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Retro-Flashback: Illusion of Time

Wenn früher zu SNES-Zeiten ein RPG bzw. Action-Adventure in einer dieser großen Boxen, zusammen mit Spieleberater, in den Handel kam, konnte man sich irgendwie sicher sein, dass es ein großartiges Spiel sein muss. So auch bei dem Action-Adventure Illusion of Time, das in den USA Illusion of Gaia heißt und bei uns 1995 erschienen ist. Illusion of Time ist der zweite Teil der inoffiziellen Soul Blazer-Reihe, die sich aus Terranigma, dem namensgebenden Soul Blazer und eben Illusion of Time zusammensetzt, die alle für den Super Nintendo erschienen sind. Sie haben zwar gewisse Ähnlichkeiten, erzählen aber keine zusammenhängende Geschichte.

Optisch ist Illusion of Time auf jeden Fall gewöhnungsbedürftig. Es ist nicht so gut gealtert wie andere SNES-Klassiker. Die Farbpalette ist besonders in der Anfangsstadt sehr grau und trist, Innenräume sehen sich sehr ähnlich, die Figuren sind zwar schön groß, wodurch man jedoch jeden Pixel genau sieht. Die Bewohner einer Stadt sind zahlreiche Klone und es gibt auf den ersten Blick wenig Abwechslung. Doch davon sollte man sich gar nicht abschrecken lassen, denn das Spiel hat unter dieser Haube sehr viel mehr zu bieten, ganz besonders welche Themen angesprochen werden und wie die Geschichte erzählt wird.

Ein Abenteuer beginnt mit einer Reise

Will auf Reisen. Auf der Weltkarte leider nur automatisch.

In Illusion of Time spielt ihr den jungen Will. Euer Abenteuer beginnt völlig unbedeutend in der Schule, doch direkt erzählt Will, wie er mit seinem Vater vor einem Jahr den Turm zu Babel erkunden wollte, wo sie ein Unglück ereilte. Er hat irgendwie überlebt und es nach Hause geschafft. Der Vater gilt als tot, doch Will hat ihn noch nicht aufgegeben. Jetzt lebt Will zusammen mit seinen Großeltern in dem kleinen Fischerdorf namens Südkap. Mit seinen Freunden Lance, Erik und Seth trifft er sich gewöhnlich nach der Schule in einer kleinen Höhle um Karten zu spielen.

Schnell merkt man, dass Will kein gewöhnliches Kind ist und verborgene Kräfte besitzt. Davon wissen auch die Freunde, die ihn gerne in der Höhle auf die Probe stellen. Will kann zum Beispiel durch Telekinese bestimmte Objekte verschieben und scheint Dinge vorhersehen zu können, wodurch er immer die richtige Karte aufdeckt und immer wieder seine Freunde erstaunt.

Besonders schön ist es immer, wenn in Spielen der Tag-Nacht-Zyklus integriert ist und man wirklich das Gefühl hat, Teil einer Reise zu sein. So bietet Illusion of Time keinen Tagesablauf in Echtzeit wie man das heute vielleicht gewöhnt ist, sondern nach bestimmten Ereignissen verändert sich die Tageszeit, wodurch das Abenteuer vorangetrieben wird. So ist ganz Südkap in orange getaucht, nachdem man die Höhle verlässt und man wird zum Abendessen bei den Großeltern erwartet.

Davor lohnt sich vielleicht noch ein Spaziergang auf das Dach der Schule, auf dem sich ein Portal befindet, das Will betreten kann: das Sphärenportal. In diesem thront ein riesiger Kopf einer Statue: Es ist Gaja. Sie erklärt Will, dass nur wenige dieses Portal betreten können und dient für den Rest des Abenteuers als Begleiterin und Beschützerin, die einen auch heilt und bei der man auch das Spiel speichern kann. Das eigentliche Abenteuer beginnt aber nicht mit ihr, sondern mit der entflohenen Prinzessin, die ein Leben gefangen im Schloss nicht als ihre Bestimmung sieht. Wie es der Zufall so will, lauft ihr zu Hause zur Tür herein und begegnet direkt ihrem Hausschwein Hamlet und der Prinzessin Kara selbst. Der Anfang eurer Reise und eures Abenteuers.

Die Flöte ist euer Schweizer Taschenmesser

Fesseln lösen? Kein Problem, die Flöte hilft!

