantasy-Setting im Stil von Herr der Ringe orientiert haben (Ausnahme: Megami Tensei). Dass Sega Dungeon Crawlern nicht abgeneigt ist, zeigen sie ein paar Jahre später auch mit dem ersten Teil der Shining-Serie.

Bemerkenswert ist die Protagonistin Alis. Phantasy Star war eines der erste Spiele, in dem der Spieler eine starke weibliche Hauptfigur spielen durfte. Grafisch für die damalige Zeit beeindruckend waren die animierten Gegnergrafiken und die Pseudo-3D-Dungeons. Viele Komponenten von Phantasy Star hat man in irgendeiner Form in älteren Spielen schon einmal gesehen, aber man kann dem Spiel nicht vorwerfen, nichts Neues versucht zu haben – das merkt man schon allein an der etwas merkwürdigen, vielleicht auch etwas befremdlichen Atmosphäre des Spiels, und als Spieler weiß man nicht immer, ob sich das Spiel nun ernst nimmt oder nicht, denn einen gewissen Humor kann man Phantasy Star nicht abstreiten.

2003 gab es ein Remake des Spiels, das den Titel Phantasy Star Generation 1 trägt. Im Laufe der Zeit gab es auch zahlreiche andere Releases in diversen Collections (z.B. in Sonic’s Ultimate Genesis Collection für die PS3) sowie digital in der Virtual Console, auch in Europa.

Trivia
  • mit 512KB ist Phantasy Star um ein Vielfaches so groß wie die frühen SMS-Spiele
  • Sega hat ein paar kleine Easter Eggs in NPC-Dialoge eingebaut, bespielsweise fragt eine Person, ob man Sega-Spiele mag
  • in Japan gab es einen erweiterten Soundchip als Addon für die Konsole, weshalb die japanische Version eine bessere Klangqualität aufweisen kann
  • in den Credits kann man wieder einmal interessante Spitznamen lesen (z.B. April Fool)
Ausblick

Wie für die meisten Studenten stehen für mich im Juni und Juli erst einmal Klausuren an, denen ich mich leider widmen muss, so gerne ich auch andere Dinge tun würde. Schon bald danach bin ich bereits im Urlaub, weshalb es nun eine längere Pause geben wird. Ich habe Final Fantasy nicht vergessen (das steht als nächstes an), von Dragon Quest gibt es auch noch einiges zu erzählen und besonders auf das erste SaGa freue ich mich. Sollte ich Zwischendurch doch noch Zeit und Lust finden, wird es zwischendurch mal einen Artikel geben, aber ansonsten sehen wir uns erst im August wieder zur nächsten Geschichtsstunde.

Bis dahin: Macht’s gut und genießt den Sommer!