Ohne Kämpfe geht es nicht in einem Action-Adventure. Ihr zieht allerdings nicht mit einem Schwert, einer Axt, Pfeil und Bogen oder anderen Kriegswaffen in den Kampf gegen Untote, Fledermäuse und allerhand andere merkwürdige Gestalten, sondern mit einer Flöte.

Sie ist euer Schweizer Taschenmesser, mit der ihr Gegenstände durch Wirbeln verrücken könnt, natürlich zuschlagen und kämpfen, aber auch für den eigentlichen Zweck benutzen könnt, nämlich um Lieder auf ihr zu spielen. Das ist nicht so umfangreich wie bei Zelda: Ocarina of Time, ihr könnt nicht selbst auf Knopfdruck Töne hervorrufen, aber im Laufe des Spiels lernt man einige Lieder, die zur Bewältigung von Rätseln dienen.

Aber nicht nur mit der Flöte löst ihr Rätsel. Einige verlangen von euch gute Auffassungsgabe, ihr müsst gut zuhören oder Notizen finden. Ein Rätsel beispielsweise besteht darin in einer Mine Wills Haare zu beobachten, um so einen geheimen Durchgang zu finden. Steht man an der richtigen Stelle, weht ein Luftzug durch einen Spalt und man kann es ganz deutlich sehen. Besonders zu Beginn des Abenteuers und im ersten größeren Dungeon sind zahlreiche Rätsel zu meistern. Später werden es jedoch leider weniger und es ist dann eher schwieriger den richtigen Weg zu finden, denn eine Karte in Dungeons gibt es nicht.

Gespaltene Persönlichkeit

Freedan der dunkle Ritter. Rechts die Statue von Shadow.

Ganz ohne Schwert geht es dann aber doch nicht. Will kann sich schon sehr früh in seinem Abenteuer verwandeln. Dann wird in einem Sphärenportal aus ihm Freedan, der dunkle Ritter. Mit ihm lassen sich andere Rätsel lösen, er kann durch sein Schwert ebenso entferntere Gegner töten, die einen blockierten Weg freigeben oder erhält im späteren Verlauf weitere Fähigkeiten, die nur dank ihm ein Weiterkommen ermöglichen.

Nicht in jedem Portal kann man sich in Freedan verwandeln, daher ist es auch kein Geheimnis, dass man es immer machen sollte, sobald es möglich ist. So lassen sich viele Rätsel locker lösen und man hat immer den richtigen Charakter zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Andernfalls muss man erneut das Portal suchen und viel umherlaufen. Das muss man allerdings schon nach jedem Bosskampf, da man sich nicht aus dem Dungeon warpen kann, weshalb das weniger Spaß bereitet.

Freedan ist nicht die einzige Verwandlungsform. Später bekommt man noch die Möglichkeit sich in Shadow zu verwandeln. Diese Geistergestalt kann sich verflüssigen und so tiefer in Dungeons vordringen. Shadow kommt jedoch viel zu spät ins Spiel. Dann sind mehr als zwei Drittel des Spiels vorbei und man hätte ihn sich deutlich früher gewünscht. Dennoch fällt das während dem Spielen selbst gar nicht auf, da es nie langweilig wird.

Vertraut auf euren Instinkt

Es gibt zwar keine Karte in Dungeons, Will braucht aber auch keine Karte, denn er kann sich ganz auf seine Kräfte verlassen. So könnt ihr über den Start-Knopf zumindest eine Übersicht anzeigen lassen, wie viele Gegner sich noch im derzeitigen Gebiet befinden und ihr seht den ungefähren Aufenthalt von Schatztruhen und Portalen. Das Aufspüren aller Gegner ist wichtig. Einmal besiegt erscheinen sie auch nicht wieder. Das liegt daran, dass ihr alle Gegner in einem Gebiet erledigen müsst, um eure Fähigkeiten wie Abwehr, Stärke oder Lebenspunkte zu erhöhen.

Erst mit dem letzten erledigten Gegner erhaltet ihr – festgelegt vom Spiel – ein Level-Up. Ihr könnt nicht entscheiden, was sich verbessern soll und ihr erhaltet pro Gebiet auch nur eine Verbesserung. Natürlich bestehen die Dungeons aus mehreren Gebieten und es ist absolut ratsam alle Gegner in jedem Dungeon zu erledigen, sonst steht ihr vor dem Boss und richtet kaum Schaden an, steckt dafür aber doppelt so viel wie nötig selbst ein.

Das System wird nicht jedem schmecken, es ist aber auch eine gute Motivation in einem Dungeon alle Gebiete abzusuchen und meist hat man alles gesehen, wenn man den letzten Gegner besiegt. So entgeht einem nichts, man läuft aber auch nicht ziellos herum. Ein Dungeon gestaltet sich hierbei allerdings als etwas nerviger, da man zunächst nicht die Möglichkeit hat, alle Gegner direkt in einem Gebiet zu beseitigen und man muss sich erst durch mehrere hindurchkämpfen. Dabei richtet man selbst kaum Schaden an, muss seine wenigen Lebenspunkte im Auge behalten und steckt auch noch ordentlich Schaden ein. Das ist aber die Ausnahme.

Immerhin braucht man sich vor einem Ableben nicht wirklich zu fürchten, wenn man zuvor dafür gesorgt hat, dass es auch so ist. Besiegte Monster lassen nämlich immer kleine, mittlere oder Große Kugeln fallen, die ihr sammeln könnt und somit Leben ansammelt. Ähnlich wie bei Super Mario funktionieren diese wie dort die Münzen. Habt ihr im Wert 100 gesammelt, bekommt ihr ein Leben. Solltet ihr nun sterben, startet ihr im gleichen Gebiet erneut und büßt nur etwas Lebensenergie ein. Die wird nicht komplett gefüllt.

Dafür gibt es allerdings Heilkräuter, die ihr in Schatztruhen finden könnt. Da Kämpfe nicht allzu fordernd sind, sammelt sich davon auch einiges in eurem begrenzten Inventar an, weshalb man hier und da mal unfreiwillig einige davon zu sich nimmt, um andere Gegenstände tragen zu können.

50 rote Juwelen, sie zu finden…

Anstehen der Klon-Krieger. Hier solltet ihr in Euro vorbeischauen.

Das wird ohne Spieleberater gar nicht so einfach sein. Im gesamten Spiel befinden sich nämlich genau 50 rote Juwelen, die man sammeln kann, aber nicht muss. Juwelier-Händler stehen dafür in jeder Stadt zur Verfügung und informieren euch über die derzeitige Anzahl gesammelter Edelmetalle. Sie verwahren sie auch, was ihr unbedingt tun solltet. Denn auch jedes Juwel belegt einen Platz im Inventar. Sammeln lohnt sich auf alle Fälle, denn als höchste Belohnung winken Verbesserungen eurer Fähigkeiten und zuletzt sogar ein Geheimnis.

Selbst erfahrene Spieler dürften sich aber schwer tun mit dem Sammeln aller, wenn man keine Hilfe zur Hand hat. So kann man direkt zu Beginn des Abenteuers ein Juwel verpassen, das der Fischer in Südkap in seinem Gefäß hat. Das Gefäß steht nämlich nicht immer neben ihm. Auch kann man oft nicht wieder zurück an bereits bereiste Orte. Hat man also das Event zum Weiterreisen ausgelöst, gibt es kein Zurück mehr. So kann man unfreiwillig auch mal etwas übersehen, denn nicht immer wird man gefragt: “Wollen wir jetzt weiterreisen?”, sondern man tut es einfach, nur weil man die “falsche” Person angesprochen hat.

Auch Sidequests bringen Juwelen als Belohnung. Diese werden aber nicht besonders eingeläutet und es gibt kein Logbuch dafür. So will ein Mädchen in der Kaufmannsstadt Euro einen Apfel vom Markt. Unverschämt wie die junge Dame ist, will sie, dass man den Weg gleich drei mal auf sich nimmt. Am Ende winkt allerdings das begehrte Juwel, also tut man es natürlich. Eine spaßigere Alternative ist da “Snake Panic”, bei der man die Probleme des Kampfsystems zu seinen Vorteilen nutzen kann. Hierbei muss man möglichst viele Schlangen mit seiner Flöte treffen, sobald sie aus ihren Krügen hochkommen. Richtig positioniert ist das gar kein Problem.

Kampfsystem mit unfreiwillig komischen Situationen

Dieser Schlag trifft die linke und mittlere Schlange, vertraut mir.

Vergesst Mauern, vergesst Hindernisse, vergesst unterschiedliche Ebenen und Erhöhungen und gebt euch ganz dem Kampfsystem hin. Denn es ist egal, wo euer Gegner sich befindet. Ob er eigentlich auf einer höheren Ebene wie ihr selbst steht, ist egal. Wenn seine Attacke oder eure eigentlich über, beziehungsweise unter ihm durchgehen müssten, man trifft sich trotzdem. Geschosse der Monster passieren auch ungehindert Mauern, die für euch ein großes Hindernis darstellen und gewisse Attacken mancher Widersacher lassen sich komplett umgehen, wenn man einen kleinen Schritt nach unten macht.

Das Kampfsystem ist gewiss nicht das Beste der SNES-Geschichte. Hat man später mit Will die Fähigkeit erlernt unter kleinen Öffnungen durchzurutschen um in neue Gebiete zu gelangen, sollte man diese “Attacke” zu seinem Hauptangriff machen. Keine ist stärker. Ist man nun gezwungen Freedan zu spielen, wirkt der dunkle Ritter geradezu steif und schwerfällig. Das lässt sich durch seine Rüstung noch erklären, hier findet nur eine witzige Umkehrung statt, da Freedan bis zu dem Zeitpunkt stärker war und viel lieber gewählt wurde.

Witzig ist auch, dass sich Gegner Schaden zufügen, wenn man sie mit einem Angriff auf den anderen stößt. Das ist absolut von Vorteil und gut, aber es ist einfach irgendwie unfreiwillig komisch, wenn man Gegner von einer Seite des Dungeons zur anderen in einer langgezogenen Schlange schleudert und alle sich gegenseitig verletzen.

Geschichte, die sich Zeit nimmt

Der Großteil eurer Reisetruppe ist hier zu sehen.

Das Herzstück von Illusion of Time ist aber weiterhin die Erzählweise der Geschichte. Will und seine Freunde müssen immer wieder fürchterliche Situationen bewältigen. Was man heute mit Sicherheit in Cutscenes pressen würde, darf man hier aber noch selbst spielen. So ist eine Szene auf dem Floß hervorzuheben, bei der man mit Kara alleine ums Überleben kämpfen muss und sich die Stimmung von Tag zu Tag und Woche zu Woche deutlich verändert und sich das auch in den Texten wiederfindet. So wird die Reise noch als “idyllisch” beschrieben, als aber weiterhin keine Rettung in Sicht ist, wird es immer mehr zum Albtraum. Hier muss auch die feine Prinzessin lernen, dass man Fische töten muss um zu überleben.

Das Spiel nimmt sich hierbei auch viel Zeit und es ist keine Sache von zwei Minuten. Teilweise kann man nur auf dem Floß von einem Ende zum anderen laufen und es passiert rein gar nichts. Solche Szenen finden sich immer wieder im Spiel, in denen man einfach nur in eine Situation geworfen wird und nicht weiß, wie es nun weitergeht oder was als nächstes passiert. Aus heutiger Sicht ist das vielleicht zu hoch gelobt, das jedoch wieder zu erleben, das hat viel Spaß gemacht.

Auch die angesprochenen Themen, die sich oft ums Überleben, den Tod, das Opfern oder das Unrecht in der Welt drehen, sind ein wichtiges Element in Illusion of Time und regen zum Nachdenken an. So ist ein kleines Volk gezwungen, zu Kannibalen zu werden, um nicht selbst zu verhungern und das nur, weil keine Hilfe aus einem wohlhabenderen Teil ein wenig weiter nördlich kommt. Als es dann Will und seinen Freunden an den Kragen gehen soll, opfert sich einer der Truppe und stürzt sich ins Lagerfeuer. In einer anderen Stadt muss Will dabei zusehen, wie ein angehender Vater sich aus Stolz das Leben nimmt um nicht als Verlierer dazustehen. Und das sind nur einige der vielen Situationen, die das Spiel prägen.

Auch wenn es nicht das schönste Spiel ist, nicht das beste Kampfsystem besitzt und es abseits der Hauptstory wenig zu entdecken gibt und es dadurch nicht so umfangreich ist, kann ich nur jedem empfehlen das Spiel einmal gespielt zu haben. Natürlich muss man auch am Ende die ganze Welt retten, aber es sind die vielen düsteren Geschichten zwischendrin, die dieses Spiel so einzigartig machen.

von raz0rback2